Mit einer staatlichen Zustellförderung wollte die Ampel-Regierung das drohende Zeitungssterben stoppen. Doch das im Koalitionsvertrag angekündigte Vorhaben wurde aufgrund knapper Haushaltsmittel gecancelt. Jetzt gibt es einen neuen Vorschlag, wie gegen die Ausdünnung der Medienvielfalt vorgegangen werden könnte. Über einen „Demokratiepass zur Medienförderung“ diskutierten am letzten Tag der Digitalkonferenz re:publica Expert*innen aus Wissenschaft und Politik.
Das analoge Geschäftsmodell der Printmedien scheint am Ende. In einigen Regionen – etwa in der Prignitz oder im Osten Thüringens – stellen Verlage wie Madsack oder die Funke-Gruppe auf „Digital only“ um: Druck und Vertrieb von Zeitungen sind schlicht nicht mehr rentabel. Weiße Flecken in der Lokalberichterstattung, darauf deuten erste Studien hin, begünstigen jedoch den Aufstieg der AfD.
Gutscheinsystem für Medien
Was tun, um freie Information und Meinungsbildung als Voraussetzung von demokratischer Teilhabe zu ermöglichen? Ein Demokratiepass in Form eines Gutscheinsystems für demokratiefördernde Medien – könnte das eine Lösung sein? Mit öffentlichen Mitteln Medien stärken, Menschen informieren und auf diese Weise die Demokratie retten – klingt irgendwie zu schön um wahr zu sein. Wie so oft liegen auch bei dieser Idee die Tücken im Detail.
Björn Staschen, Medienwissenschaftler und langjähriger NDR-Mitarbeiter, skizzierte in groben Zügen, wie ein solches Modell beschaffen sein könnte. Der Staat zahle Elterngeld, Pendlerpauschalen und manches mehr. Warum versetze er die Menschen nicht in die Lage, sich vernünftig zu informieren, um an Demokratie teilhaben zu können?“, so seine rhetorische Frage. Sein Vorschlag: Die Kommune, das Bundesland, der Staat geben den Bürger*innen ein jährliches Budget. Aus dem können sie den Zugang zur Information und Meinungsbildung bezahlen.
Könnte, müsste, sollte
Die Bürger*innen könnten entscheiden, für welche Medien sie dieses Geld ausgeben. Einschränkung: Die Empfängermedien müssen „in irgendeiner Weise Demokratie und Gesellschaft stärken“. Staschen: „Es würde ja wenig Sinn ergeben, mit Staatsknete den Kauf der ´Jungen Freiheit´ oder der Bild-Zeitung zu ermöglichen.“ Wer aber entscheidet darüber, was förderungswürdig ist und was nicht? Entsprechende Kriterien müsse ein unabhängiges Gremium entwickeln, zum Beispiel eine Art „Digitalrat“.
Utopie oder praktische Idee? Thorsten Thiel, Professor für Demokratieförderung und Digitalpolitik an der Uni Erfurt befand, der soziale Wert politischer Informiertheit werde sehr viel höher eingeschätzt als der ökonomische Wert. Aber die „Plattformisierung der Information“ erschwere den Medien, mit politischen Neuigkeiten Geld zu verdienen. Ein Problem, das sich mit der Aneignung von Texten durch KI noch verschärfen dürfte. Ein Gutscheinsystem wie der Demokratiepass könne ein Modell sein, „die politische Ökonomie des Journalismus wieder in ein für die Demokratie förderliches Label zu bringen“.
Wiebke Loosen vom Leibniz-Institut für Medienforschung (früher: Hans-Bredow-Institut) diagnostizierte Reichweitenverluste im Journalismus, Qualitätsverluste durch Stellenabbau und Arbeitsverdichtung und einen Generationenabriss. Vor allem junge Menschen wendeten sich von den klassischen Medien ab. Mit einer Bedrohung der Demokratie mochte sie das nicht unbedingt gleichsetzen – schließlich gebe es längst andere Informationsquellen. Am Demokratiepass gefällt ihr, dass die Idee an den Nutzer*innen ansetze.
Vorbild Kulturförderung
Tabea Rößner ist langjähriges Mitglied der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Vorsitzende des Ausschuss für Digitales im Deutschen Bundestag. Die im Koalitionsvertrag in Aussicht gestellte staatlich geförderte „flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen“ sieht sie inzwischen als völlig unrealistisch an. Die Hauptgründe: Kompetenzwirrwarr, Vorwurf mangelnder Staatsferne des Projekts sowie nicht zuletzt die aktuelle Ebbe im Staatshaushalt.
Ein Vorbild existiert bereits. Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat nach der Corona-Pandemie ein voucherbasiertes System zur Kulturförderung entwickelt. Damit bekommt in diesem Jahr jede*r 18jährige ein Digitalguthaben von 200 Euro für ein Jahr für Kulturangebote. Die Erfahrungen, so Tabea Rößner, seien ermutigend: rund 40 Prozent der Altersgruppe habe die Möglichkeiten des Kulturpasses genutzt, sodass jetzt eine Ausweitung auch auf Jüngere geplant sei.
Gesucht: Kriterien
Bleibt die Frage nach den Kriterien für Förderungswürdigkeit. In seinem Buch „In der Social Media Falle – wie wir unsere digitalen Freiheiten retten“ fordert Staschen sogar eine Art „Gütesiegel“ für demokratiefördernde Angebote. Eine „Demokratieampel“ analog zur Lebensmittelampel auf Verpackungen oder dem Tierschutzlabel: „rot für monolithische Angebote wie Instagram oder demokratiefeindliche Plattformen; gelb für Angebote, die viele Standards erfüllen, aber (noch) nicht alle; grün für vorbildliche Plattformen wie Angebote im Fediverse, die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender oder den Bezahlnewsletter meiner Regionalzeitung“.
Die Qualitätsfrage müsse bei einem solchen Demokratieförderungsprojekt zuallererst an die User selbst gestellt werden, urteilte Wiebke Loosen. Die Nutzenden hätten oft ganz andere Qualitätskriterien als Expert*innen. Die Qualitätsforschung habe lange nur die Medienproduzenten und -politikerinnen nach ihren Maßstäben gefragt. Die User wendeten sich jedoch anderen Angeboten zu, etwa denen von Influencer*innen, die auch zur Meinungsbildung beitragen würden.
Thorsten Thiel verwies auf die Nachteile eines publikationsorientierten Modells, bei dem ein Gutschein nur für einen bestimmte Kreis von Medien eingelöst werden könne. Dabei bekenne sich der Nutzer zwar aktiv zu einer bestimmten Publikation. Jedoch bestehe die Gefahr, „dass wir den Status quo zementieren“. Angesichts der Aversion des Bundesfinanzministers gegen neue Sozialausgaben, so steht zu befürchten, dürfte ein Demokratiepass zur Medienförderung vorerst wohl Utopie bleiben.