Weltwirtschaftsforum in Davos 2020: Fünf Klimaaktivistinnen geben eine Pressekonferenz. Doch als Associated Press das Foto dazu veröffentlicht, ist Vanessa Nakate herausgeschnitten worden, die einzige Schwarze der fünf Frauen. In ihrem Buch „Unser Haus steht längst in Flammen“ liefert Nakate nicht nur einen wichtigen Blickwinkel vom afrikanischen Kontinent aus auf die Klimakrise und (Selbst-)Empowerment für die Klimabewegung, sondern auch einen Appell an alle Journalist*innen.
Der Leiter der AP-Bildredaktion begründete das Herausschneiden von Nakate später mit „rein kompositorischen Gründen“. Nakate schreibt sehr offen über ihre Frustration und Wut, Rassismus und andere Diskriminierung, koloniale Strukturen, die bis heute weiterwirken, und über die Mechanismen von Aufmerksamkeitsökonomie. Nakate, die als eine von sieben der „most influential people“ das Oktober-Cover der Times zierte, ist sich bewusst, dass sie mittlerweile selbst von diesen Mechanismen profitiert: „Ich bin nicht naiv, was den Lauf der Dinge betrifft. Aus dem Foto herausgeschnitten worden zu sein und meine Reaktion darauf haben meine Sichtbarkeit in den sozialen Medien vervielfacht und mich in den Fokus lokaler und internationale Medien gerückt.“
Nakates Erlebnis in Davos ist Ausgangspunkt des Buches und Klammer zugleich. Dass „diejenigen, die keine Möglichkeit hatten, der Klimakrise zu entrinnen, weil sie sich direkt vor ihrer Haustür ereignete“, kaum in politischen und medialen Diskurs zu hören sind, verschärft die Klimakrise an sich, weil so deren Dringlichkeit im sogenannten „globalen Norden“ viel zu wenig bewusst wird. Nakate macht nun mit einem sehr persönlichen Herangehen die Auswirkungen der Klimakrise auf ihr Heimatland Uganda und den ganzen Kontinent klar und zieht die Querverweise zwischen Klimakrise, Abholzung, Luftverschmutzung, Artensterben, Rassismus und Sexismus.
Nakate kritisiert die Held*innen-Bildung als narrative Strategie der Medien, die sie nicht befeuern will. Erst kürzlich wieder, im Zusammenhang mit der Weltklimakonferenz in Glasgow, titelte die dpa über die Klimaaktivistinnen Mitzi Jonelle Tan, Elizabeth Wathuti und Vanessa Nakate: „Gretas des Südens“. Als könnten diese drei Woman of Color, ihr Engagement und ihre Expertise nicht für sich selbst stehen.
Nakate selbst will keinen Held*innen-Status. Sie zeigt genau diese Strukturen von Aufmerksamkeitsökonomie und Diskriminierung dahinter auf, um dann in ihrem Buch bereitwillig die Bühne zu teilen: Für ihr Buch hat sie 14 Klimaaktivist*innen interviewt und zählt noch viele weitere auf – inklusive deren Social Media-Kontakten. Damit liefert sie nicht nur eine breite Recherche-Basis, sondern entkräftet nebenbei noch das leider viel zu häufig genannte Argument, man habe ja niemand anderen gefunden, wenn es um Diversität geht.
Journalismus nimmt eigentlich in Anspruch „A Bigger Picture“ zu zeigen, wie der englische Titel von Nakates Buch lautet. Dafür dürfen schwarze Menschen nicht aus Bildern verschwinden. Und Nakate ist mehr als die junge Frau, die aus einem Agentur-Foto herausgeschnitten wurde. Die Klimabewegung ist mehr als Greta Thunberg und das Thema größer als eine jährliche Berichterstattung zur Weltklimakonferenz. Beim Klimaschutz, zeigt Nakate, geht es um mehr als um Erderwärmung, es geht um Klimagerechtigkeit.
Vanessa Nakate: Unser Haus steht längst in Flammen. Rowohlt 2021, 240 Seiten, 16 Euro, ISBN: 978-3-7704-0115-4