Für ein digitales Ökosystem

Markus Beckedahl prägt seit 25 Jahren das Feld der Digital- und Netzpolitik. Foto: re:publica

Markus Beckedahl, Journalist und Gründer des Online-Portals www.netzpolitik.org, erkennt  im System des öffentlich-rechtlichen Rundfunk den Ort, wo alternative digitale Infrastrukturen gut entwickelt werden können. Ungarn und Polen haben es vor Jahren gezeigt, die USA erleben es gerade aktuell und die Welt scheint dabei zuzuschauen: Die Aushebelung demokratischer Strukturen durch gewählte Regierungen.

Die Nähe der Tech-Milliardäre zur Regierung von US-Präsident Donald Trump beschleunigen den Prozess. Deutschland und die EU überdenken zwar gerade ihre Abhängigkeit von aus den USA gesteuerten globalen Plattformen und Tech-Konzernen. Doch welche Alternativen gibt es?

Markus Beckedahl, warum meinen Sie, der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse vorangehen, um eine Gegenmacht zu den global agierenden Tech-Konzernen in der Onlinewelt aufzubauen?

Wir müssen das Konzept des staatsfernen öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf die digitale Welt weiterdenken. Zumindest in der Theorie bin ich davon überzeugt, die Öffentlich-Rechtlichen könnten der richtige Player sein, um gemeinwohlorientierte Plattformen staatsfern zu entwickeln, weiterzuentwickeln, zu betreiben oder zumindest als Mitbetreiber zu agieren.

Sind die derzeitigen Strukturen innerhalb des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dafür geeignet? Oder was müsste sich ändern, damit er diese Rolle übernehmen kann?

Wir müssten einen Teil der Senderbudgets in Technologievielfalt investieren. Wenn wir den öffentlich-rechtlichen Rundfunk neu erfinden müssten, bin ich davon überzeugt, diesen Aspekt würden wir dann von Anfang an mehr in den Vordergrund stellen. Aber es ist ja noch nicht zu spät und es gibt erste Ansätze. Beispielsweise bringt der Public Spaces Incubator Medienhäuser und Entwickler*innen zusammen.  Außerdem haben ARD und ZDF damit begonnen, für die Mediatheken ein gemeinsames Open-Source-Ökosystem aufzubauen. Dabei entstehen gleichzeitig erste Nutzendenkonten auf vertrauenswürdiger Infrastruktur. Dort kann auch der Austausch ablaufen. Warum muss das denn nur auf Youtube oder Facebook passieren?

Apropos Youtube und Facebook: Es gibt auf europäischer Ebene immer wieder Forderungen, eine EU-Social-Media-Plattform aufzubauen, die nach öffentlich-rechtlichen Kriterien funktionieren soll. Warum sind Sie dagegen?

Ich bin nicht davon überzeugt, dass ein monolithisches System hier mit den Strukturen funktionieren wird. Stattdessen sollten wir mehr auf dezentrale Infrastrukturen setzen, wo der ÖRR als ein Player in einem großen Ökosystem agiert, aber die vielen eigenen Gremien nicht alles zerlabern können. Die Open Source-Modelle für ein vernetztes, dezentrales System gibt es ja bereits. Das Fediverse mit Mastodon sowie Bluesky laufen jeweils über so ein offenes Protokoll. Darüber könnten dann auch die Kommentar- und Diskursfunktionen in den Mediatheken laufen. Auch hier existieren schon interessante Modelle, wie das SWR X Labs oder das Media Lab Bayern und Mastodon zeigen gerade, was möglich ist.

Was müssen alternative digitale Infrastrukturen erfüllen, damit sich Gesellschaften von Lügen und Falschinformationen unabhängiger machen können?

Ich hätte gerne digitale Infrastrukturen, die nicht in der Hand einzelner Milliardäre liegen, die aktuell zu viel Macht haben und denen wir nicht vertrauen können. Wir brauchen gemeinwohlorientierte Plattformen, die nicht darauf optimiert sind, unsere Aufmerksamkeit durch endlose Dopamin-Kaskaden zu fesseln, um uns und unsere Vorlieben auszuspähen und anschließend die dazu passende Werbung auszuspielen. Dieses System ist kaputt. Stattdessen brauchen wir digitale Öffentlichkeiten jenseits der Plattformlogik. Gestützt auf offenen Standards, demokratisch kontrolliert, staatsfern finanziert und betrieben. Dafür braucht es Geld und politische Unterstützung.

Tut die EU derzeit genug in Sachen Digitalrechte und Demokratie?

Wir haben zwar einige Gesetze zur Plattformregulierung wie den DSA und dem DMA. Die Durchsetzung findet aber zu zaghaft statt. Zudem dürften die Regeln nicht ausreichen. Es geht hier schließlich gegen die mächtigsten Konzerne der heutigen Zeit, die alles daransetzen, sich gegen Einschränkungen zu wehren. Sie tun dies in dem Wissen, die US-Regierung auf ihrer Seite zu haben, die mit Zöllen gegen unsere Autoindustrie droht. Und die die EU-Kommission befindet sich in einem Dilemma: Sie ist gleichzeitig Regulierungsbehörde und Handelsakteur. Sie verhandelt über Zölle und soll gleichzeitig die Demokratie schützen. Die aktuellen Entwicklungen zeigen, dieser Zielkonflikt wird zu einer ernsthaften Bedrohung für die digitale Öffentlichkeit und nicht nur in Europa.

Sie selbst leisten einen eigenen Beitrag und haben kürzlich das „Zentrum für Digitalrechte und Demokratie“ ins Leben gerufen. Was möchten Sie mit Ihrer neuen Plattform anstoßen und erreichen?

Wir wollen die Erzählmacht über die Digitalisierung von Big Tech zurückerobern. Wir können uns als Gesellschaft kaum noch vorstellen, demokratische Infrastrukturen im digitalen und analogen Raum zu finanzieren und zu nutzen. Wir wollen über die Öffentlichkeit Druck auf die Politik ausüben, damit diese mehr für unsere Rechte unternimmt und die massive Machtkonzentration endlich stärker reguliert. Und ganz wichtig, wir wollen neue Allianzen in der Gesellschaft schmieden. Schließlich sind wir alle von den derzeitigen und künftig noch kommenden Entwicklungen betroffen.

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