Print geht, Journalismus bleibt

Foto: verdi

Aus Kostengründen stellen Lokalzeitungen ihren Betrieb ein. Dafür kommen digitale Produkte auf den Markt. Der Hannoveraner Madsack-Konzern zieht aus den steigenden Kosten für Zeitungsproduktion, Papier und Vertrieb Konsequenzen. Ende September stellte die Mediengruppe die gedruckte Lokalausgabe „Prignitz Kurier“ der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ) ein. Seither werden die Prignitzer ausschließlich mit digitalen Angeboten versorgt. Auch die Lokalausgaben in Kyritz und Wittstock werden ab Dezember erstmals rein digital erscheinen. Es mehren sich die Anzeichen für das baldige Ende der Print-Ära.

Die brandenburgische Prignitz gehört zu den am dünnsten besiedelten Gebieten Deutschlands. 76.000 Menschen leben dort auf einer Fläche, die doppelt so groß ist wie Berlin. Zuletzt zählte der „Prignitz Kurier“ nurmehr weniger als 2.500 Printabonnent*innen. Unter diesen Umständen erschien dem Verlag ein „weiter so“ wirtschaftlich nicht mehr tragbar.

Alle erörterten Gegenstrategien – Abopreiserhöhung, Zustelloptimierung oder eine Ausdünnung der Erscheinungsfrequenz – hätten allenfalls den Charakter „lebensverlängernder Maßnahmen“ getragen, sagte Thomas Düffert, Vorsitzender der Konzerngeschäftsführung von Madsack auf dem Kongress des Bundesverbandes Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV). Auch auf die von der Ampel-Regierung gelobte, aber permanent verschleppte Presseförderung mochte man sich nicht verlassen – im Haushaltsentwurf für 2024 seien schließlich keine Mittel dafür eingestellt.

Madsack-Mediengruppe

Dazu zählen 19 regionale und lokale Zeitungstitel Hannoversche Allgemeine, Leipziger Volkszeitung, Ostsee-Zeitung, u.a., das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), RND OnePlatform, diverse Digitalangebote sowie Anzeigenblätter. Die Zeitungstitel kommen derzeit gemeinsam auf rund 220.000 Digitalabos.

Allerdings habe Madsack früh entschieden, sich publizistisch nicht komplett aus dem Lokalen zurückzuziehen. „Journalismus ist für eine lebendige Demokratie unverzichtbar“, bekräftigt Düffert. Wo das Lokalblatt sterbe, gebe es im Falle kommunaler Skandale keine kritische Öffentlichkeit mehr. Daher wolle man gerade den Lokaljournalismus in den betroffenen Regionen digital ausbauen. Der Konzernchef begreift das Projekt Prignitz als Keimzelle einer „Zukunftswerkstatt für digitalen Journalismus“.

Digital Switch in Brandenburg

500.000 Euro hat der Konzern in diesem Jahr in das Projekt investiert. Den bisherigen Abonnent*innen wurde der Umstieg von Print auf Digital innerhalb einer halbjährigen Vorbereitungsphase durch vielfältige Informationsschritte erleichtert, unter anderem durch Erklär-Flyer und -Videos, Service-Hotlines, sogar durch Hausbesuche. Im direkten Dialog hätten die Leser*innen ihre jeweiligen Kommunikationsbedürfnisse einbringen können, berichtet Düffert. Ihn habe überrascht, dass gerade auch ältere Abonnent*innen großes Interesse bekundet hätten, beim „Digital Switch“ mitgenommen zu werden. Der bisherige Erfolg des digitalen Umbaus kann sich sehen lassen. Von den 2.453 Print-Abonnent*innen haben sich nach Verlagsangaben mittlerweile mehr als 60 Prozent für ein digitales E-Paper-Abo entschieden. Dazu kommen zahlreiche neue Abonnenten weiterer Digitalprodukte wie das Plus-Abo oder neue Newsletter-Formate. Mit insgesamt 3.133 Digitalabos wurde bereits Ende September der letzte Wert für Print-Abos übertroffen.

