Ein gutes Angebot für 59 Cent pro Tag

NDR-Intendant Lutz Marmor, seit dem 1. Januar 2013 ARD-Vorsitzender, spricht mit M über den neuen Rundfunkbeitrag und aktuelle Aufgaben der ARD

Ihre Amtszeit als neuer ARD-Vorsitzender beginnt mit einem wahren Shitstorm der meisten Printmedien gegen den neuen Rundfunkbeitrag. Haben Sie damit gerechnet?

Lutz Marmor: "Nach meiner Wahrnehmung sie die (fetten Jahre des öffentlich-rechtlichen Rundfunks) schon lange vorbei. Foto: NDR / David Paprocki
Lutz Marmor: „Nach meiner Wahrnehmung sie die (fetten Jahre des öffentlich-rechtlichen Rundfunks) schon lange vorbei. Foto: NDR / David Paprocki

Lutz Marmor: Bei einer solch grundlegenden Reform lässt sich kaum vermeiden, dass manche Leute Fragen haben, dass solche, die tatsächlich mehr zahlen müssen, auch Unternehmen, sich beschweren. Es gibt ja auch viele, für die sich nichts ändert – die melden sich eher nicht. Das sind normale Vorgänge.

Ein vergleichbar moderates Zitat aus dem Berliner Tagesspiegel: „Der neue Beitrag stellt nicht die Grundversorgung der Bürger sicher, sondern die Überversorgung der Sender.“ Was meinen Sie dazu?

Den Eindruck einer Überversorgung kann ich so nicht teilen. Wir sind ein föderales Land, und das prägt unsere Struktur. Wir haben neun ARD-Anstalten und 16 Bundesländer. Dadurch machen wir ein gutes Angebot, das sich für 59 Cent pro Tag sehen und hören lassen kann. Nochmal zu den Beschwerden: Wenn Sie 42 Millionen Beitragskonten haben, das sind ja mehr Leute als die, die Steuern zahlen. Dass da das eine oder andere in Einzelfällen schief gehen kann, ist kaum zu vermeiden. Aber jeder Fehler ist einer zu viel. Und wir müssen alle Kraft daran setzen, dass diese Fehler korrigiert werden.

Nach jüngeren Umfragen finden es 60 Prozent der Bürger nicht gut, dass der Beitrag auf jeden Fall gezahlt werden muss, unabhängig vom Besitz eines Rundfunkgeräts. Handelt es sich am Ende doch um eine „Zwangssteuer“?

Nein. Diese Frage greift ja ein Detail der Gesamtregelung heraus. Auf unsere Frage „Befürworten Sie das neue Modell oder lehnen Sie es ab?“ haben 76,3 Prozent im Dezember 2012 gesagt, sie fänden die Veränderung insgesamt gut. Das ist beachtlich. Wenn Sie ein anderes Detail auswählen, bekommen Sie eine andere Antwort. Das ist nicht überraschend. So ist das mit Umfragen.

Geben Sie den Klagen der Gegner, wie etwa der Drogeriemarktkette Rossmann, eine Chance?

Ich bin kein Jurist. Wir leben in einem Rechtsstaat. Jeder hat die Möglichkeit, auch das Recht, dies überprüfen zu lassen. Da sich so viele Juristen mit diesem Staatsvertrag befasst haben, bin ich grundsätzlich optimistisch, dass am Ende ein positives Ergebnis auch für uns heraus kommt. Wenn’s aber nicht so sein sollte, dann wird man nachbessern. Der Gesetzgeber sieht ohnehin vor, nach zwei Jahren nochmals zu überprüfen, ob es Korrekturbedarf gibt.

Was passiert, falls sich am Ende doch ein erhöhtes Beitragsaufkommen ergibt?

Dann gäbe es verschiedene Möglichkeiten. Ausgeschlossen ist, dass wir das zusätzliche Geld einfach behalten. Die unabhängige Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) überwacht im Auftrag der Länder streng, was mit den Mitteln passiert. Falls Geld übrig bleibt, wäre es möglich, zu sagen, wir halten den Beitrag noch länger stabil. Löhne und Gehälter steigen, auch andere Kosten wie zum Beispiel die Energiekosten steigen inflationsbedingt. Das muss ja alles aufgefangen werden. Sollten wir aber erhebliche Mehreinnahmen haben, dann können die Länder empfehlen, den Beitrag zu senken. Das wäre eine gute Nachricht – auch für uns. Nur, ehrlich gesagt: Noch glaube ich nicht dran.

Seit dem 1. Januar dürfen die öffentlich-rechtlichen Anstalten nach 20 Uhr und an Sonn- und Feiertagen generell kein Programmsponsoring betreiben, mit der Ausnahme von Sport. Kann man die Mindereinnahmen, die dadurch erzielt werden, quantifizieren? Erwarten Sie Auswirkungen auf das Programm?

