Aggregieren und verwerten

Verlage auf der Suche nach Erlösmodellen im Netz

Was Suchmaschinen können, können Verleger auch: Nachrichten zusammenstellen und präsentieren. Burda sucht nach neuen Erlösmodellen im Netz und orientiert sich dabei an Google. Die eigentlichen Urheber gehen dabei jedoch leer aus.


Erst vor wenigen Monaten klagte Verlagschef Hubert Burda über „schleichende Enteignung“ der Verleger durch Google und forderte eine Gewinnbeteiligung, da Google von den journalistischen Inhalten anderer profitiere. Aber er scheint sich auch den Leitsatz des amerikanischen Journalistik-Professors Jeff Jarvis zu Herzen genommen zu haben, der seit Jahren predigt, dass Journalisten und Verleger von Google lernen sollten: So startete die Burda-Tochter Tomorrow Focus Technologies Ende September als Alternative zu Google News das neue Nachrichtenportal Nachrichten.de, das sie gemeinsam mit dem Suchmaschinenspezialisten Neofonie entwickelte.

Meldungen von fast 500 Quellen

Nachrichten.de ist ein Nachrichtenaggregator, der inhaltlich ähnliche Meldungen erkennen und Themenbereichen zuordnen soll. Hierfür wertet der Dienst die Meldungen von fast 500 Internetquellen automatisiert aus. Unter den Quellen befinden sich Online-Newsportale und -Tageszeitungen sowie einige Blogs. Die Auswahl der Blogs ist allerdings eher eklektisch: Einschlägig bekannte Angebote wie Netzwertig.com, das Bildblog.de oder Netzpolitik.org gehören dazu nicht, wohl aber die wesentlich kleineren Blogs Medienrauschen.de und Onlinejournalismus.de. Die Nachrichten lassen sich nach Quellen, Rubriken und Erscheinungszeitraum filtern – das Filtern nach Quellen funktionierte allerdings Ende September noch nicht.
Der Burda-Nachrichtendienst ist nicht der erste deutschsprachige Nachrichtenaggregator. Der freie Programmierer Frank Westphal hat bereits vor über zwei Jahren mit Rivva einen Dienst nach dem Vorbild des amerikanischen Aggregationsdiensts TechMeme programmiert, der den Nachrichtenstrom in Echtzeit sortiert. Anders als Nachrichten.de setzt Rivva jedoch den Schwerpunkt auf Blogs – folgt aber auch den Newsportalen, die von Blogs öfter zitiert werden. Die Auswahl seiner Quellen trifft Rivva danach, ob sie von anderen verlinkt werden und eigene Inhalte produzieren. Soeben hat Westphal Rivva auch für den Micro-Bloggingdienst Twitter erweitert, damit das Verfolgen der Twitter-Nachrichten wieder etwas übersichtlicher wird.
Rivva ist in der Szene hochgeschätzt, doch bis heute ein Nischenprodukt geblieben. Westphal schreckt zum einen vor einer Vermarktung zurück, zum anderen lässt er aber auch seinen Dienst von Google nicht spidern. Damit bleiben die Zugriffe niedrig. Erstaunlich ist daher, dass Burda bei Westphal für die Entwicklung seines Dienstes nicht einmal angefragt hat.
Nischig ist auch ein Projekt des Schweizer Tamedia-Verlags geblieben: das 2007 gegründete Facts 2.0. Als der Verlag das Printmagazin Facts einstellte, übernahm ein kleines Projektteam dessen Domain facts.ch, um einen Community-gesteuerten Newsaggregationsdienst aufzubauen. Hier stellt eine kleine Redaktion die aus ihrer Sicht lesenswertesten Nachrichter samt Teaser zusammen. Leser können außerdem die Beiträge kommentieren, bewerten und mit einer Art Lesezeichen markieren. Sie können eigene Quellen zusammenstellen und andere Leser über einen Facts-internen Messagingdienst kontaktieren – etwas, was Nachrichten.de nicht kann. Nach einem Jahr hat der Verlag das Projekt allerdings wieder an die Entwicklungsfirma zurückgegeben, die es seither betreut. Vermarktet werden allein Werbeflächen. Auch hier hätte Burda ein Konzept übernehmen und weiterentwickeln können.

