Radio Progreso: Bastion der Kritik in Honduras

Klare Ansage gegen rassistische, frauenfeindliche und homophobe Sprache beim Radio Progreso. Foto: Knut Henkel

Staatliche Werbeanzeigen gegen eine regierungsfreundliche Berichterstattung – das ist der Deal, auf den sich viele Medienhäuser in Honduras einlassen. Nicht so Radio Progreso. Der von Jesuiten gegründete Sender ist bekannt für seinen unabhängigen und kritischen Journalismus und damit eine Ausnahme in dem zentralamerikanischen Land. Denn dort gibt es bislang keine Fortschritte in der Pressefreiheit. Journalist*innen sind enttäuscht von Präsidentin Xiomara Castro.

Gerade ist es etwas ruhiger in den Redaktionsräumen von Radio Progreso. Nur eine der vier Sendekabinen ist besetzt, mehrere Schreibtische in der Redaktion sind leer. Iolany Pérez geht das Programm für die kommenden Tage durch. Sie ist eine der Leiterinnen des honduranischen Radioprogramms, das landesweit für seine kritische Berichterstattung bekannt ist – etwa, wenn es um den Ausnahmezustand geht, der über die beiden Metropolen des Landes verhängt wurde. Damit sollte die Bandenkriminalität bekämpft werden. 

Vor dem modernen, zweigeschossigen Bau am Bulevar Canaán in der honduranischen Provinzstadt El Progreso stehen mehrere Fahrzeuge mit dem Logo des 1956 gegründeten Radiosenders, der denselben Namen wie die Stadt trägt. Der Sender teilt sich das Bürogebäude mit Eric-SJ. So heißt das Forschungsinstitut, das sich seit seiner Gründung 1980 zu einem international angesehenen Think-Tank im Bereich Menschen- und Umweltrechte in Honduras entwickelt hat. Seine fundierten Studien über das Wahlsystem, die Nominierung von korrupten Richter*innen und Staatsanwält*innen sowie über die Manipulation von Umweltschutz-Vorgaben gehen oft zuerst an Radio Progreso. Die Kolleg*innen bereiten das Material auf und verbreiten es landesweit über die Frequenz FM 103,3 und meist auch online.

Die 38-jährige Iolany Pérez leitet gemeinsam mit ihrer Kollegin Lesly B. Frazier die Radiostation. Die beiden Frauen sind bei dem kritischen Sender, der sich rund 50 Kilometer von HondurasIndustriemetropole San Pedro Sula entfernt befindet, groß geworden. Die eine ist von der Schulbank direkt im Volontariat in der Redaktion gelandet, die andere hat ein Schnupperpraktikum in der Redaktion bei einer Schreibwerkstatt an ihrer Schule gewonnen und ist geblieben.

Gegenpol zum oft staatlich beeinflussten Mediensektor

Ungewöhnliche Biografien, die zu dem ungewöhnlichen Sender mit christlichem Background passen. Radio Progreso ist in Honduras ein Synonym für kritische, unabhängige Berichterstattung und bildet mit bis zu 1,5 Millionen Hörer*innen einen Gegenpol zum privatwirtschaftlich strukturierten und oft staatlich beeinflussten Mediensektor. „Wir akzeptieren keine Werbeanzeigen vom Staat. Viele andere Redaktionen sind quasi abhängig von deren Anzeigen und das hat dafür gesorgt, dass die 2021 abgewählte Regierung von Juan Orlando Hernández de facto die Medien kontrollierte, schildert Iolany Pérez das Grundproblem. „Anzeigen gegen Abdruck und Ausstrahlung der Regierungsansichten war die Devise, ergänzt Lesly B. Frazier und lässt den Zeigefinger ihrer rechten Hand energisch von links nach rechts pendeln.

Mit uns nicht, heißt das. Dieses Prinzip zeichnet den von Jesuiten gegründeten Sender und das dazugehörige Forschungsinstitut Eric-SJ aus. Beide werden von kirchlichen Trägern und internationalen Nichtregierungsorganisationen unterstützt, was ihnen finanzielle Unabhängigkeit garantiert – ein immenser Vorteil im honduranischen Mediensektor.

Das bestätigen auch unabhängige Kollegen wie Dina Meza aus der Hauptstadt Tegucigalpa. Die Redaktionsleiterin des auf Menschenrechtsthemen spezialisierten Online-Mediums Pasos del Animal Grande (Spuren des großen Tieres) kümmert sich gerade mit der honduranischen Journalist*innenvereinigung Colegio de Periodistas darum, zwei Kollegen in Sicherheit zu bringen. „Sie werden nach regierungskritischen Berichten von Maras bedroht, sagt Dina Meza. Maras heißen die organisierten Banden in Mittelamerika, die für Drogenschmuggel, Erpressung und Entführung verantwortlich sind. Worum es genau geht, weiß Meza noch nicht. „Die Zusammenhänge kann ich noch nicht beurteilen. Erst einmal müssen wir das Geld aufbringen, um die Kollegen ins Ausland zu bringen.

Schutzmechanismus funktioniert nicht

Klar ist hingegen, dass es unter der ersten demokratisch legitimierten Frau im Präsidentenpalast, Xiomara Castro, keine Fortschritte für kritische Berichterstatter*innen gibt. Diese Einschätzung teilt der langjährige Leiter von Radio Progreso, Padre Melo alias Ismael Moreno. „Es fehlt am politischen Willen, um grundlegende Reformen durchzusetzen, sagt er. Der nicht funktionierende Schutzmechanismus für Journalist*innen sowie für Menschenrechtsaktivist*innen, Queer-Aktivist*innen oder Minderheiten sei dafür das beste Beispiel. Padre Melo macht keinen Hehl daraus, dass er im Falle einer Bedrohung eines Mitarbeitenden lieber Hilfe im Ausland als im Inland suchen würden.

Das liege vor allem daran, dass das neue, im Laufe des vergangenen Jahres eingestellte Personal im Menschenrechtsministerium nicht gut eingearbeitet wurde, kritisieren Padre Melo und Reporter ohne Grenzen (RSF). In der RSF-Rangliste der Pressefreiheit rückte das mittelamerikanische Land weiter nach unten und findet sich 2023 auf Rang 169 von 180. Obendrein fehle es am Geld für die Umsetzung von Sicherheitsmaßnahmen, zu der Wohnungswechsel, elektronische Sicherheitstechnik, die Verwendung gepanzerter Fahrzeuge oder der Einsatz von Bodyguards gehören. „All das sorgt dafür, dass sich die Situation der Berichterstatter*innen nicht verbessert hat, sagen Padre Melo und Dina Meza. Sie haben mehr erwartet von der Regierung Xiomara Castro. Radio Progreso macht regelmäßig darauf aufmerksam.

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