Mehr Sichtbarkeit für Dokumentarfilm

Film

Eine neue Plattform für unabhängige Dokumentarfilme geht online. Foto: docfilm42

Wer sich für Dokumentarfilme abseits des Mainstreams interessiert, wurde bislang vor allem auf Festivals fündig. Eine Gruppe von Menschen aus der Filmbranche hat sich nun zusammengeschlossen, um die Produktionen langfristig zugänglich zu machen. Mit der Plattform Docfilm42 wollen sie unabhängigen Dokumentarfilmen zu mehr Sichtbarkeit verhelfen. Dabei setzen sie auf die Zusammenarbeit mit Kinos und Streamingdiensten – und auf ein aktives Publikum.

„Viele Dokumentarfilme werden bei einem Festival gezeigt und laufen danach nie mehr“, sagt Jochen Hick, Filmemacher und Mitgründer von Docfilm42. Nicht alle Filmemacher*innen hätten die Zeit und die Kraft, ihren Film über einen längeren Zeitraum zu promoten. „Die Filme sind dann einfach weg“, sagt Hick, der seit den 80er-Jahren Filme dreht (u.a. „Mein wunderbares West-Berlin“).

Damit das nicht länger passiert, hat Hick gemeinsam mit einigen Kolleg*innen Ende 2019 die Plattform Docfilm42 ins Leben gerufen. Ziel ist es, einen leichten Zugang zu den Filmen zu ermöglichen und die Arbeit von Dokumentarfilmemacher*innen bekannter zu machen. „Manche Leute sind erst durch uns mit ihrem Film online gegangen“, sagt Hick. Vielen Filmen fehle das Publikum, weil die Menschen schlicht nichts von der Existenz des Films wüssten. Hick vergleicht das mit einem Kiosk, der mitten im Wald steht: Wenn niemand von dem Kiosk wisse, werde dort auch nichts verkauft. Docfilm42 möchte das Portal sein, das den Weg zu sehenswerten Indie-Dokumentarfilmen weist. Darüber hinaus, so Hick, könne Docfilm42 als Filmarchiv dienen.

Gesellschaftliche Relevanz und Diversität

Zurzeit versammelt die Seite 45 Filme, darunter „Master of Disaster“, der die Arbeit des Katastrophenschutzes beleuchtet, „Experiment Rojava“ über das Demokratiemodell der Kurd*innen im Norden Syriens oder „Der Bauer und sein Prinz“ über die Öko-Farm von Prince Charles. Jeden Monat kommen neue Filme hinzu. Wer mag, kann sich an Playlists orientieren, die die Filme thematisch bündeln und Titel tragen wie „It’s the economy, stupid!“ und „Believers & Gutmenschen“.

Das Docfilm-42-Team prüft alle Einsendungen und Vorschläge, nicht jeder Film schafft es auf die Seite. Bei der Auswahl achte man auf die gesellschaftliche Relevanz und Diversität. „Wir bemühen uns besonders um Filme von und mit Menschen mit migrantischen Wurzeln, von Frauen, Queers und POCs“, sagt Jochen Hick. Keine Rolle spielten die finanziellen Mittel eines Films, betont er. Im Gegenteil: „Wir wissen, was es bedeutet, Filme ohne Geld zu machen. Wir wollen Filmen eine Chance geben, die nicht das dicke Budget hatten.“

Mehr als „einsame Kino-Abende auf dem Sofa“

Ansehen kann man die Filme bei Docfilm42 allerdings nicht. Wer sich als Zuschauer*in für einen Film entscheidet und ihn anklickt, wird zu den Streaminganbietern weitergeleitet, mit denen Docfilm42 kooperiert. Das sind nicht die üblichen Branchenriesen, sondern etwa der Dienst Sooner, der sich auf europäische Arthouse- und Indiefilme spezialisiert hat. Laut Hick werden die Filmemacher*innen an den Streaming-Erlösen beteiligt.

Doch Docfilm42 will mehr bieten als „einsame Kino-Abende auf dem Sofa“, wie es auf der Webseite heißt. Regelmäßig veranstaltet das Team Filmabende, an denen es einen Film zeigt und den Autor oder die Autorin zum Gespräch einlädt. Aufgrund der Pandemie passiert das zurzeit online. Das kommt gut an, der jüngste Termin war komplett ausgebucht. Wenn es wieder möglich ist, sollen die Filmabende in kooperierenden Kinos stattfinden. Docfilm42 versteht sich als Ergänzung zu Kinos und Streaminganbietern, nicht als Konkurrenz.

Crowdfunding-Kampagne gestartet

Momentan sind es bis zu zehn Menschen aus der Filmbranche, die Docfilm42 mit viel Einsatz ehrenamtlich betreiben. Bislang taten sie das praktisch ohne finanzielle Mittel. Nun haben sie eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, die noch bis zum 6. Mai läuft. Das Geld wollen sie für eine Professionalisierung der Plattform einsetzen; wenn möglich, werde man eine Person bezahlen, die sich regelmäßig um die anfallenden Arbeiten kümmere, sagt Hick. Geplant sei außerdem eine Übersetzung der Seite ins Englische. Im Idealfall soll das Crowdfunding sicherstellen, dass Docfilm42 sich dauerhaft tragen kann.

Neue Mitstreiter*innen sind willkommen, wie Hick betont. Ihm sei bewusst, dass nicht jeder Kapazitäten habe, ehrenamtliche Arbeit zu leisten. „Aber wir versuchen dafür Strukturen zu schaffen und ebenso einladend wie integrativ zu sein.“ Und auch das Publikum könne zu mehr Sichtbarkeit der Filme beitragen – indem es in sozialen Netzwerken auf die Filme aufmerksam mache, die bei Docfilm42 vertreten sind. „Wir setzen da auf das Schneeballprinzip“, so Hick.

Nach seiner Empfehlung aus dem Docfilm-42-Angebot gefragt, muss er nicht lange überlegen: „The Cockettes“ von David Weissman, „ein Film über eine so diverse wie inklusive, wahrhaftig queere Theatergruppe aus San Francisco in den 70er-Jahren.“

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