Provokateur Journalist?

München: Rechtsextreme behindern Berichterstatter – die Justiz schaut zu

Journalisten wollten über einen Gerichtsprozess gegen einen bekannten Neonazi berichten, wurden dabei aber von dessen Anhängern bedrängt und bei der Arbeit behindert. Justizbeamte schritten gar nicht oder nur zögerlich ein. Als Konsequenz erwägt nun der Präsident des Amtsgerichts München, ein Fotoverbot zu verhängen.

Anfang Januar bekamen mehrere Journalisten deutlich zu spüren, dass ihre Anwesenheit unter gewissen Gästen des Amtsgerichts München deutliches Unbehagen auslöste. In dem Prozess musste sich der bekannte Neonazi Norman Bordin für das Abspielen des Paulchen-Panther-Lieds während einer Demonstration verantworten. Der NSU hatte diese Melodie in einem Bekenner-Video verwendet.
Vor und nach der Verhandlung wurden mehrere Medienvertreter von Anhängern des Rechtsextremen massiv bei der Arbeit behindert. Die Objektive von Fotografen wurden mehrfach mit einer wachsähnlichen Paste beschmiert, wie zufällig wurden Journalisten von den Rechtsextremen angerempelt und der Weg versperrt. Dies ereignete sich jedoch nicht etwa in einer schwer einsehbaren Straße auf dem Weg zum Gericht, sondern mitten im Verhandlungssaal. Vor laufenden Kameras und in Anwesenheit mehrerer Justizwachmeister.

Kamera beschmiert

„Wir erleben gerade ein Austesten der Szene des Freien Netz Süd, wie weit sie im Gerichtssaal ohne Sanktionen gehen können“, sagte die Grünen-Landtagsabgeordnete Susanna Tausendfreund gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Weder wurden die Störer des Saales verwiesen, noch wurden von allen Beteiligten die Personalien aufgenommen.
Das Medienmagazin „ZAPP“ des Norddeutschen Rundfunks veröffentlichte am 9. Januar Aufnahmen aus dem Gericht, die eindeutig belegen, wie passiv sich die Beamten verhalten. Im Foyer des Justizgebäudes konnte die Kamera eines Teams der Sendung „Quer“ des Bayerischen Rundfunks ungehindert beschmiert werden. Die Angreifer wurden weder gehindert noch festgehalten, um ihre Personalien aufzunehmen. ZAPP bat daraufhin Gerhard Zierl, Präsident des Amtsgerichts München, um eine Stellungnahme zu den Vorfällen. Doch wer nun mit Rechtfertigungsversuchen oder gar einer Entschuldigung rechnet, wird enttäuscht.
Gerichtspräsident Zierl spricht in dem Interview von einer „Deeskalation“, nachdem er auf die Passivität und das Nichteinschreiten der im Saal anwesenden Justizwachmeister angesprochen wurde. Die Justiz stellt sich schützend vor die Gruppe Rechtsextremer – dass Journalisten konkret an der Ausübung ihrer Arbeit behindert werden, scheint kein Problem darzustellen.
Zierl nimmt die Gerichtsmitarbeiter in Schutz: „Es ist weder strafbar noch sonstwas, es ist vielleicht nicht schön.“ Die Wachmeister hätten sich „geradezu besonnen und vorbildlich verhalten“. Auch auf die beschädigten Kameras angesprochen, hat der Gerichtspräsident eine Antwort parat: „Wenn dort keine Kameras gewesen wären und keine Fotos, hätten wir diese Konfrontation nicht gehabt.“ Zudem wolle er möglicherweise ein „Film- und Fotografierverbot verhängen“, damit die „Sicherheit und Ordnung im Gerichtssaal“ aufrechterhalten werden könne. Sprich: Die Berichterstattung der Presse soll eingeschränkt werden, damit Neonazis sich nicht provoziert fühlen. Aus Opfern werden so Täter gemacht.
In Artikel 3 des Bayerischen Pressegesetzes heißt es: „Die Presse dient dem demokratischen Gedanken. Sie hat in Erfüllung dieser Aufgabe die Pflicht zu wahrheitsgemäßer Berichterstattung und das Recht, ungehindert Nachrichten und Informationen einzuholen, zu berichten und Kritik zu üben.“ Zwar sei es laut rechtambild.de grundsätzlich möglich, zum Schutze der allgemeinen Ordnung im Gerichtssaal das Fotografieren zu verbieten. Allerdings heißt es in einer Entscheidung des BGH auch: „Denn die Pressefreiheit umfasst grundsätzlich auch das Recht der Medien, selbst zu entscheiden, ob und wie ein Presseerzeugnis bebildert wird.“

Demokratie-Niederlage

Zum generellen Umgang von bayerischen Behörden mit Medienvertretern hat der Journalist Johannes Hartl in einem Kommentar Stellung bezogen: „Wer in Bayern über Neonazis berichtet, ist durchaus einiges gewöhnt – insbesondere der Umgang mit der Polizei und deren Pressesprecher stellt sich oftmals überaus problematisch dar.“ Hartl geht noch einen Schritt weiter: Sollte die Idee des Präsidenten des Amtsgerichts in die Tat umgesetzt werden sei dies als eine „Niederlage für die Demokratie“ zu betrachten.
Auch bei Twitter und Facebook verbreiten sich die skurrilen Aussagen des Präsidenten in Windeseile: „Jemand mit so wenig Verständnis für die Bedeutung der freien Presse in einer Demokratie darf kein Gericht leiten“, bringt es ein Kommentator auf den Punkt. Der Bayerische Rundfunk erklärte gegenüber ZAPP, dass er prüfe, ob er gegen die Kamerabeschmierer Anzeige erstatte.

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www.endstation-rechts.de

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