Smartes Zappen

Experten und Medienpolitiker diskutieren über „Suchen – Finden – Navigieren“

In der digitalen TV-Welt gilt mehr denn je die Regel: Der Zuschauer sieht nur die Inhalte, die er problemlos findet. Auf der Tagung „Suchen – Finden – Navigieren“ beschäftigten sich Experten und Medienpolitiker mit aktuellen Entwicklungen der Nutzernavigation auf smarten Endgeräten. Veranstalter waren die Landesmedienanstalten, der Verband Privater Rundfunk (VPRT) und die Deutsche TV-Plattform.

Thomas Fuchs (Koordinator Netze, Technik, Konvergenz der Medienanstalten) , Wolfgang Elsäßer (Vorstandsvorsitzender Deutsche TV-Plattform) und Claus Grewenig (Geschäftsführer des VPRT) im Eröffnungspodium (v.l.n.r.). Moderiert von Carine Chardon (Geschäftsführerin Deutsche TV-Plattform). Foto: Deutsche TV-Plattform

Fernsehen – das bedeutet für die Mehrheit der TV- Nutzer heutzutage immer noch mehr oder weniger zielgerichtetes Zappen durch die Programme per Fernbedienung. Aber seit einigen Jahren wird die „Glotze“ in Deutschland immer „smarter“. Der Anteil der smarten (internetfähigen, mit App-Portalen ausgestatteten) TV-Geräte an den Neuverkäufen lag in den ersten vier Monaten 2015 bereits bei 61 Prozent, berichtete Alexander Dehmel, Senior Marketing Consultant von der Gesellschaft für Konsumforschung. Bei der Nutzung stehen Mediatheken, Smart-TV-Portale und Video-on-Demand (VoD) ganz weit vorn. Rund 50 Prozent der Smart-TV-Nutzer verwenden laut einer aktuellen Umfrage bereits Programmvorschläge von Smart-TV-Portalen, Mediatheken der Sender, Video-Abrufportale, elektronische Programmführer (EPGs) und TV-Apps. Auch TV-Programm-Apps auf Zweitgeräten wie Tablets oder Smartphones spielen eine zunehmend wichtige Rolle bei der Steuerung des TV-Konsums. Jeder vierte Onliner in Deutschland nutzt bereits eine digitale Programmzeitschrift auf seinem Smartphone oder Tablet. Das alles sind Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage unter 1.000 deutschen Online-Nutzern im Auftrag der Tagungsveranstalter.

Mit der digitalisierungsbedingten Vervielfachung von TV-Kanälen wird die leichte Auffindbarkeit der Programmangebote zum zentralen strategischen Problem für die Marktakteure. Erst Ende Juni hatte die Kommission für Zulassung und Aufsicht der Medienanstalten (ZAK) in einem speziellen Kasus zu entscheiden. Auf der veränderten Nutzeroberfläche von Empfangsgeräten des Pay-TV-Anbieters Sky wird ein Überblick ausschließlich für die Sky-Programme geliefert. Zu den übrigen Rundfunkangeboten gelangt man erst durch einen speziellen Knopf auf der Fernbedienung. Gleichwohl bewertete die ZAK die Nutzeroberfläche von „Sky Home“ nicht als Verstoß gegen das Gebot eines chancengleichen und diskriminierungsfreien Zugangs. Entscheidend sei, „dass der Nutzer dies durch eine Änderung der Voreinstellungen vergleichsweise einfach selbst ändern kann“.
Eine „überraschende Bewertung“, fand NRW-Medienstaatssekretär Marc Jan Eumann in der Podiumsdebatte „Was kann die Medienordnung leisten?“. Klarer als durch Verschweigen anderer Sender könne Diskriminierung sich auf einem Screen doch wohl kaum äußern. Eine Bund-Länder-Kommission, so Eumann, arbeite „konstruktiv an einer zukunftsfähigen Medienordnung“, die solche Fragen regeln soll. Bereits zum Jahresende 2015 werde ein Zwischenbericht vorliegen.

Für Thomas Fuchs, Direktor der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein, zugleich Koordinator des Fachausschusses „Netze, Technik, Konvergenz“ der Medienanstalten, geht es vor allem darum, eine weitere Medienkonzentration zu verhindern. „Wenn es Regeln zur privilegierten Auffindbarkeit geben soll, muss darauf geachtet werden, dass es für kleine Anbieter Chancen gibt und die bestehende Marktmacht großer Sender nicht zementiert wird.“ Auch VPRT-Vorstandsvorsitzender Tobias Schmidt erwartet, dass auf TV-Plattformen „neben massenattraktiven Inhalten auch Angebots- und Anbietervielfalt garantiert“ werden. Denn: „Von wem gesellschaftliche Inhalte verlangt werden, der sollte auffindbar sein.“

Eine andere Position vertrat Carine Chardon, Leiterin Medienpolitik/Medienrecht im Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI), zugleich Geschäftsführerin der Deutschen TV-Plattform. In Sachen Regulierung hielt sie sich bedeckt. Die Industrie sei eher der Ansicht, dem Nutzer möglichst große Freiheit bei der Programm- und Informationssuche zu lassen. Einen aktiven Regulierungsbedarf gebe es derzeit nicht. Alle Akteure seien darauf bedacht, die Nutzer in die Lage zu versetzen, angebotene Inhalte möglichst rasch zu finden, egal, ob dieser sie aktiv suche oder noch gar nicht wisse, dass es sie gebe. Schließlich existierten heute nicht nur Suchfunktionen, mit denen nach einem Genre oder nach Stichworten wie Regisseur oder Schauspieler gesucht werden könne. Inzwischen gebe es auch die „Discovery-Ebene“ mit „nutzerbezogenen Empfehlungssystemen“.

Eine Demonstration dieser Methode bot Piotr Konczak vom US-Unternehmen TiVo/Cubiware. Die Firma betreibt einen Personal Video Recorder als Set-Top-Box mitsamt einem EPG sowie einer individualisierten Aufnahmefunktion. Durch die Auswertung persönlicher Vorlieben aus verschiedenen Quellen gibt diese Software anhand des jeweiligen TV- und Bewegbildkonsums Empfehlungen. Serienjunkies zum Beispiel bekommen von diesem Dienst neue, vergleichbare Serien vorgeschlagen. „Nicht der Nutzer sucht den Inhalt, sondern der Inhalt findet den Nutzer“, so der TiVo-Experte.

Schöne, neue Fernsehwelt!? Thomas Fuchs von den Landesmedienanstalten resümierte: Es bleibe weiterhin spannend, zu beobachten, wie Konsumgüterindustrie und Inhalteanbieter künftig mit diesem „Zwiespalt zwischen einem relativ trägen Konsumenten und einer sich immer neu verändernden Technik“ umgingen. Er gab zu bedenken: „Der Nutzer verändert sich langsamer als die Technik.“

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