Die ganz große Verweigerung

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland steht unter Druck und braucht mehr Vertrauen. Fotos: ARD Montage: Petra Dreßler

Der  öffentlich-rechtliche Rundfunk war schon immer Hassobjekt der Rechten. Auf politischer Ebene wollen sie ihn abschaffen, am Stammtisch wird gegen ARD und ZDF gehetzt. In Sozialen Medien oder in Chatgruppen geht es richtig zur Sache. Dort treffen sich sogenannte Rundfunkverweigerer. Ralf Hohlfeld und Vivian Stamer beschäftigen sich an der Uni Passau mit den Bereichen Journalistik und Strategische Kommunikation. Für ihre Studie haben sich die beiden auf die Suche nach sogenannten Rundfunkverweigerern gemacht.

Diese Gruppe kommuniziert fast ausschließlich über das Internet. Daher haben die Wissenschaftler*innen einen Fragebogen entwickelt und den Link dazu in etwa 30 Austauschgruppen auf Facebook und Telegram verbreitet. Immerhin 165 Menschen, die sich selbst als Kritiker*innen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) bezeichnen, haben an der Online-Befragung teilgenommen.

„Wir haben uns im Rahmen unserer Trendstudie ausschließlich auf den harten Kern der Kritiker und Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunks fokussiert“, erläutert Ralf Hohlfeld, Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft und Leiter des Studiengangs Journalistik und Strategische Kommunikation. „Die Studie ist zwar nicht bevölkerungsrepräsentativ, aber das sollte sie auch gar nicht sein. Denn wir wollten eben die Gegner des öffentlich-rechtlichen Systems kennenlernen und hören, warum sie so kritisch gegenüber ARD und ZDF eingestellt sind.“

Kritische Haltung breitet sich aus

Die Auswertung der Fragebögen zeigt einen rechtskonservativ bis rechtspopulistisch eingestellten Teil der Bevölkerung. Dieser harte Kern betrachtet den ÖRR als einseitig berichtend, von der Regierung beeinflusst und politisch links-grün verzerrt. Diese Rundfunkverweigerer*innen fordern mehrheitlich eine Abschaffung des ÖRR. Eine Reformbereitschaft existiert auf Seiten der Kritiker*innen größtenteils nicht.

„Man kann die Befunde als eine Art Spitze des Eisbergs interpretieren“, verdeutlicht Ralf Hohlfeld und mahnt: „Die von den Rundfunkverweigerern in unserer Studie geäußerte Kritik und Haltung, breitet sich allerdings auch allgemein in der bundesrepublikanischen Bevölkerung aus und verfestigt sich allmählich.“

Auch wenn die Studie nur einen sehr kleinen Ausschnitt betrachtet, geht es inzwischen nicht mehr nur um ein paar Menschen, die keinen Rundfunkbeitrag bezahlen. „Das Ganze lässt sich als reaktionäre oder restaurative Gegenbewegung gegenüber gesellschaftlichen Trends wie etwa Wokeness, die mediale Thematisierung von Fragen der Identitätspolitik oder des Klimawandels lesen“, nennt Ralf Hohlfeld konkrete Beispiele, an denen sich die antidemokratischen Kritiker*innen reiben.

Jenseits der radikalen Grüppchen im Internet kommt der ÖRR allerdings gut an. Eine repräsentative Studie im Auftrag des WDR zeigte gerade : Das Vertrauen in Medien in Deutschland ist wieder gewachsen. Als glaubwürdig gelten vor allem öffentlich-rechtliche Angebote.

Zunehmendes Dilemma

Ralf Hohlfeld von der Uni Passau sieht den ÖRR dennoch vor einem Dilemma. „Von einer elitenkritischen und besonders veränderungserschöpften Teilbevölkerung, bekommt der öffentlich-rechtliche Rundfunk künftig keine Zustimmung mehr. Da der ÖRR durch den um sich greifenden Rechtspopulismus und das Erstarken der AfD, vor allem im Osten, auch politisch nicht mehr die uneingeschränkte Rückendeckung erfährt, auf die er sich über Jahrzehnte verlassen konnte, sieht er sich einem Legitimitätsproblem aus der Politik und aus Teilen der Bevölkerung gegenüber.“

Verschärfend kommt hinzu, daß mediale Glaubwürdigkeit nicht nur verloren geht, sondern sie landet in den dunkelsten digitalen Ecken des World Wide Web. „In der digitalen Öffentlichkeit erhebt sich eine Welle, die nicht nur aus ein paar Rundfunkverweigerern auf Facebook und Telegram besteht, sondern auch von alternativen Medien und Teilen der Boulevardpresse getragen wird“, macht Hohlfeld auf eine wachsende gesamtgesellschaftliche Gefahr von Rechts aufmerksam.

 Sichtweisen kritisch hinterfragen

„Der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann weiterhin bestimmte Bevölkerungsteile komplett ignorieren oder er entscheidet sich dafür, auch für eine wachsende Bevölkerungsgruppe Formate ins Programm zu hieven,“ findet Hohlfeld.

Beispiele für solche Formate finden sich in der bundesrepublikanischen TV-Vergangenheit. „Würde man künftig auch wieder eine politische Kommentierung wie einst im ‚ZDF-Magazin‘ mit Gerhard Löwenthal oder konservative Sichtweisen eines Bodo Hauser ins Programm aufnehmen, böte sich die Chance, Teile der Bevölkerung für die Angebote von ARD und ZDF zurückzugewinnen“, meint Ralf Hohlfeld.

Ihm ist allerdings bewusst, so eine Entscheidung würde eine gewisse Form von „Schmerzunempfindlichkeit“ bei den Sender-Verantwortlichen erfordern. Ältere Zeitgenossen erinnern sich an die teils heftigen und kontrovers geführten Debatten rund um Gerhard Löwenthal. „Der Spiegel“ bezeichnete den Moderator als „Kämpfer gegen Linke und Linksverdächtiges“.


Internetportal orchestriert Zehntausende Beschwerden

Die Zahl der Programmbeschwerden gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist in den vergangenen Monaten explodiert, recherchierte Correctiv.
Demnach gingen beim ZDF im vergangenen Jahr  innerhalb weniger Monate 17.000 Beschwerden über das Programm ein – mehr als zehnmal so viel wie im Jahr 2023. Die ARD verzeichnete im selben Zeitraum 31.000 Beschwerden. Hinter einem signifikanten Teil der Beschwerden steckt der Recherche zufolge ein 2024 gegründetes Onlineportal namens Rundfunkalarm.de. Die Sendeanstalten teilten mit, dies lasse sich daran erkennen, dass in oft gleichlautenden Formulierungen „Propaganda“ oder angeblich mangende Ausgewogenheit als Beschwerdegrund angegeben werde

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