Und raus bist Du

Brian Thomas, hier in einer Pause mit einem Praktikanten am Set, berichtete für die Deutsche Welle auch über den Hamburger G20-Gipfel. Foto: privat

Deutsche Welle demontiert prominentes Gesicht von DW News

Am 7. November 2020, vier Tage nach der Präsidentschaftswahl in den USA und nachdem die Ergebnisse aus Pennsylvania bekannt waren, informierte die „Tagesschau“ abends ihre Zuschauer, Joe Biden habe „laut mehreren US-Fernsehsendern“ die „erforderliche Mehrheit in der Wahlversammlung“ erreicht und damit gewonnen. Auf „Hochrechnungen der Sender CNN, NBC, Fox News und der Nachrichtenagentur AP“ wurde als Quelle verwiesen. In fünf Bundesstaaten lief zu der Zeit die Stimmauszählung weiter.

Zu Ende gezählt war noch immer nicht, als Brian Thomas, Anchorman der englischsprachigen Live-Nachrichtensendung bei der Deutschen Welle in Berlin, am 9. November in aller Frühe zum Dienst kam. Der Langgediente war skeptisch, ob das Label „president elect“, mit dem US-Leitmedien Demokrat Biden versehen hatten, nicht doch verfrüht vergeben wurde. US-stämmig und ein Verfechter des dortigen Wahlsystems, wusste er genau, dass ein amtliches Ergebnis nicht vor Mitte Dezember zu erwarten war. Und er erinnerte sich an das Jahr 2000, als der Demokrat Al Gore nach Wählerstimmen vorn gelegen und George W. Bush doch Präsident geworden war. Deshalb warf Thomas in der Redaktion die Frage auf, ob angesichts der konfliktgeladenen Situation in Washington und im Interesse objektiver Berichterstattung Biden tatsächlich bereits als „gewählter Präsident“ zu bezeichnen sei.

Debatte um Sprachregelung

Einige Kollegen verwiesen auf die Sprachregelung bei AP, an der man sich bei der Deutschen Welle meist orientiert und die auch jetzt als „Goldstandard“ galt. Überzeugen konnte das Thomas diesmal nicht; zumal in brisanten Fällen – etwa beim Golfkrieg – durchaus schon von AP-Sprachregelungen abgewichen worden war. Derart zwiegespalten schlug der Main News Anchor dem Chef vom Dienst schließlich vor, sich an diesem Morgen durch eine junge australische Kollegin vertreten zu lassen, die sich weniger im Dilemma sah. Mit ihr ging DW News dann auch pünktlich und reibungslos über den Sender.

„Ich blieb die ganze Zeit im Studio und habe erwartet, dass es danach noch eine fachliche Debatte um die aktuelle Sprachregelung geben würde“, so Thomas. Eine Reihe von Kollegen teilten seine Bedenken. Doch: „Mit Dir rede ich gar nicht“, beschied ihn News-Chef Max Hoffmann. Keine zwei Stunden nach Schichtende war Brian Thomas per E-Mail sämtlicher Moderationsdienste für November und Dezember entbunden.

Den später erhobenen Vorwurf der Dienstverweigerung oder einer Gefährdung des Sendeablaufs konnte der Moderator nicht akzeptieren. Er erbat klärende Gespräche über Zoom, in denen er sich dann Vorgesetzten und Personalchefin gegenübersah und vor allem Vorwürfe hörte. Selbst Thomas‘ Hinweis, dass die Sendung zu keinem Zeitpunkt gefährdet war und es ihm mit Blick auf die Qualität von DW-News um eine präzise Wortwahl in der Moderation ging, ließ man als Argumente nicht gelten. Vielmehr verfestigte sich auf Senderseite die Position, in Thomas einen Trump-Anhänger auszumachen, der keinen anderen Präsidenten akzeptieren wollte. Von „Vertrauensverlust“ war die Rede und der Beendigung der Moderatorentätigkeit.