Vergütung der Urheber fraglich

Doch die Tomorrow Focus AG hat auf eine eigene Entwicklung gesetzt, deren Alleinstellungsmerkmal wohl vor allem in ihrem Umsatzbeteiligungsmodell liegt. Es beteiligt die Publisher an den Werbeeinnahmen, deren Textausschnitte auf den Übersichtsseiten angezeigt werden. Voraussetzung ist, dass diese mit der Tomorrow Focus AG einen entsprechenden Vertrag abgeschlossen haben. Das Unternehmen benachrichtigt die Betroffenen allerdings nicht, diese müssen sich von sich aus melden. 20 Prozent der Netto-Umsätze werden nach Abzug der Vermarkterprovisionen ausgezahlt. Wenn Publisher Texte mit mindestens 1.500 Zeichen zur Verfügung stellen, sollen sie 50 Prozent erhalten. Außerdem sollen in diesem Fall fünf zusätzliche Links eingeblendet werden, die auf die neuesten Beiträge des Publishers verweisen. Ausgezahlt wird erst nach einem Umsatz von über 500 Euro, um die Buchungs- und Verwaltungskosten klein zu halten. Die Vergütung der Urheber wird durch das System damit nicht geregelt – falls diese nicht mit den Publishern identisch sind, gehen sie leer aus.
Das Ausschüttungssystem wird zunächst auf Nachrichten.de getestet und soll eventuell nach dem Test auf das Anfang September gestartete Finanzportal Finanzen100 und weitere Themen-Aggregationsportale übertragen werden. Finanzen100 aggregiert seine Börsennews aus rund 12.500 News-Portalen, Unternehmensseiten, Foren, Blogs und Datenbanken. Anders als Google News zeigt Finanzen100 die News allerdings mit Werbung. Jochen Wegner, Geschäftsführer der Tomorrow Focus AG, hofft auf einen Gewinn bereits 2010. Allerdings glaubt er, dass die Publisher zunächst „höchstens ein paar hundert Euro im Monat“ verdienen werden. Handelsblatt-Blogger Thomas Knüwer glaubt hingegen, dass „eine faktische Auszahlung wohl eher theoretischer Natur sein dürfte“, da bis zur Auszahlung „Jahre vergehen“ dürften. Der Grund ist offensichtlich: Während Google News seine Resultate auch über die Google-Suchmaschine verfügbar macht, sorgen bei Burda allein die Portale für die Seitenabrufe.
Gleichwohl kranken sowohl Google News als auch Nachrichten.de an ein und demselben Problem: Sie belohnen die Masse. Die Nachricht, die aktuell von den meisten aufgegriffen wird, gilt als die relevanteste und wird prominent platziert. Originelle Recherche, die nur von wenigen wahrgenommen wird, erhält so den Anschein von Irrelevanz. Der wesentliche Unterschied zwischen Nachrichten-Websites und automatisierten Aggregationsdiensten ist so groß, wie originell die News-Websites sind. Stellen sie vor allem Agenturmeldungen zusammen, ist der Unterschied klein; investieren sie vornehmlich in selbst recherchierte Beiträge, werden diese zum Alleinstellungsmerkmal. Für Lokalzeitungen beispielsweise bedeutet dies, dass ihr Mantelteil im Internet aus Sicht der Suchmaschinen anderen Mantelteilen zum Verwechseln ähnlich sieht – sucht ein Stammleser über eine Suchmaschine wie Google News eine Nachricht, wird er angesichts der Masse ähnlicher, fast gleich lautender Artikel höchstwahrscheinlich bei der Konkurrenz landen. Der Lokalteil hingegen bleibt unverwechselbar. Die eigenen Beiträge sind jedoch vergleichsweise arbeitsaufwändig und damit teuer – und können überdies bei Google News oder Nachrichten.de nie durch Masse auffallen. Ein Verlag wird mit Blick auf die Kosten immer versuchen, einen optimalen Mix von Agentur und eigenem Material zu finden. Dabei ist es letztlich das eigene Material, das ihn von seinen Mitbewerbern unterscheidet.
Das Problem wird durch den schleichenden Niedergang der Anzeigenseiten verschärft: Suchen und Finden ist im Internet inzwischen wesentlich einfacher als auf einer Zeitungsseite. Immer mehr Leser schalten daher ihre Kleinanzeigen im Internet. Von der Entwicklung profitiert unter anderem die Suchmaschine Google, die verspricht, Anzeigen kontextorientiert anzuzeigen und nur bei erfolgtem Klick abzurechnen. Diese Entwicklung ist es, die eigentlich hinter der Enteignungs-Suada von Verlagschef Hubert Burda steckt. Die Verlagsbranche folgte dem Tenor seiner Klage und forderte in der so genannten „Hamburger Erklärung“ mehr Schutz ihres geistigen Eigentums im Internet.
Google selbst hat aber inzwischen auch reagiert und ebenfalls im September einen neuen Online-Nachrichtenaggregator mit dem Namen „Fast Flip“ gestartet, der wie Nachrichten.de die Verleger an den Werbeerlösen beteiligt. GoogleNews hatte keine Erlöse ausgeschüttet, aber auch keine Werbung geschaltet. „Fast Flip“ zeigt wie in einem Magazin die auf einer Druckseite gelayouteten Artikel an, die sich schnell durchblättern lassen. Knapp 50 US-Publikationen wie die New York Times, Washington Post, Atlantic, Salon, ProPublica und Newsweek sind mit dabei, aber auch die BBC ist mit ihrem Online-Angebot vertreten. Leser können Artikel nach Themen oder Autoren filtern und zu einem eigenen Magazin zusammenstellen, das sie auch auf ihrem Smartphone lesen können. Das Beteiligungssystem besteht darin, dass pro Beitrag ein grafisches Werbeelement eingeblendet wird. Wie die Erlöse zwischen Google und den Verlegern aufgeteilt werden, ist vertraulich. Falls das Modell sich als erfolgreich herausstellt, will Google den Dienst auch auf andere Regionen erweitern.

