Damit musst du halt klar kommen.“ So oder so ähnlich. Eine Antwort, die viele Journalist*innen lange als Reaktion kannten, wenn sie zum Ausdruck brachten, dass sie mit einem Gegenstand in der Berichterstattung nicht zurechtkamen. Oder wenn der Stress des Produktionsdrucks in der Redaktion ihnen Probleme bereitete. Wenn sich der berufliche Kontakt mit Menschen, die Gewalterfahrungen machen mussten, auf die eigene Psyche auswirkte. Aber auch, wenn sich innerhalb strikter Hierarchien in den Medienhäusern wenig Raum fand, akute Belastung oder Mobbing zu thematisieren, es an Ansprechpartner*innen unter den ebenfalls gestressten Kolleg*innen mangelt.
„Es hat sich in den letzten Jahren viel getan“, sagt dazu Pascale Müller. Müller hat lange als Investigativjournalistin gearbeitet und unter anderem preisgekrönte Reportagen zu sexualisierter Gewalt gegenüber Erntehelferinnen in Spanien, Marokko und Italien verfasst. Im Jahr 2018 wurde sie mehrfach als Pressevertreterin bei rechtsextremen Demonstrationen von Teilnehmern angegriffen. Vor dem Hintergrund ihrer Arbeit und ihren Erfahrungen gibt sie Seminare an Journalismus- und Hochschulen zur Frage des Umgangs mit Trauma im Journalismus.
Zwei Richtungen seien dabei zu unterscheiden, so Müller: „Erstens, wie betrifft es mich persönlich, wenn ich mit Stress und Druck konfrontiert bin und mit Themen wie Hass, Krieg, Tod, Gewalt. Dazu kann aber auch gehören, mitzuerleben, wie junge Kolleg*innen Themen beackern müssen, für die sie noch gar nicht das Rüstzeug haben. Und zweitens: Wie gehe ich mit den Traumata meiner Protagonist*innen um?“ Sie kenne selbst die Unsicherheit, ob es unter dem Eindruck starker Gefühle überhaupt möglich ist, ein gutes Interview zu führen, so die Journalistin. Eigene Erfahrungen begegnen ihr in ihren Workshops, die sie gibt, wieder: „Es gibt viel Angst, etwas ganz doll kaputt zu machen.“
Traumasensibler Journalismus
Dabei sei ein gutes Interview zu führen zunächst einmal „eine technische Frage“. Es „menschlich“, mit einer „guten, wertschätzenden Beziehung“ zu den Gesprächspartner*innen zu führen, zeuge von beruflicher Kompetenz. „Es galt lange als nahezu unprofessionell, zu sagen ‚Es macht was mit mir, was ich erlebe‘“, erklärt Müller. „Inzwischen haben wir einen Shift hin zu ‚Es ist unprofessionell, das nicht zu sagen oder nichts damit zu machen‘.“ Das Bewusstsein wachse: Traumasensibler Journalismus heißt nicht, dass ein Thema „weichgespült“ werde, sondern Gegenstand und Gesprächspartner*in Respekt erfahren. Dabei gehe es nicht nur um Situationen in „Syrien oder im Irak“, sondern ebenso um Erfahrungen rechter Gewalt auf dem Land oder um die Alltäglichkeit von Flucht und Migration, macht Müller klar.
Kostenlose Beratung für mentale Gesundheit
So beschreibt es auch das Helpline-Projekt des Vereins Netzwerk Recherche: Man muss kein*e Kriegsreporter*in sein, um psychisch belastende Situationen in der journalistischen Arbeit zu erleben. Unglücke, Verkehrsunfälle, Verbrechen – Geschichten und Ereignisse, die jede*r Journalist*in auch als Mensch nahegehen, werden häufig mitgenommen in die Freizeit oder das Nahumfeld.
Das Konzept einer kostenlosen telefonischen Beratung zur Unterstützung von Journalist*innen mit psychosozialen Problemen hat ein Team von Netzwerk Recherche zusammen mit dem Dart Centre for Journalism and Trauma Europe seit 2021 entwickelt. Auch Pascale Müller ist dafür um ihre Expertise gebeten worden. Grundlage des Angebots ist eine Peer-to-Peer-Beratung, also das Gespräch Hilfesuchender mit psychologisch geschulten Kolleg*innen. Die derzeit 14 Journalist*innen, die die Anrufe entgegennehmen, haben eine Weiterbildung absolviert, die auf das Projekt zugeschnitten ist und zusammen mit der psychologischen Psychotherapeutin Friederike Engst entwickelt wurde. Jede*r mit Belastungsgefühlen in der Arbeit an einem journalistischen Produkt kann die Helpline anonym anrufen und sich Unterstützung holen.
