Beim Tatort selbst ermitteln

Foto: ARD

Ein Zocker sei er nicht. So sagte es Kai Gniffke, Intendant des Südwestrundfunks (SWR), als er im August vorigen Jahres auf der Gamescom in Köln zu Gast war. Am ARD-Stand hat sich der damalige Vorsitzende des Senderverbunds dennoch zum Zocken eingefunden, zu sehen auch im Stream auf der Gaming-Plattform Twitch. Erstmals hatte die ARD einen eigenen Auftritt auf der weltweit größten Messe für Computer- und Videospiele – ein deutliches Signal, dass die ARD auch auf Games setzt. Und das hat maßgeblich mit dem SWR zu tun.

In der ARD gilt der SWR als Schrittmacher und Impulsgeber, wenn es um digitale Spiele geht. Das zeigt sich auch daran, dass der Sender im November 2024 ein sogenanntes Whitepaper zum „Megatrend Gaming“ vorlegte. Darin wird auf 62 Seiten erläutert, welche zusätzlichen Möglichkeiten Games für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bieten, um seinen Auftrag zu erfüllen. Spiele könnten unterhalten, informieren, bilden, beraten und kulturelle Beiträge liefern, heißt es im Whitepaper.

In Deutschland spielen laut dem Verband Game inzwischen 58 Prozent der 6- bis 69-Jährigen Computer- und Videospiele. Rund drei Viertel davon seien älter als 18 Jahren. Das Durchschnittsalter der Gamer beziffert der Verband in seinem Jahresreport für 2024 auf 38,2 Jahre. Frauen und Männer seien fast gleich repräsentiert. All diese Zahlen zeigen für den SWR eines: Games seien „ein Massenphänomen“. Rund 50 Millionen Menschen spielten, heißt es im Whitepaper, etwa vier Stunden pro Woche, bei Jugendlichen sei es noch deutlich mehr.

Weiterentwicklung klassischer Inhalte

Für den SWR darf hier der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht den Anschluss verlieren, nicht zuletzt, um jüngere Zielgruppen zu erreichen. Games sind laut dem Whitepaper „die logische Weiterentwicklung von klassischen Audio- und Bewegtbildinhalten, die wiederum im Kern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks stehen“. Wichtig ist für den SWR dabei: „Öffentlich-rechtlichen Rundfunk komplett ohne Games zu denken, würde bedeuten, die verfassungsrechtlich garantierte Bestands- und Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu beschneiden.“

Beim SWR beschäftigt sich das X Lab, das Innovationslabor des Senders, seit rund drei Jahren mit Gaming. Derzeit plant der SWR damit, jährlich zwei Spiele zu starten. So war es bereits 2024: Es gab ein weiteres Game zum „Tatort“ aus Ludwigshafen, den der SWR produziert. In dem chatbasierten Krimi-Spiel muss ein Mord in einem Frauengefängnis aufgeklärt werden. Außerdem veröffentlicht wurde für die Zielgruppe der 14- bis 24-Jährigen das Virtual-Reality-Spiel „Green Guardians VR“ zum Thema Klimawandel, verknüpft mit einer „KlimaZeit“-Ausgabe auf Tagesschau24. Bis zu vier Spieler*innen landen als Roboter-Avatare in der Zukunft und müssen sich mit einem Konzern auseinandersetzen, der Desinformation rund um den Klimawandel betreibt. Eines der Ziele des Spiels: Fakten von Fiktion zu unterscheiden.

Spiele nur mit Bezug zur Sendung

Im Mai dieses Jahres soll dann das News Game „Nachrichtenmacher“ verfügbar sein, sendungsbegleitend zu den Nachrichten des SWR-Jugendangebots DASDING. Erreichen will der SWR mit dem Game Schüler*innen der 7. Klasse. Im Spiel geht es darum, Radio-Nachrichten zu machen. Es gibt verschiedene Nachrichtentage zur Auswahl, etwa zur Bundestagswahl oder zum Aus der Ampel-Regierung. Meldungen müssen danach beurteilt werden, ob sie relevant sind, um gesendet zu werden. Auch sind jeweils zwei Fake News dabei, die gefunden werden müssen. Im Spiel geht es dem SWR zufolge darum, Informationen kritisch zu hinterfragen, Quellen zu überprüfen und die Arbeitsweise von Journalist*innen kennenzulernen.

Für den Herbst 2025 plant der SWR einen Games-Ableger zur dann startenden dritten Staffel der Comedyserie „Almania“. Der Comedian Phil Laude spielt in der Serie einen Lehrer an einer Gesamtschule. In dem Game soll es laut dem SWR um „Herausforderungen des Schulalltags“ gehen. Da das Spiel noch entwickelt wird, konnte sich der Sender noch nicht näher äußern. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten müssen, wenn sie Games starten, eine Vorgabe des Medienstaatsvertrags der Bundesländer beachten. Demnach sind Spieleangebote nur zulässig, wenn sie einen Bezug zu einer Sendung haben. Im vorigen Jahr gab es bei den Ländern zeitweise den Plan, diese Vorgabe aufzuweichen.

Im Herbst 2024 kam es dann anders. Als sich die Länder auf den Reformstaatsvertrag zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk einigten, entschieden sie sich bei den Games gegen eine Lockerung. Vaunet, der Verband der Privatsender, begrüßte das. Dass der Sendebezug für Spieleangebote nun bestehen bleibt, ist für den SWR aber kein Nachteil: Das breite Sendungsangebot der Rundfunkanstalten biete entsprechende Bezugspunkte für Gaming-Inhalte. Doch aus Sicht des SWR erfordert ein Games-Engagement ein anderes Denken und veränderte Strukturen bei öffentlich-rechtlichen Sendern. Games zu entwickeln, unterscheide sich grundlegend von traditionellen Medienproduktionen. heißt es im Whitepaper. Bei Games gehe es auch um nichtlineares Erzählen von Geschichten. Außerdem gebe es „komplexe technische Herausforderungen“. Arbeitsweisen und Organisationsstrukturen seien daher zu verändern – „eine Mammutaufgabe, die nicht kleiner wird, wenn sie später angegangen wird“. Der SWR erklärte, aktuell prüfe man intensiv mit den anderen ARD-Sendern, „inwieweit auch im Bereich Gaming eine arbeitsteilige und vernetzte Zusammenarbeit funktionieren kann“.

 

 

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