„Print geht, Journalismus bleibt“, so die Zwischenbilanz Düfferts, „Regional- und Lokaljournalismus müssen auch in einer digitalen Welt ein tragfähiges Geschäftsmodell bleiben“. Noch vertreibe der Konzern mehr als 500.000 gedruckte Zeitungsexemplare, aber: „Wir sind ein digitales Medienhaus und haben ambitionierte Ziele.“ Betrug der digitale Umsatzanteil – bezogen auf publizistische Produkte – 2020 erst 11 Prozent, so soll dieser Wert bis 2025 auf 25 Prozent steigen, bis 2030 gar auf 75 Prozent.

Der Erfolg in der Modellregion Prignitz ermutigt Madsack zur Fortsetzung der Digital-Only-Strategie in weiteren Regionen. Ab 1. Dezember werden auch die gedruckten Lokalausgaben der „Märkischen Allgemeinen“ in den Verbreitungsgebieten Kyritz und Wittstock eingestellt und durch digitale Produkte ersetzt. Eine kostendeckende Zustellung der rund 4.600 Printabos sei nicht mehr möglich, so die Verantwortlichen. „Auf Basis der Digital-Publishing-Platform RND OnePlattform erhalten die Menschen in Kyritz und Wittstock rund um die Uhr Nachrichten aus ihrer Region auf MAZ-online.de. Neue Produkte wie der tägliche Newsletter „5 in 5“ werden das digitale Angebot ergänzen“, heißt es in einer Verlagsankündigung.

„Wir ziehen uns nicht zurück, hinterlassen keinen weißen Fleck“ auf dem Zeitungsmarkt der Region, verkündet MAZ-Chefredakteur Henry Lohmar.

Auf sich allein gestellt wäre die MAZ nicht in der Lage gewesen, diese Aufgabe zu stemmen, so Lohmar. Nun könnten auch andere Titel im Verbund der Madsack Mediengruppe von den Erfahrungen des Projekts Prignitz profitieren.

Lokalzeitungen bleiben online bestehen

Madsack ist nicht der einzige Konzern, der den Vertrieb von Printprodukten in unwirtschaftlichen Verbreitungsgebieten einstellt. Anfang Mai beendet die Funke Medien Thüringen die Zustellung der „Ostthüringer Zeitung“ in den meisten Gemeinden des Landkreises Greiz. Seither heißt es für rund 300 betroffene Abonnenten „OTZ online only“.

Die Berliner „tageszeitung“ (taz) hat schon vor Jahren als erstes klassisches Zeitungshaus in Deutschland beschlossen, aus Kostengründen mit der Digitalisierung ernst zu machen und ihre gedruckte Zeitung an Werktagen „irgendwann nach 2023“ einzustellen. Spätestens wenn neue Digitalabos die Kosten für Druck und Vertrieb kompensieren, soll das Blatt nur noch am Wochenende als Printausgabe erscheinen, ansonsten digital.

Die Digitaloffensive von Madsack könnte als Beleg dafür dienen, dass Lokalzeitungen selbst in strukturschwachen Regionen überlebensfähig sind. Und das sogar ohne Zustellförderung durch die Bundesregierung, die von der Branche auf dem BDZV-Kongress Ende September in Berlin erneut vehement eingefordert wurde. Das dürfte auch der Politik nicht entgangen sein. Angesichts der aktuellen Haushaltskrise erscheint daher die Erfüllung des Versprechens im Koalitionsvertrag, „die flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen zu gewährleisten“, unwahrscheinlicher denn je. Keine gute Nachricht für kleine, nicht konzerngebundene Lokalzeitungen und deren Beschäftigte, denen die Mittel zum konsequenten Digitalumbau fehlen. Für sie könnte es eng werden.

 

 

 

 

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