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Vielen helfe allein schon dass jemand zuhört, berichtet Projektleiter Malte Werner. Nach und nach komme dann im Gespräch an die Oberfläche, wie genau die Probleme gelagert sind. Da die Anrufe bereits in der Testphase evaluiert wurden, wisse man, dass auf jeden Fall mehr Frauen anrufen. Im Durchschnitt dauerten die Gespräche 40 Minuten, beruflicher Stress sei der Hauptgrund vieler Anrufe. „Die meisten kommen von Zeitungen und aus dem Online-Bereich und sind oft festangestellt, es sind aber auch viele Freie dabei“, fasst es Werner zusammen.
Prävention vermeidet Berufsflucht
Auch der Projektleiter ist sich sicher, dass in den Redaktionen „ein Kulturwandel“ eingesetzt habe. Vor allem in großen Medienhäusern werden schon länger Ressourcen für psychologische Unterstützung und traumasensiblen Journalismus bereitgestellt – diese fehlten aber häufig in den mittleren und kleineren Redaktionen. Gerade junge Kolleg*innen machen dort auf das Problem aufmerksam und treiben Veränderung voran, sofern dies nicht durch Chefredaktion oder engagierte Betriebsräte geschehe. Das trifft sich auch mit den Erfahrungen von Pascale Müller. „Erst einmal für das Thema zu sensibilisieren ist weniger aufwändig als man denkt“, meint sie dazu. Übermäßig teuer seien die Seminare, die sie und andere Kolleg*innen geben, schließlich nicht. Und viele Situationen von Burn-Out und Posttraumatischen Belastungsstörungen bis hin zur Berufsflucht seien so langfristig zu vermeiden.
Doch die Finanzierung der Helpline gestaltet sich schwierig. Zunächst halfen die Süddeutsche Zeitung und später auch der SPIEGEL aus, die Kosten für das Projekt zu tragen. Aber ein Aufruf an 300 Redaktionen, sich mit jährlich 300 Euro an den Kosten der Helpline zu beteiligen – „Dann wären wir ausfinanziert gewesen“, so Malte Werner – hatte kaum gefruchtet. Dabei habe es niemanden gegeben, der nicht gesagt hätte, was für ein tolles Projekt das sei, erinnert sich Werner. Inzwischen sind sieben Förderer an Bord.
Der Ausweg aus dem Hamsterrad
Umso erleichternder die Nachricht, dass die Helpline im Februar für ein Förderprogramm der Bundesregierung ausgewählt wurde. Eine unabhängige Jury sprach sich im Rahmen der zweiten Förderrunde des Programms zum Schutz und zur strukturellen Stärkung journalistischer Arbeit in Deutschland aus dem Bundesministerium für Kultur und Medien (BKM) dafür aus. Bisher sind die Leitungen viermal zwei Stunden in der Woche freigeschaltet. Mit der anderthalbjährigen Förderung durch das BKM wird das Angebot ausgebaut werden können. Dennoch muss das Projekt zusätzlich zu der Fördersumme von rund 209.000 Euro rund 52.000 Euro Eigenmittel auftreiben. „Unser Ziel ist es, dass die Helpline irgendwann nicht mehr gebraucht wird. Wenn in fünf Jahren alle Redaktionen ihre eigenen Programme haben, wären wir glücklich“, sagt Malte Werner.
Entlastung durch kollegialen Austausch
„Ich habe selbst gemerkt, wie sehr der Druck unter meinen Kolleginnen und Kollegen steigt, wie stark alle gestresst sind, aus dem Hamsterrad eigentlich gar nicht mehr rauskommen und nur noch gucken, dass sie ihren Workload irgendwie bewältigen“, sagt auch Ute Korinth, die bei der Helpline Anrufe entgegennimmt. Die Idee dazu habe sie sofort überzeugt. „Wir fragen uns zu selten, wie es uns geht und wenn da jemand in der Leitung ist, der auch aus diesem Bereich kommt und besser nachvollziehen kann, was dich gerade bewegt oder was du vielleicht durchmachst, dann ist das unheimlich wertvoll“, so die erfahrene Journalistin.
Viele Anrufer*innen seien dankbar und fühlten sich deutlich entlastet, auch wenn, so Korinth, „wir keine Diagnose stellen und auch keine Therapie ersetzen können.“ Ausnahmslos alle der Peer-Berater*innen hätten Erfahrungen gemacht, bei denen sie sich ein solches oder ähnliches Angebot gewünscht hätten. Und das allein bestätigt wohl auch, wie sehr das Projekt derzeit gebraucht wird.