Wie eine tendenziöse Wortwahl die Leser*innen beeinflusst
Eigentlich sollte es für jede Journalistin, für jeden Journalisten eine Selbstverständlichkeit sein: Im Hinblick auf die Reaktionen unserer Rezipient*innen geht es nicht nur darum, über was wir berichten. Ganz entscheidend ist auch ein Bewusstsein dafür, wie wir berichten, also welche Worte wir wählen. In diesem Sinne führte Daniel Bax in seinem Workshop „Sieh´s doch mal anders! Wie wir Klischees und gängige Narrative durchbrechen können“ ein engagiertes Plädoyer dafür, mit Sprache sensibel umzugehen. Bax hat lange für die „taz“ gearbeitet, ist heute am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung tätig und engagiert sich bei den „Neuen deutschen Medienmacher*innen“. Im Workshop demonstrierte er, wie eine tendenziöse Wortwahl Leser*innen gezielt oder unbeabsichtigt beeinflusst.
Er machte dies zunächst an einem Foto deutlich, das mehrere junge Männer abbildet. Auf Bax Frage, welche Bildunterschrift dazu passen würde, bot das Auditorium eine Fülle von Vorschlägen an, die Bax noch um einige ergänzte: Im Angebot waren unter anderem „Ausländer“, „Türken und Araber“, „Muslimische Jugendliche“, Geduldete Asylbewerber“, „Geflüchtete“, „Streetgang“ oder „Migrationshintergrund“ – allesamt Labels, die einseitig auf die vermutete Herkunft der abgebildeten, mehrheitlich dunkelhaarigen Männer abzielen. Bax deckte auf, dass das Foto im Rahmen einer Preisverleihung entstand, bei der die Männer im Rahmen einer Essener Initiative für ihr soziales
Engagement ausgezeichnet wurden. „Die Wahl der Bildunterschrift prägt, wie man ein Foto sieht“, so Bax. Je nachdem, welchen Aspekt man hervorhebt, werden Vorstellungen oder Wertungen erzeugt, werde die Wahrnehmung in eine eher positive oder eher negative Richtung gelenkt.
Genauso funktioniere es bei den Überschriften. Bax erläuterte dies am Thema der Migration, für das es viele Metaphern gebe. 2015 habe eine angstbesetzte Konnotation im Vordergrund gestanden. Die sogenannte „Flüchtlingskrise“ wurde mit Schlagworten wie „Flüchtlingsstrom“, „Massenzustrom“ oder „Flüchtlingswelle“ untermauert. Solche Metaphern, die die Ankunft von Menschen in die Nähe einer Naturkatastrophe rücken, hätten das Bild einer Gesellschaft impliziert, die einem Phänomen ohnmächtig und machtlos ausgeliefert ist, so Bax. Er stellte fest, dass heute anders, weitaus nüchterner darüber gesprochen werde. Die Sprache im politischen Raum komme nicht drum herum, Phänomene zu benennen, ohne sie zu dramatisieren oder zu verharmlosen. Ein „richtig“ oder „falsch“ gebe es nicht, so Bax. Er selbst würde jedoch einen Begriff wie „Flüchtlingskrise“ stets in Anführungszeichen setzen – anders als es beispielsweise 2015 bei der „Tagesschau“ der Fall war.
Anhand von vielen weiteren Beispielen wie „Dönermorde“, „Hassprediger“, „Integrationsverweigerer“ oder „Parallelgesellschaft“ wird im weiteren Verlauf deutlich, wie wichtig es ist, sich als Journalist*in immer wieder über die eigene Wortwahl und ihre mögliche Wirkung Gedanken zu machen. Um zu vermeiden, dass man Rechtspopulisten in die Falle geht, sei es nützlich, sich mit Leuten zu unterhalten, die einen „anderen“ Blick haben. So ließen sich andere Narrative in die eigene Wahrnehmung integrieren. Bax verwies schließlich auf das NdM-Glossar. Das „Wörterverzeichnis der Neuen deutschen Medienmacher*innen mit Formulierungshilfen, Erläuterungen und alternativen Begriffen für die Berichterstattung in der Einwanderungsgesellschaft“ könne bei der Suche nach den richtigen Worten Unterstützung leisten.