Fristlose Kündigung

Allenfalls, hieß es dann am 17. Dezember, wolle man das langjährige Gesicht der Live News Sendung und DW-Aushängeschild künftig nicht mehr vor der Kamera, sondern nur als wesentlich geringer vergüteten Desk Reporter beschäftigen. Eine offensichtliche Degradierung. Brian Thomas schlug stattdessen vor, andere redaktionelle und Moderationsarbeiten zu übernehmen, etwa bei der Produktion von Dokumentarserien oder YouTube-Beiträgen für die Deutsche Welle. Ehe das ausdiskutiert schien, schickte man ihm kurz vor Weihnachten die außerordentliche und fristlose Kündigung seines Vertrages als Moderator, Anchor und Talk Show Host bei DW News, der ihm eine redaktionelle und textliche Selbstständigkeit zugestanden hatte. Die Post erreichte Thomas per Nachsendeauftrag erst zu Silvester 2020. „Es dürfte das erste Mal in der fast 70jährigen Geschichte der Deutschen Welle sein, dass einem vor der Kamera stehenden Moderator wegen einer internen Meinungsverschiedenheit fristlos gekündigt wurde“, zeigte sich der Gemaßregelte fassungslos. Thomas, seit 2007 deutscher Staatsbürger, berief sich auf das interne DW-Handbook zur Wahlkampfberichterstattung sowie auf Grundregeln des Pressekodex‘; schon die Sorgfaltspflicht verlange, unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen als solche kenntlich zu machen.

Der Nachrichtenmoderator reichte Klage gegen die Kündigung ein. Nicht ohne weiter nach Verständigung zu suchen. Er wandte sich an den Personalrat und suchte Kontakt zum senderinternen Konfliktmanagement. Zuletzt schrieb er sogar DW-Intendant Limbourg persönlich, doch der will, so der kurze Beschied, den Rechtsstreit abwarten. Früher hatte dieser noch öffentlich betont, dass bei der Deutschen Welle viele Stimmen und unterschiedliche Perspektiven zu schwierigen Sachverhalten berücksichtigt würden; dass man „in Bewegung“ bleibe durch den „ständigen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, die eine neue Sichtweise auf ein Thema einbringen“.

Für ver.di-Personalrat Christian Hoppe, der Brian Thomas kollegial unterstützte, ist der Fall ein weiteres Indiz, dass das DW-Konfliktmanagement nicht im Interesse von Beschäftigten gelebt wird. Es hätte „sehr wohl andere Optionen gegeben, als nach einem einzigen Vorfall in 32 Jahren das schwerste Geschütz aufzufahren“. Widersprüchlich ist für ihn auch, dass für programmgestaltende Moderatoren selbst nach der jüngsten Novelle des Bundespersonalvertretungsrechts keine Mitbestimmungsrechte gelten, dass der Sender von Thomas aber offenbar weisungsgebundenes Arbeiten erwartete.

Vertrackte Situation

Juristisch zeigt sich die Lage durchaus komplex. Vertragsgemaß ist Brian Thomas arbeitnehmerähnlicher Freier, das Kündigungsschutzgesetz greift nicht, der Personalrat hat für ihn formal keine Zuständigkeit. Thomas ist zudem mit zwei Verträgen ausgestattet – einem Honorarrahmenvertrag mit der Deutschen Welle, der vom Streit unberührt blieb, und einer Moderatorenvereinbarung, die inzwischen mehrfach fristlos, ersatzweise fristgerecht gekündigt wurde. Im Mai fand – vor dem Berliner Arbeitsgericht so vereinbart – ein sogenanntes Güterichterverfahren statt, bei dem Einigungsmöglichkeiten ausgelotet werden sollten. Dass der Moderator nie wieder vor der Kamera tätig werden könne, erklärte eine Anwältin der Deutschen Welle dort. „Wir haben daraufhin einen Vergleich vorgeschlagen“, sagte Marcus Sonnenschein, Thomas‘ Anwalt, „als Antwort kam eine weitere Kündigung, eine Einigung im Sinne beider Parteien war leider nicht möglich“.

Nach Redaktionsschluss: Inhaltliche oder journalistisch-ethische Erwägungen spielten so gut wie keine Rolle, als am 7. September vor dem Berliner Arbeitsgericht verhandelt wurde. Alles spitzte sich auf die Frage zu, ob Brain Thomas‘ Moderatorenvereinbarung als Dienstvertrag zu sehen sei oder vielmehr als „Ergänzung und Konkretisierung des Honorarrahmenvertrages“, wie es die Vorsitzende Richterin formulierte. Aus der Position, dass kein Moderatoren-Dienstverhältnis vorgelegen habe, leitete die Deutsche Welle ab, dass strengere Kündigungsschutzregeln keine Anwendung finden müssten. Eine weitere Tätigkeit vor der Kamera schloss der Sender erneut aus. Ob es tatsächlich hinzunehmen sei, dass die DW als Tendenzunternehmen gegenüber Freien eine bestimmte Benennung von Sachverhalten mit Moderationsentzug durchsetzt, ließ das Gericht offen. Ebenso die Frage, ob dem Gekündigten eine gleichwertige oder annähernd gleichwertige andere Tätigkeit hätte angeboten werden müssen.

