Honduras: Scharfe Kritik an Ministerin

Die honduranische Ministerin für Menschenrechte Natalie Roque steht in der Kritik wegen ihres Umgangs mit Aktivist*innen – hier auf einer Presskonferenz im Dezember 2021 in Tegucigalpa. Sie war 2022 von der neuen Präsidentin Xiomara Castro zur Ministerin ernannt. Foto: Orlando Sierra/AFP

Seit ihrer Vereidigung im Januar dieses Jahres steht Präsidentin Xiomara Castro für den Wandel in Honduras. Mit der Nominierung ihrer persönlichen Freundin Natalie Roque als Ministerin für Menschenrechte hat sich die Staatschefin allerdings keinen Gefallen getan. Eine Ministerin, die Menschenrechtsaktivist*innen beschimpfe, mit fragwürdigen Personalentscheidungen ihr Ministerium schwäche und den Schutzmechanismus für Journalist*innen, Umwelt-, Bürgerrechtsaktivist*innen faktisch lähme, sei nicht tragbar, monieren Kritiker*innen, darunter Reporter ohne Grenzen.

Denilson Barrientos ist froh, dass er das Ministerium für Menschenrechte in  Tegucigalpa, der Hauptstadt von Honduras, nicht mehr betreten muss. Anders als seine 14 Kolleg*innen, die am 12. August von Ministerin Natalie Roque fristlos gekündigt wurden, hat Barrientos am 18. Juli selbst gekündigt und auch keinen Hehl aus den Gründen gemacht. „Natalie Roque hat mich verbal angegriffen, versucht einzuschüchtern und mich öffentlich aufgrund meiner sexuellen Neigung bloßgestellt. Das ist in Honduras gefährlich“, sagt Barrientos.

Mindestens 25 Morde an LGBTIQ-Aktivst*innen hat es allein seit Januar 2022 in dem zentralamerikanischen Land gegeben. Barrientos ist ein bekannter Aktivist in der Szene. Drei Monate hat er im Ministerium unter Natalie Roque gearbeitet und dabei mehrere Abteilungen durchlaufen sowie an etlichen Sitzungen teilgenommen. Auch in jenen, wo es um den Schutzmechanismus für Journalist*innen, Umwelt-, Menschenrechts- oder eben LGBTIQ-Aktivist*innen ging.

Der Mechanismus, 2015 von der Zivilgesellschaft erstritten, ist das wichtigste Instrument des Landes, um diejenigen zu schützen, die in Honduras in den Fokus von Auftragskillern, der verrufenen Militärpolizei oder gewöhnlichen Kriminellen geraten. Jahrelang war er aufgrund fehlender Mittel ineffektiv, wie eine im Februar 2022 veröffentlichte vergleichende Studie von Reporter ohne Grenzen belegt. Darin werden die staatlichen Mechanismen zum Schutz von Medienschaffenden in Honduras, Kolumbien, Brasilien und Mexiko unter die Lupe genommen.

Das Ergebnis fällt für Honduras, das auf der Rangliste der Pressefreiheit Rang 165 von 180 Ländern belegt, mies aus. Es bescheinigt den Institutionen, zu langsam zu entscheiden, wenn es um den konkreten Schutz geht. Zudem wurde auf den Mangel an personeller und finanzieller Ausstattung hingewiesen. Daran hat sich unter der im Januar vereidigten Regierung der ersten Präsidentin des Landes, Xiomara Castro, wenig geändert – trotz verbalen Bekenntnisses zum Schutz der Menschenrechte.

Verantwortlicher für Schutzmechanismus entlassen

Dabei spielt Natalie Roque, Freundin der Präsidentin, eine zentrale Rolle. Die Historikerin hat wenig bis keine Erfahrung in der Menschenrechtsarbeit und führt das Ministerium mit diktatorischer Hand, wie Dina Meza kritisiert. Die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin ist gewählte Vertreterin vom Rat zum Schutz der Zivilgesellschaft, dem Gremium, in dem alle relevanten Menschenrechtsorganisationen vereint sind und dessen gewählte Vertreter*innen den Auftrag haben, das Ministerium bei der Auswahl der gefährdeten und zu schützenden Personen zu unterstützen.

Das sei de facto aber kaum möglich, sagt Meza. „Die Ministerin hat den Verantwortlichen für den Schutzmechanismus entlassen, eine neue Verantwortliche eingestellt, die nach ihren Weisungen handelt, wobei mehrfach Entscheidungen von Leuten getroffen wurden, die dazu laut den gesetzlichen Vorgaben nicht autorisiert sind“, kritisiert sie.

Schlimmer noch: Eine Kollegin, die zu Menschenhandel recherchiert, wurde verfolgt und beschossen. Meza betreut diese Kollegin und kritisiert, dass die Reporterin keine staatlichen Schutzmaßnahmen wie eine sichere Wohnung, Bodyguards und einen Fahrdienst erhalten habe. Meza fühlt sich genauso wie Donny Reyes, ihr gewählter Kollege aus dem Rat zum Schutz der Zivilgesellschaft, im Ministerium beobachtet und überwacht. „Militärpolizisten und dubiose Sicherheitsdienste haben hier Zugang. Das ist ein verheerendes Signal“, sagt Reyes.

Der 47-Jährige ist Vertreter der LGBTIQ-Organisation Arcoiris – zusammen mit Denilson Barrientos, dem früheren Mitarbeiter des Ministeriums. Reyes ist mehrfach Opfer von Gewalt der martialisch auftretenden Militärpolizei geworden, der zahlreiche Gewalttaten gegen Aktivist*innen der LGBTIQ-Bewegung zur Last gelegt werden. Natalie Roque hat Reyes mehrfach als „Maricón“, als Schwulen, bezeichnet. Das bestätigt auch Dina Meza.

Denilson Barrientos und Dina Meza werfen Ministerin Roque außerdem vor, dass der Schutzmechanismus nicht funktioniert. Das kritisiert auch Reporter ohne Grenzen: Es sei ein Skandal, dass das honduranische Schutzprogramm, das ohnehin über viel zu geringe finanzielle Mittel verfüge, mehr als zwei Drittel seines Personals eingebüßt habe, so RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. Das habe de facto zu einer Lähmung des Schutzprogramms geführt. Eine Einschätzung, die auch Denilson Barrientos teilt. Dafür scheint es eine zentrale Verantwortliche zu geben: die zuständige Ministerin.

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