Jahrzehntelang konnten sich Produktionsfirmen auf die Bereitschaft der Filmschaffenden zur Selbstausbeutung verlassen. Doch der Glanz ist verblasst. Die Arbeitsbedingungen am Set sind mit dem Wunsch vieler Menschen nach einer gesunden Work-Life-Balance nicht vereinbar. Nachwuchsmangel ist die Folge. Unternehmen wollen dieses Problem nun mit Hilfe verschiedener Initiativen lösen.
Als die UFA 2022 die UFA Academy gründete, gab es für die vorgesehenen acht Ausbildungsplätze zweihundert Bewerbungen. Es war gelungen, neben Menschen aus der Altersgruppe 50plus auch Angehörige soziografischer Schichten anzusprechen, die „irgendwas mit Film“ bislang eher nicht im Sinn hatten. Das klingt erst mal nicht wie ein Nachwuchsproblem. Tatsächlich hat sich die Lage aktuell etwas entspannt. Als Streamingdienste wie Netflix, Prime Video oder Disney+ vor einigen Jahren damit begonnen haben, auch deutsche Filme und Serien in Auftrag zu geben, haben sie einen regelrechten Produktionsboom ausgelöst. Mittlerweile ist die Zahl dieser Aufträge jedoch wieder gesunken. Bezahlsender Sky hat seine fiktionalen Eigenproduktionen sogar ganz eingestellt. Die Branche geht davon aus, dass sich der Fachkräftemangel mit der Umsetzung des neuen Filmförderungsgesetzes wieder verschärfen wird. Der Standort Deutschland könnte dank steuerbasierter Fördermodelle für Produktionen aus dem Ausland dann deutlich attraktiver werden.
Investieren in den Nachwuchs
Angesichts des demografischen Wandels warnt Björn Böhning, Geschäftsführer der Produktionsallianz, seine Mitglieder daher davor, bei Qualifizierungsmaßnahmen zu sparen: „Investitionen in qualifizierten Nachwuchs sind und bleiben unerlässlich. Die Gewinnung neuer Arbeitskräfte wird das entscheidende Thema für die Zukunftsfähigkeit der Branche sein. Dabei nur auf Sicht zu fahren, ist nicht schlau.“ Um dies zu ändern, ist 2023 der Arbeitskreis Fachkräftestrategie gegründet worden, ein branchenübergreifendes Netzwerk, an dem neben Produktionsfirmen, Streamingdiensten und TV-Sendern auch Bildungsträger und Sozialpartner beteiligt sind. Die Sender sind nicht nur als Auftraggeber vom Fachkräftemangel betroffen. Sie suchen auch Personal für ihre Studioproduktionen. Aufgrund der zunehmenden Digitalisierung werden zudem vermehrt Menschen mit Informatik-Hintergrund benötigt.
Das gilt für fast alle Branchen, weshalb Film und Fernsehen um die gleichen wenigen Fachkräfte buhlen wie viele andere Unternehmen. Diese gesellschaftlichen Rahmenbedingungen prägen auch die aktuellen Tarifverhandlungen, die ver.di und der Berufsverband Schauspiel für die rund 25.000 Filmschaffenden führen. Der Wettbewerb um professionelle Filmschaffende sei Dank der vielen Digitalkanäle sehr groß, sagt ver.di-Verhandlungsführer Matthias von Fintel: „Sinkende Budgets für klassische TV-Serien oder Filme machen die Arbeit nicht leichter, der Arbeitsdruck ist ohnehin immens. Wir wollen kürzere Arbeitswochen mit vier Arbeitstagen und lange Wochenenden erreichen, das ist der direkteste Ausgleich für lange Arbeitstage.“ Bei Gesprächen mit der Produktionsseite zeigt sich, dass diese Thematik auch einen Konflikt birgt. Uli Aselmann (die film gmbh) war für die Allianz an vielen solcher Gespräche beteiligt und hat dabei festgestellt, „dass die heutige junge Generation ganz andere Ansprüche hat als wir Älteren in unserer Jugend. Als ich damals angefangen habe, war es völlig klar, dass man auch mal 14 Stunden am Tag arbeitet, um die gemeinsamen Ziele zu erreichen. Das hat uns stolz gemacht. Die heutige Jugend will einen Acht-Stunden-Tag und eine Vier-Tage-Woche, das ist bei einer Filmproduktion aber völlig unrealistisch.“
Gewerkschaft will 4-Tage-Woche
Zum Glück gibt es unterschiedliche Formen der Film- und Fernsehproduktion. Tägliche Serien, sagt Joachim Kosack, Geschäftsführer der für „Dailies“ wie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ zuständigen UFA-Tochter Serial Drama, „sind planbar und gut für Menschen, die festgelegte Strukturen brauchen. Außerdem entstehen sie im Studio, somit entfällt häufig auch die Reiserei.“ Bei Filmen probiere die UFA ebenfalls alternative Arbeitsweisen aus: „Bei der Netflix-Romanze ‚Die Liebeskümmerer’ hatten wir eine Vier-Tage-Woche, das hat reibungslos funktioniert. Wer hier entgegnet, so kann man keine Filme drehen, dem antworte ich: Wenn wir uns nicht anpassen, drehen wir irgendwann gar nicht mehr oder nur noch im Ausland, was auch nicht in unser aller Sinn sein kann.“
Regisseurin Sibylle Tafel („Toni, männlich, Hebamme“, ARD) findet die Vorstellung einer Vier-Tage-Woche „gar nicht so dumm, weil die Gewerke meist sowieso einen zusätzlichen Tag brauchen, um nachzuarbeiten. Andererseits ist das vermutlich unbezahlbar und liegt auch nicht zwingend im Interesse der Teams, denn das würde bedeuten, dass man länger gebunden ist und nicht das gleiche Einkommen generiert.“ Sie sieht in der Diskussion über die Arbeitsbedingungen auch die Sender in der Pflicht: „Sie kennen das Problem, zeigen sich jedoch ohnmächtig, weil die Etats dann steigen müssten und man weniger Filme beauftragen könnte. Und da sind wir beim Verteilungskampf der Produzenten. Die wollen und müssen Filme machen, egal zu welchen Bedingungen, die wir dann am Set auszubaden haben.“
Sparzwang, Zeitdruck und Fachkräftemangel
Welche Folgen die ungute Kombination aus Sparzwang, Zeitdruck und Fachkräftemangel haben kann, verdeutlicht die Regisseurin mit der Beschreibung ganz normaler Drehbedingungen: „Die Zwölf-Stunden-Regelung führt dazu, dass wir kaum mehr als sieben Stunden Arbeitszeit am Set haben; und das bei durchschnittlich 21 Drehtagen. Da kommt man dann bei circa 25 Einstellungen am Tag auf 16 Minuten pro Einstellung, inklusive Proben, Licht, Kamera, Maske, Kostüm, Motivwechsel, Drehen. Diskussionen über nicht funktionierende Drehbuchszenen kann man sich am Set nicht leisten; geschweige denn, mal was auszuprobieren. Da wird durchgeschrubbt. Man braucht einen sehr klaren Masterplan und echte Coolness, um sich den Stress nicht anmerken zu lassen, der sich besonders auf die Schauspieler*innen negativ auswirken würde. Die wollen der Regie vertrauen und fordern ein, dass man auf sie aufpasst. Hätte ich nicht die Erfahrung aus fast dreißig Berufsjahren, wüsste ich nicht, wie ich mein Ding mache.“