Es sind etwa 60 Millionen Euro pro Jahr, die für die gesamte ARD wegfallen. Das hat natürlich Auswirkungen, aber die haben wir in den Planungen bereits berücksichtigt. Auch die Beschäftigten müssen ihren Beitrag leisten. Löhne und Gehälter wachsen alles andere als in den Himmel. Wir orientieren uns am öffentlichen Dienst, und der hat in den letzten Jahren gegenüber anderen Branchen eher weniger Tarifsteigerungen bekommen. Dazu müssen wir leider in Teilen immer noch sozialverträglich Personal abbauen. Jeder Cent, jeder Euro, der uns fehlt, verschärft den Druck auf solche Maßnahmen.

Das ZDF baut 400 Stellen ab, auch bei einigen ARD-Anstalten quietscht es vernehmlich – sind die fetten Jahre des öffentlich-rechtlichen Rundfunks jetzt definitiv vorbei?

Nach meiner Wahrnehmung sind die schon lange vorbei. Der NDR hat schon seit längerem Personal abbauen müssen, weit vor dem ZDF. Wenn Sie wüssten, wie wir intern auch um kleinere Beträge ringen und diskutieren: Können wir uns jetzt diese oder jene Sendung leisten? Das geht vom Radio bis zum Fernsehen. Wir müssen schon jetzt Prioritäten setzen. In Teilen der Medien wird manchmal ein verzerrtes Bild gezeichnet: Wir haben sicherlich nicht vergleichbare Probleme wie einzelne Zeitungen oder Zeitschriften. Ich bedaure, dass der Journalismus es dort sehr schwer hat. Aber es ist keineswegs so, dass wir irgendwelche Wachstumsszenarien hätten. Sechs Jahre stabile Beiträge bei gleichzeitig weniger Beitragszahlern – das hat Auswirkungen.

Was halten Sie von der Entscheidung des Netzbetreibers Kabel Deutschland, nach der Kündigung von ARD und ZDF die ARD-Angebote bei der Einspeisung einzuschränken?

Es ist bedauerlich, dass dieser Streit auf dem Rücken unserer Kunden ausgetragen wird. Wir sprechen miteinander, gleichzeitig wird das jetzt juristisch geklärt. Ich hoffe, dass am Ende die Vernunft siegt. Rechtlich ist es zulässig, was die KDG gemacht hat, aber es sind unsere gemeinsamen Kunden, und die sollte man nicht verprellen.

Vor einiger Zeit haben einzelne ARD-Intendanten die Höhe ihrer Bezüge offen gelegt. Warum passiert das nicht auch mit den Bezügen von Starmoderatoren wie Günther Jauch, Anne Will und Sandra Maischberger?

Ich habe das ja freiwillig getan. Aber hier geht es um Verträge mit Dritten, die ihrerseits auch Persönlichkeitsrechte haben. Es geht auch um Wettbewerb. Haben Sie etwa jemals herausgekriegt, was Günther Jauch bei RTL verdient hat? Wir haben unseren Gremien alle Zahlen offengelegt. Wir brauchten die Zustimmung. Unser Rundfunkrat besteht aus 58 Vertretern gesellschaftlicher Gruppen. Die Gremienmitglieder des Norddeutschen Rundfunks haben diesen Vertrag inklusive der Honorare gesehen und dann zugestimmt. Ich wüsste nicht, was da intransparent ist. Wir können den Vertrag nur nicht öffentlich machen. Ist ja leider doch öffentlich geworden, aber in diesem Fall nicht über die NDR-Gremien.

Das Erste belegte 2012 in der Publikumsgunst Rang 3, mit geringem Abstand hinter dem ZDF und den Dritten Programmen. 2013 gibt es keine quotenträchtigen Sportereignisse wie die Fußball-EM oder Olympische Spiele. Verspüren Sie schon Panik?

Nein, ganz im Gegenteil. Es geht hier um Abstände von 0,1 bis 0,3 Prozentpunkten. Gleichzeitig wird uns immer eingeschärft: Schaut bloß nicht nur auf die Quoten. Da sollte man auch das Maß wahren. Natürlich wollen wir mit unseren überwiegend guten Programmen möglichst viel Publikum erreichen. Das ist ein ganz normaler Antrieb jedes Journalisten, jedes Machers. Das darf aber nicht um jeden Preis geschehen. Im laufenden Jahr sind die beiden öffentlich-rechtlichen Sender, das ZDF und das Erste, glänzend gestartet. Der „Tatort“ funktioniert so gut wie noch nie, die „Tagesschau“ wird sehr gut eingeschaltet. Wir haben montags den „Markencheck“, danach „Hart aber Fair“ mit Plasberg, am Dienstag unsere Serien, die sehr gut laufen. Wann gab es das mal, dass an einem Montag Günther Jauch mit „Wer wird Millionär?“ hinter dem Ersten und dem ZDF landete. Von Panik kann daher keine Rede sein. Da müssen sich wohl eher andere Sorgen machen.

