Eine virtuelle „Deutschlandreise“ in mehreren Runden absolvierten die über 60 Diskutanten zur Bestandsaufnahme von „Journalismus macht Schule“: Journalist*innen, Lehrer*innen und Expert*innen für politische Bildung zogen Bilanz der großen Schulaktionswoche zum Tag der Pressefreiheit am 3. Mai 2021. Wie das Ziel, Medienkompetenz bei Jugendlichen zu fördern, auch künftig möglichst breit und dauerhaft erreicht werden könne, war das zweite lebhaft diskutierte Thema.
Caren Miosga, Anja Reschke und Ingo Zamperoni von der ARD, Marietta Slomka und Claus Kleber vom ZDF oder ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, der auch aus Talkshows ein bekanntes Gesicht ist, sind nur einige von hunderten Journalistinnen und Journalisten, die in diesem Jahr aus Anlass des Internationalen Tags der Pressefreiheit am 3. Mai bei „Journalismus macht Schule“ dabei waren. Moderiert von Kuno Haberbusch und Jörg Sadrozinski zogen die Organisator*innen mit vielen Beteiligten eine Bilanz ihres Einsatzes. Wie das Ziel der Medienkompetenz in Zukunft an den Schulen besser verankert werden könne, ob als eigenes Fach, als besser beachteter Teil des Lehrplans für die Klassen oder vor allem in der Lehrerbildung, auch wer hier eigentlich die Initiative ergreifen müsse, die Bildungsverantwortlichen oder die Medien, wurde durchaus kontrovers besprochen und ausführlich im Chat kommentiert.
Engagierte Lehrer*innen nötig
Dass Journalist*innen in Schulen gehen, ist nicht neu: Seit Jahren gibt es die jährliche Aktion „Zeitung in der Schule“, die vor allem von den regionalen Blättern getragen wird. Nur wenige leisten sich dabei eigene Medienpädagog*innen wie die Südwestpresse Ulm. Auch individuelle Kontakte und gegenseitige Besuche zwischen Schulen und Medienvertretern in Klassen oder Zeitungsbetrieben gibt es seit Jahren. Sie basieren häufig auf persönlicher Bekanntschaft und gewachsenem Vertrauen, was für eine aktive Zusammenarbeit nicht unterschätzt werden sollte, erklärte Heinz-Peter Meidinger. Der frühere bayerische Gymnasialdirektor ist als Präsident des Deutschen Lehrerverbands, einer Dachorganisation verschiedener Lehrerverbände neben der im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) verankerten Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) oder ver.di, häufiger Interviewpartner zur Schulpolitik in der Corona-Pandemie. Hier wurde er von Martin Spiewak als Ratgeber für eine bessere Verankerung des Medienthemas in Schulen befragt.
Anja Reschke hatte online ebenso wie Julia Stein beim persönlichen Schulbesuch erfahren, dass die Schüler*innen jeweils sehr gut auf das Medienthema vorbereitet waren. Wieweit das aber auch an den engagierten Lehrer*innen wie Lucienne Raithel aus Plauen als essenzieller Teil der Aktion gelegen hat, ließen die Bemerkungen von Lehrer*innen in dieser Runde erahnen. Vom Zuhause kaum noch Zeitungsabonnements gewohnt, die „Tagesschau“ nur als ungeliebter Pflichttermin beim Großelternbesuch erlebt, stellen Schüler*innen nicht selten die Frage, warum sie klassische Medien überhaupt nutzen sollten. Zwischen seriösen Quellen und „Fake News“ zu unterscheiden, sei ihnen in den von ihnen bevorzugten Formaten bei Youtube, Instagram oder TikTok kaum möglich, erleben Lehrer*innen. Eine persönliche Begegnung mit Journalist*innen, die man ausfragen könne, beeindrucke aber schwer, berichtete Michael Hyngar („Tagesschau“), der sich bei „Lie-Detectors“ engagiert, und hervorhob, dass die Online-Formate auch nach der Pandemie weitergehen sollten, weil sie den Kontakt zu Klassen jenseits der großen Verkehrswege ermögliche.
„Diskussion um Begriff „Fake News“
Die Nutzung des Begriffs „Fake News“ führte besonders im Chat zu heißen Diskussionen, aber Stein verteidigte die Nutzung, denn dass bei Schüler*innen der Begriff inzwischen „als etwas Negatives fest verankert“ sei, hielt sie für einen beachtlichen Erfolg. Auch Cordt Schnibben von der „Reporterfabrik“ betonte, wie wichtig es sei, den Unterschied zwischen Fehlern aus Schlamperei und vorsätzlichen Fake News zu erklären. Für mehr Nachrichtenkompetenz helfe es, die Schüler*innen selbst in die Journalistenrolle schlüpfen zu lassen, um Meldungen oder Videos zu produzieren. Anleitungen für Jugendliche wie für Lehrkräfte gibt es dafür zum Beispiel bei der Initiative „Klickwinkel“ oder auch anderen Projekten zum Faktencheck, wie sie auf der Seite der Deutschen Journalistinnen und Journalisten-Union dju in ver.di ohne Anspruch auf Vollständigkeit vorgestellt werden.
