Verschwörungsmythen und Fake News kontern
Wie umgehen mit Verschwörungsgläubigen? Erfahrungen aus dem Alltag seiner Beratungsstelle veritas teilte Mitgründer Tobias Meilicke mit einem großen Kreis Interessierter im Workshop „Konstruktiv kontern: Verschwörungsmythen und Fake News entlarven und entgegnen“. Die vom Land Berlin geförderte Anlaufstelle hat seit Mai 2021 über 1.000 Anfragen erhalten, wobei 90 Prozent aus dem familiären Umfeld kamen.
„Einsteiger“ erhofften sich, dass ihnen Verschwörungserzählungen helfen würden, persönliche Krisen zu überwinden. Meist träfe es Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl, auch Angst und Ohnmachtsgefühle spielten hier hinein. Das „Zuwendungsmotiv“ sei in den meisten Fällen Langeweile, das „Bindungsmotiv“ Geborgenheit und Halt, Identität und Anerkennung.
Meilicke unterschied drei Gruppen: Da seien zum einen die Verschwörungsinteressierten, die diese Erzählungen noch nicht in ihr Welt- und Selbstbild integriert hätten. Bei der zweiten Gruppe, den Verschwörungsgläubigen, sei das schon passiert. Die Verschwörungsideologen profitierten davon und nutzen das für den eigenen Aufstieg aus.
Im Umgang mit der ersten Gruppe geht es laut Meilicke vor allem darum, gut zuzuhören und Fakten zu hinterfragen, gern mit Faktenchecks. Hilfreich sei eine gemeinsame Liste zu seriösen Quellen. Das könnte auch die Scham des Gegenübers senken, auf unseriöse Quellen hereingefallen zu sein. Meilicke warnte vor zu vielen, letztlich schwächer werdenden Argumenten. Es reichten drei gute. Und er riet von Statistiken ab: „Bringen Sie emotionale Geschichten!“, so die veritas-Erfahrung. Auf keinen Fall sollten Verschwörungserzählungen und ihre Details wiederholt werden, weil sie sich so festsetzten. Und: „Interessieren Sie sich für die sozialen Bedürfnisse und Gefühle Ihres Gesprächspartners.“
Im Gespräch mit Verschwörungsgläubigen sollten zunächst immer Ziel – will ich Dritte schützen oder mich selbst? –, Funktion und Setting definiert werden. Meilickes Appell hier: „Vermeiden Sie Faktendiskussionen und Debunking! Das bringt nichts, weil das Gegenüber das als Angriff auf die eigene Person wahrnimmt.“ Er riet zu konkreten Fragen und klaren Grenzen. „Setzen Sie Grenzen in Ich-Botschaften! Nicht: Du bist blöd“, sondern „Da kommen wir inhaltlich nicht zusammen. Das überfordert mich gerade. Bleiben Sie immer auf Augenhöhe und verzichten Sie auf Beleidigungen!“ Die Gespräche sollten nicht auf der Sachebene, sondern emotionsbasiert geführt werden. Etwa bei Corona: „Ich höre gerade ganz schön viel Angst heraus.“ Sinn mache es, gemeinsame Themen zu finden, zum Beispiel über Fotos oder Hobbies.
Von den Medien wünschte er sich hin und wieder einen Perspektivwechsel. So sollten auch Journalist*innen mitdenken, was mit Verschwörungsgläubigen passiere, wenn sich etwa Angehörige abwendeten.
Zugleich warnt Meilicke: Das Stresslevel von Verschwörungsgläubigen sei permanent erhöht, daraus folgten gesteigerte Aggressionen. Journalist*innen riet er dazu, auf sich selbst zu achten. Er vergleiche das gern mit der Ansage im Flugzeug: Wenn der Druck abfalle, zuerst sich selbst die Sauerstoffmaske aufsetzen und dann dem Nachbarn. Bei Recherchen im Milieu könnten „Tut-mir-gut!“-Listen am Kühlschrank helfen. Und der Austausch mit Kollegen: „Lass es raus!“