Bei der Ansprache des jugendlichen Publikums wollen ARD und ZDF künftig zusammenarbeiten. Wie konkret sind die Pläne für den gemeinsamen digitalen Jugendkanal?

Wir gehen mit Nachdruck daran, für die Digitalkanäle ein zukunftsfähiges Konzept zu entwickeln. Ich bin froh, dass die ARD sich auf eine einheitliche Linie geeinigt hat. Wir gehen jetzt auf Augenhöhe in die Gespräche mit dem ZDF. Zunächst geht es um das Programmkonzept, erst dann kann man über Finanzfragen und Ähnliches reden. Voraussetzung ist überdies ein Auftrag der Länder. Wir können nicht einfach anfangen, ein solches Programm zu produzieren. Aber wir werden uns sicher unterscheiden müssen von Angeboten, die andere auf dem Markt für junge Leute machen.

Könnte es auf die Fusion von ARD Eins Plus mit ZDFkultur hinauslaufen?

Das liegt durchaus im Rahmen des Möglichen. Die ARD wäre grundsätzlich bereit, die Kapazität, die wir bei Eins Plus haben, da einzubringen, vom Geld bis zu den Kolleginnen und Kollegen – die machen schon ein sehr junges Programm.

Das Erste hat im vergangenen Jahr in Sachen Tagesschau-App eine juristische Teilniederlage erlitten. Wie weit ist der Umbau dieser App fortgeschritten?

Wir haben in der ersten Instanz nicht so abgeschnitten wie erhofft. Das hat mich überrascht, aber wir gehen in Berufung. Das, was wir jetzt bei der Tagesschau-App verändern, hat mit diesem Urteil nichts zu tun. Bei unseren Apps wie auch generell bei unserem Netzangebot müssen Videos und Audios in ihrer Anmutung wesentlich stärker als bisher in den Mittelpunkt gestellt werden. Daran arbeiten wir, aus zweierlei Gründen: Es ist nicht gut, wenn sich die Vertreter des Qualitätsjournalismus gegenseitig die Köpfe einhauen, daher sind wir an einer Verständigung mit den Verlegern interessiert. Aber auch aus Eigeninteresse: Wir müssen unsere Stärke, die Videos, im Netz und bei mobilen Angeboten weiterentwickeln. Und wir geben den Sendungsbezug an. Das weitaus meiste, das auf tagesschau.de oder bei der App läuft, ist schon gesendet worden, und der Gesetzgeber verlangt, das dann auch auszuweisen.

Talkformat-Overkill – viele meinen, fünf Talks im Abendprogramm seien zu viel. Können Sie bestätigen, dass eine AG innerhalb der ARD die aktuellen Talkformate evaluieren soll, um herauszufinden, welches eventuell verzichtbar ist?

Nicht mit dem Ziel, herauszubekommen, was verzichtbar ist – es ist einfach eine ergebnisoffene Analyse. Es gibt in den Gremien und auch in der Öffentlichkeit Diskussionen, und wir sind nicht so borniert, dass wir so etwas nicht zur Kenntnis nehmen. Es kann dabei herauskommen, dass alle fünf bleiben. Oder dass es demnächst eine weniger wird. Diese Debatte wird faktisch schon seit der ersten Talkrunde so geführt. Manche Kritik war berechtigt, wurde aber von den Talkern längst aufgegriffen. Gerade jetzt sind die Talks wieder in guter Verfassung. Wenn ein Medienjournalist über Talks schreibt, muss er eigentlich immer alle fünf gucken. Das ist aber nicht typisch für den Zuschauer. Mir ist es jedenfalls lieber, fünf Spitzentalker und -talkerinnen zu haben als nur einen. Das Gespräch gehört zum politischen Diskurs. Das kann mal gelingen, mal nicht so gelingen, aber das ist bei Live-Sendungen unvermeidlich.

Vita Lutz Marmor

Lutz Marmor, Jahrgang 1954, war seit dem 1. August 2006 beim WDR als Verwaltungsdirektor und stellvertretender Intendant tätig. Im Januar 2008 löste er seinen langjährigen Vorgänger Jobst Plog ab und wurde Intendant des Norddeutschen Rundfunks. Seit Anfang 2013 ist er Vorsitzender der ARD.

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