Westbalkan: Unabhängige Berichterstattung deutlich erschwert
In den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens gibt es seit Jahren Sorgen um die Freiheit und wirtschaftliche Nachhaltigkeit der Medien. Doch in der letzten Zeit hat sich die Lage dermaßen verschlechtert, dass selbst einheimische Journalisten und Kommentatoren schockiert sind. Politiker und Geschäftsleute nutzen die andauernde Rezession und die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse von Medienschaffenden, um unbequeme Journalisten oder Publikationen loszuwerden. Eine Analyse der Situation in Serbien, Mazedonien, Kroatien und Bosnien zeigt, was es heißt, dort in der Medienbranche zu arbeiten.
Als der serbische Ministerpräsident Aleksandar Vučić im vergangenen Sommer Berlin besuchte, zeigte er sich wenig amüsiert. Es war kurz nach der Flutkatastrophe, die in Serbien und Bosnien gravierende Folgen gehabt und mehrere Menschen das Leben gekostet hatte. Auf einer Pressekonferenz wagte die Journalistin Natalija Miletić, ihm kritische Fragen über das suboptimale Krisenmanagement zu stellen. Mehr noch: Sie forderte sogar eine Reaktion auf einen Plagiatsskandal, in den sein Innenminister verwickelt war. Prompt kommentierten zunächst die regierungsnahen Medien in Serbien den „Vorfall” – und bezichtigten Miletić der „Unverschämtheit”. Dann bekam die unter anderem für die Deutsche Welle tätige Korrespondentin Drohungen, während das Belgrader Internet-Portal „Peščanik”, das das Plagiat aufdeckte, plötzlich von Hackern angegriffen wurde.
Spätestens seitdem schlagen immer mehr einheimische und internationale Organisationen Alarm über die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen serbischer Journalisten. So sprach die Medienbeauftragte der OSZE, Dunja Mijatović, mehrmals von „Internet-Zensur”, nachdem einige regierungskritische Artikel aus dem Netz verschwunden waren. In der Rangliste der Pressefreiheit rutschte Serbien im vergangenen Jahr vom 54. auf den 67. Platz: „Eine bemerkenswert negative Entwicklung”, schätzt Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. Ein Ende Juni veröffentlichter Bericht der US-amerikanischen Organisation IREX kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Es habe immer häufiger Beispiele von Zensur und Selbstzensur gegeben, die finanzielle Lage der Medien habe sich verschlechtert, die ganze Branche leide unter massivem Druck seitens der Regierung, aber auch der Medieninhaber, die ihre wirtschaftlichen und oft auch politischen Interessen durchsetzten.
In der Tat kam es allein im vergangenen Jahr sogar zu physischen Angriffen gegen Journalisten: Offiziell wurden 12 Fälle dokumentiert. Für Serbien und Premier Vučić ist dieser Umstand besonders unangenehm, denn das Land möchte sehr bald konkrete Verhandlungen für den EU-Beitritt aufnehmen. Dabei spielen die sogenannten Kopenhagen-Kriterien, darunter auch die Pressefreiheit, eine entscheidende Rolle. Um mögliche Einwände der EU-Kommission aus dem Weg zu räumen, beschloss das serbische Kabinett vor kurzem, 47 Medien, die sich noch immer in staatlichem Besitz befinden, endlich zu privatisieren. Dazu zählen lokale Fernseh- und Radiosender, aber auch Tageszeitungen, die im Moment als Sprachrohre der Regierung gelten. Auch die frühere jugoslawische Nachrichtenagentur Tanjug wird privatisiert. Obwohl dieser formelle Schritt längst fällig war, wird dadurch jedoch nur ein Teil des Problems gelöst, glauben die meisten Vertreter der Zivilgesellschaft. Denn der Druck auf die Journalisten wird bei den meisten privaten Medien genauso massiv ausgeübt wie bei den öffentlichen.
Diese systematischen Missstände sind nicht nur in Serbien zu beobachten. Die ganze Region erlebte seit den 1990er Jahren eine Konzentration des Medieneigentums in den Händen weniger, politisch gut vernetzter Geschäftsleute, die während der chaotischen Transformation auf wundersamer Weise ihre „ersten Millionen” gemacht haben, und die heute noch oft genug in Korruptionsaffären verstrickt sind. Diese Entwicklung ist die logische Konsequenz einer Ausgangssituation, in der diese Oligarchen die einzigen waren, die über genug Kapital verfügten, um in das vergleichsweise teure und nicht besonders profitable Mediengeschäft einzusteigen. Zwar zeigten große, international agierende Konzerne Anfang der 2000er Jahre Interesse am Standort Westbalkan, doch spätestens mit der Wirtschaftskrise konnten sich Ringier, WAZ oder Bertelsmann die Verluste der dortigen Nachrichtenmedien nicht mehr leisten. Sie konzentrierten sich stattdessen auf Unterhaltungsfernsehen oder auf Magazine.
Vor diesem Hintergrund werden Medien selbstverständlich für wirtschaftliche und politische Zwecke instrumentalisiert. Wie dies konkret geschieht, zeigen etwa die Mitschnitte abgehörter Telefonate zwischen hochrangigen mazedonischen Regierungsvertretern und diversen Medieninhabern und Chefredakteuren. Wer diese Tonaufnahmen – natürlich auf illegale Weise – fertigte, ist bisher unklar. Fakt ist, dass Minister und sogar der Premier Nikola Gruevski offensichtlich die redaktionelle Linie der „freundlichen” Privatmedien bis ins Detail besprechen, kritische Stimmen feuern lassen, und die lukrativen staatlichen Aufträge oder Genehmigungen so erteilen, dass das Geld in die „richtigen” Taschen kommt – und gleichzeitig für positive Schlagzeilen sorgt.
Selbst in Kroatien, das seit 2013 EU-Mitglied ist, zeichnet sich eine ähnliche Tendenz ab. Ein investigativer Bericht, das zur Schlussfolgerung kam, dass der konservative Oppositionschef Tomoslav Karamarko in den 1980er Jahren als Mitarbeiter der jugoslawischen Staatssicherheit tätig war, führte zur Entlassung des Journalisten. Der Vorfall zeigt, dass die Einschränkungen der Pressefreiheit nicht unbedingt mit Amtsmissbrauch durch Regierungen zusammenhängen. Vielmehr handelt es sich dabei um ein komplexes System von Verflechtungen zwischen Medien, Politik und Geschäftsmilieu, das die Bürgerinnen und Bürger der Westbalkanländer längst durchgeschaut haben, und das die Glaubwürdigkeit der traditionellen Presseorgane zerstört. Dies führt zur immer weiteren Senkung der Auflagen und Einschaltquoten, die wiederum die Abhängigkeit der Medien von diesem korrupten System erhöhen, und so weiter – ein Teufelskreis. Die einzige Ausnahme bleiben im Moment die wenigen unabhängigen Internet-Nachrichtenportale, die sich durch Spenden, internationale Stiftungen und – viel seltener – Werbung und Abos für Premium-Inhalte finanzieren.