Auf die Inhalte kommt es an

Das Problem ist nur: So lange Verlage ihre Inhalte kostenfrei im Netz zur Verfügung stellen, werden netzaffine Leser einfach ihren RSS-Reader wie „Fast Flip“ konfigurieren und sich so ihr persönliches Magazin zusammenstellen. Google hat nicht von ungefähr seinen beliebten RSS-Reader gerade eben auch mit einem neuen Empfehlungsfeature ausgestattet: Leser können Nachrichten weiterempfehlen und kommentieren. Der Google-Reader empfiehlt wiederum die Lektüre der Leser-Empfehlungen, die den eigenen Empfehlungen ähnlich sind. Außerdem zeigt er zu jedem Beitrag an, welche und wie viele Leser einen Beitrag empfohlen haben. Damit macht Google zwar weniger Nachrichten.de, sondern eher Twitter Konkurrenz, über das viele Links empfohlen werden. Doch den Leserinteressen dürfte die Neuentwicklung allemal entgegen kommen.
Die Entwicklung zeigt, dass es eigentlich nicht auf den Dienst, sondern auf die Inhalte ankommt. Daher ist es nur konsequent, wenn Medienmogul Rupert Murdoch sein „Wall Street Journal“ für iIphone-Leser nur noch gegen Bezahlung anbietet. Und letztlich dürften nicht nur die Verleger, sondern auch die Urheber an den Erlösen beteiligt werden. Doch das schließen die zahlreichen Verträge, die die Verlage mit ihren Autoren in den letzten Jahren abgeschlossen haben, in der Regel ausdrücklich aus. Die Autoren sollen wohl darauf hoffen, dass die Verlage als ihre derzeitigen Mittelsmänner in der medialen Wertschöpfungskette rechtzeitig neue Erlösquellen erschließen, bevor sie sich selbst in zahlreichen medienfernen Nebenjobs diversifizieren müssen.

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