Andere Kanäle und Zeiten
Claus Liesegang, Chefredakteur der „Märkischen Oderzeitung“, bemängelte, dass in der Diskussion zumeist die Rede sei, wie sich die Zielgruppen der Medien ändern müssten, und zu selten, wie sich die Medien auf die Zielgruppen einzustellen hätten. Bei Jugendlichen als Adressaten bedeute dies, in anderen Kanälen und Zeiten der Aufmerksamkeit zu denken: „Da sind wir noch ziemlich am Anfang des Weges“, meinte er. Für „Tagesschau“-Mann Hyngar ist es schlicht „arrogant“, Jugendliche, die sich nicht an den klassischen Medien orientierten, für uninformiert zu halten. Auch auf den sozialen Medien gebe es sehr gute Informationsmöglichkeiten, unterstrich er, ohne das eigene, erfolgreiche Produkt auf Instagram zu erwähnen.
Eine „Deutschlandreise“ durch die Bundesländer zu den Landeszentralen für politische Bildung, Landesmedienanstalten, Landesbeauftragten der Kultusministerien, Offenen Bürgermedien wie TIDE in Hamburg und interessierten Uni-Instituten (Leipzig) zeigte sehr unterschiedliche Aktivität und Aufmerksamkeit für das Thema Medienkompetenz. Während die Aktionswoche „Journalismus macht Schule“ in Bayern, Hessen oder Berlin und Brandenburg eher zusätzlich zu den eigenen kontinuierlichen Aktivitäten ins Programm genommen wurde, zeigten sich andere über die Kontaktaufnahme eher überrascht, aber auch sehr kooperativ, wie es Professor Volker Lilienthal für Hamburg und Schleswig-Holstein beschrieb.
Honorare für Freie
Lilienthal erklärte, dass es dort über Stiftungen möglich gewesen sei, teilnehmende freie Journalist*innen zu honorieren, was Schnibben zur generellen Forderung für das künftige Arbeiten von „Journalismus macht Schule“ erhob, das alle Beteiligten energisch anstreben. Bei der Realisierung dieser Forderung sei die Initiative aber bisher noch nicht sehr erfolgreich.
Alexander Drechsel vom Bürgermedium TIDE in Hamburg verwies auf erfolgreiche Eltern-Medienabende, von der Kita bis zum Schulabschluss: „Das boomt, das explodiert gerade wie blöd“, und zwar nach seiner Beobachtung zum einen durch das gesteigerte Medienverhalten in der Corona-Pandemie und zum zweiten durch die häufig thematisierten „Fake News“.
Zum Abschluss der Online-Veranstaltung wurde die bessere Verankerung des Themas Medienkompetenz in den Lehrplänen der Schulen, aber vor allem auch in der Lehrerausbildung und der Fortbildung debattiert. Aufgeführt sei das Medienthema in den meisten Lehrplänen, allerdings in sehr unterschiedlicher, teilweise veralteter Form wie als reine Lehre der Stilformen in der Zeitung. Erfahrungsgemäß, darauf wies auch der Lehrer-Vertreter Meidinger hin, hänge es vom persönlichen Interesse und den Kontakten der Lehrkräfte ab, wie intensiv und aufgeschlossen sie diesen Unterrichtskomplex aufgriffen. Die vermehrte Online-Kompetenz der Lehrer*innen könne sich für eine Auseinandersetzung in der Weiterbildung mit Journalismus und ihren Macher*innen als sehr vorteilhaft erweisen. Für Lehramtsausbilder Kurt Finkenzeller, ebenfalls aus Bayern, müssten vor allem die Ausbildungspläne für das Lehramts-Referendariat daraufhin „durchforstet“ werden.
Generell sei zu beachten, dass die heutigen Lehramtsstudierenden dem Medienverhalten der Schüler*innen sehr viel näher seien als die meisten Diskutanten, meinte Meidinger, also ebenfalls nicht mehr von klassischen Medienkanälen geprägt. Auf die Frage der Journalist*innen, wie man denn die Medienkompetenz stärker, eventuell sogar als eigenes Schulfach, etablieren könne, erklärte Meidinger mit einem Lächeln, das ein erwartbares „Oh je“ der Fragenden auf seine Antwort vorwegzunehmen schien: Kontakt aufnehmen und antichambrieren, und zwar bei jedem einzelnen der 16 Kultusministerien und bei der Kulturministerkonferenz noch dazu.