Versuch einer Einigung

Moderiert durch die Vorsitzende einigte man sich angesichts der vielen Unwägbarkeiten schließlich auf einen Vergleich, wonach das Beschäftigungsverhältnis zum 30. Juni 2021 gegen Zahlung einer Abfindung beendet wird. Allerdings gilt wegen einer beidseitige dreiwöchige Widerspruchsfrist abzuwarten, ob die Vereinbarung halten wird. Aktuell wollte keine der Parteien sich zum Ergebnis äußern.

Übrig bleibt, dass es dem Arbeitgeber Deutsche Welle unter Berufung auf den Tendenzschutz möglich ist, ein jahrzehntelanges beanstandungsfreies Beschäftigungsverhältnis kurzerhand einseitig zu beenden. Und das, obwohl ein geltender Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Personen deren soziale Schutzbedürftigkeit begründet.

 

Brian Thomas war seit 1986 für die Deutsche Welle tätig und vermutlich der international längst dienende TV News Anchor. In den 1990er Jahren moderierte er das „European Journal“ von DW TV aus Bonn und Brüssel. Für die englischsprachigen DW News aus Berlin stand er seit 1999 vor der Kamera. Zu den Ereignissen, über die er als Nachrichten-Gesicht der DW berichtete, gehörten 9/11, der Irak-Krieg, die Finanzkrise 2008, die Flüchtlingskrise 2015, die aktuelle Corona-Pandemie sowie US-Präsidentschafts- und Bundestagswahlen.


Deutsche Welle

Die Deutsche Welle als „Rundfunkanstalt des Bundesrechts“ mit Sitz in Bonn und Berlin wird maßgeblich aus Steuermitteln finanziert, 2020 mit 365,5 Mio. Euro.

Seit Sommer 2019 stand die Führungskultur der DW auch öffentlich in der Kritik, nachdem Vorwürfe von sexueller Nötigung, Rassismus und strukturellen Machtmissbrauch laut geworden waren. In der Folge wurde eine Dienstvereinbarung zum Konfliktmanagement abgeschlossen. Auseinandersetzungen in der arabischen Redaktion gipfelten Ende letzten Jahres in der Vertragsbeendigung dreier kritischer freier Beschäftigter, die mit ver.di-Rechtsschutz dagegen klagen.

 

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Wie ethisch kann KI berichten?

Ein ethischer Kompass ist angesichts zunehmender Desinformation immer wichtiger – für Journalist*innen, aber auch Mediennutzende. Positivbeispiele einer wertebewussten Berichterstattung wurden jüngst zum 20. Mal mit dem Medienethik Award, kurz META, ausgezeichnet. Eine Jury aus Studierenden der Stuttgarter Hochschule der Medien HdM vergab den Preis diesmal für zwei Beiträge zum Thema „Roboter“: Ein Radiostück zu Maschinen und Empathie und einen Fernsehfilm zu KI im Krieg.
mehr »

VR-Formate im Dokumentarfilm

Mit klassischen Dokumentationen ein junges Publikum zu erreichen, das ist nicht einfach. Mit welchen Ideen es aber dennoch gelingen kann, das stand auf der Sunny Side of the Doc in La Rochelle im Fokus. Beim internationalen Treffen der Dokumentarfilmbranche ging es diesmal auch um neue Erzählformen des Genres wie Virtual Reality (VR).
mehr »

krassmedial: Diskurse gestalten

Besonders auf Social-Media-Plattformen wie TikTok und Telegram verbreiten sich rechtsextreme Narrative, die zur Polarisierung der Gesellschaft beitragen. Wie Journalist*innen dem entgegen wirken und antidemokratische Diskursräume zurückgewinnen können, diskutierten und erprobten etwa 70 Teilnehmende der diesjährigen #krassmedial-Sommerakademie von ver.di am Wochenende in Berlin-Wannsee.
mehr »

KI-Bots: Kompletten Schutz gibt es nicht

KI-Bots durchstreifen das Netz, „scrapen“, also sammeln dabei auch journalistische Inhalte, um damit KI-Modelle wie Chat GPT zu trainieren. Welche technischen Maßnahmen können Journalist*innen ergreifen, um ihren Content zu schützen? Tipps des KI-Beraters Branko Trebsche.
mehr »