Vor fast 20 Jahren wurde N-Ost als Korrespondentennetzwerk für Berichterstattung und Expertise über Osteuropa gegründet. Mittlerweile versteht sich N-Ost als Medien-NGO, die sich für die europaweite Zusammenarbeit zwischen Journalist*innen einsetzt. Zum Netzwerk, das seinen Sitz in Berlin hat, gehören nach eigenen Angaben mehr als 500 Journalist*innen und Medien aus ganz Europa. Einen wesentlichen Schwerpunkt bildet die Berichterstattung aus der Ukraine.
Ende Mai kam Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zu einem dreitägigen Staatsbesuch nach Deutschland. Wer nicht nur die deutsche Berichterstattung über diese Reise verfolgen wollte, sondern sich auch für Perspektiven aus anderen europäischen Ländern interessierte, wurde bei „Eurotopics“ fündig. Dort sammeln Korrespondent*innen aus ganz Europa jeden Tag Artikel aus der europäischen Presse und stellen zu wichtigen Debatten Beiträge aus mehreren Ländern zusammen.
So ließ sich während des Macron-Besuchs bei „Eurotopics“ nachlesen, dass die tschechische Zeitung „Lidové noviny“ vor allem auf die gewaltigen Differenzen zwischen Macron und Kanzler Olaf Scholz verweist, während die italienische Zeitung „La Repubblica“ auf die Rückkehr des Weimarer Dreiecks hofft, also die Zusammenarbeit zwischen Polen, Deutschland und Frankreich.
„Eurotopics“ ist das wohl bekannteste Format, das vom journalistischen Netzwerk N-Ost betreut wird: Es produziert die Presseschau im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung. N-Ost wurde 2006 als Korrespondentennetzwerk mit dem Ziel gegründet, die deutsche Berichterstattung über Osteuropa zu stärken und Expertise und Vor-Ort-Berichte anzubieten. Mittlerweile sieht sich N-Ost eher als Projekt, das die europaweite Zusammenarbeit zwischen Journalist*innen fördert. Es beschreibt sich als „Network for Border Crossing Journalism“, die Website ist komplett auf Englisch.
Klima, Feminismus und Europa
„Wir haben uns vom Syndication-Modell, das Artikel anbietet, zu einer Medien-NGO entwickelt“, sagt Hanno Gundert, seit über 13 Jahren Geschäftsführer von N-Ost. „Mittlerweile sind wir sehr europäisch.“ Das Netzwerk besteht nach eigenen Angaben aus mehr als 500 Journalist*innen und Medien aus ganz Europa. Den Kern bildet ein internationales Team aus etwa 35 Projektmanager*innen und Redakteur*innen, die in Berlin und weiteren europäischen Städten sitzen.
Ein Angebot von N-Ost ist der Newsletter „European Focus“, für den Journalist*innen aus neun Redaktionen von Rom bis Tallinn gemeinsam an Themen arbeiten, die für ein europäisches Publikum bestimmt sind. Schaut man sich die Projekte von N-Ost an, wird allerdings deutlich, dass der Fokus nach wie vor besonders auf Ländern liegt, die sich östlich von Deutschland befinden. Dabei gibt es Themenschwerpunkte, insbesondere Klimajournalismus, europäische Öffentlichkeiten sowie Feminismus und LGBTIQ+. Die „History Unit“ etwa beschäftigt sich mit homo- und transphoben medialen Erzählungen in Vergangenheit und Gegenwart in Deutschland, Polen, Belarus und der Ukraine.
Seit der russischen Annexion der Krim 2014 richtet N-Ost den Blick verstärkt auf die Ukraine. Ausdrückliches Ziel ist unter anderem, die regionale Berichterstattung in dem Land zu unterstützen. So will etwa das Projekt Fight for Facts lokale ukrainische Medien dabei unterstützen, Desinformation und Propaganda Fakten entgegenzusetzen. „Wir hatten die Ukraine und auch Moldau zu wenig auf dem Schirm. Diese Ecken wollen wir mehr ausleuchten“, sagt Gundert. Zugleich arbeite man auch mit russischen Exiljournalist*innen zusammen. Im Gespräch deutet Gundert an, dass die Zusammenarbeit zwischen ukrainischen und russischen Journalist*innen nicht immer frei von Spannungen ist.
Fördergelder für die Recherche
N-Ost fördert die Kooperation zwischen Journalist*innen auch außerhalb der Projekte, organisiert Recherchereisen und Konferenzen. Im August ist etwa eine Klimakonferenz in Tiflis geplant. Wer möchte und eine thematisch passende Ausrichtung hat, kann zum Arbeiten am Standort in Berlin, dem sogenannten Hub in Berlin-Kreuzberg, vorbeikommen. Man sei generell offen für die Zusammenarbeit mit allen Journalist*innen, die sich für europäische Themen interessieren, betont Gundert.
N-Ost finanziert sich größtenteils über Fördergelder staatlicher und nichtstaatlicher Akteure, zu einem deutlich geringeren Anteil über Spenden und Mitgliedsbeiträge. Die Mittel kommen unter anderem von der Europäischen Kommission, der Bundeszentrale für politische Bildung, dem Auswärtigen Amt und parteinahen, aber auch unternehmensverbundenen Stiftungen wie der Robert Bosch Stiftung.
Wie bleibt man da unabhängig? „Zum einen über Transparenz“, sagt Gundert. Man gehe offen damit um, von wem Förderung komme. Darüber hinaus achte man darauf, dass Ausschreibungen für Förderprojekte keine Vorgaben machen, die journalistische Inhalte zu stark prägen. Projekte dürften nicht von Framing geleitet sein, notfalls müsse man die Bremse ziehen.
Ein wesentlicher Teil der Gelder fließe in die Rechercheförderung, sagt Gundert. Mit dieser Unterstützung sind Artikel in verschiedenen europäischen Medien und Sprachen entstanden – etwa ein Bericht über eine paramilitärische Organisation in Estland für die „Taz“ und eine Reportage über die Überlebenden des Massakers in Butscha für das französische Magazin „Marie Claire“.
Gefragt, ob es eine europäische Medienöffentlichkeit braucht, sagt Gundert, dass ihm dieser Begriff zu akademisch sei: „Wir wollen ihn in die Wirklichkeit holen.“ Redaktionen spürten zunehmend, wie sehr sie von einer europäischen Perspektive profitieren. „Welche Themen sind nicht europäisch heutzutage?“