Filmtipp: Das Ende des Schweigens

"Das Ende des Schweigens" - ein Film von Van-Tien Hoang
Foto: GMfilms

Die sogenannten Frankfurter Homosexuellen-Prozesse sind weitgehend vergessen. Der Dokumentarfilm „Das Ende des Schweigens“ von van-Tien Hoang rekonstruiert nun ihre Geschichte. Experten wie Christian Setzenpfand, Frankfurter Stadthistoriker, und der Historiker Marcus Velke liefern die Fakten, Zeitzeugen wie Wolfgang Lobinger, der wahrscheinlich letzte der noch Überlebenden (inzwischen verstorben), berichten von ihren bitteren Erfahrungen.

Bis 1994 hat es gedauert, bis der § 175, der Homosexualität unter Strafe stellte, aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurde. 2002 dann wurden gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP die Verurteilungen wegen homosexueller Handlungen, wie sie in der Nazizeit gefällt wurden, aufgehoben. Und erst 2017 beschloss der Bundestag eine Entschädigung für die noch lebenden Verurteilten.

Juristische Verfolgung von Homosexuellen – eine lange Story in der deutschen Rechtsgeschichte. Besonders in der Adenauerzeit wurde Homosexualität nach § 175 verfolgt. Es traf zwischen 1953 und 1965 über 100.000 Männer, fast jeder zweite wurde verurteilt. Und am Anfang stand 1950/51 eine Verhaftungs- und Prozesswelle in Frankfurt am Main – die sogenannten Frankfurter Homosexuellen-Prozesse.

Der Film nimmt auch die Ausgangslage in den Blick. Frankfurt war in den Nachkriegsjahren das Zentrum des schwulen Lebens in Deutschland, sozusagen die erste homosexuelle Hauptstadt Deutschlands. Es gab eine relativ große und auch teilweise offen agierende Szene, auch eine große Stricherszene. In den Nachkriegsjahren war die Armut groß, für viele schien männliche Prostitution ein Ausweg. Die Offenheit war nur relativ. Man gab sich weibliche Tarnnamen, Telefonnummern wurden unter der Hand weitergereicht, es bildete sich ein Netzwerk.

In Frankfurt gab es aber auch eine Justiz, die schon in der Nazizeit sehr aktiv in der Verfolgung Homosexueller war. Einige Juristen brauchten nur noch die Urteile von damals aus den Schubladen zu holen. Denn der § 175 war von den Alliierten nicht als Nazigesetz mit Unrechtscharakter eingestuft worden. So agierte in Frankfurt am Main der Richter Kurt Romini, der schon in der Nazizeit berüchtigter Homosexuellen-Verfolger war und nun in den Jahren 1050/ 51 alle einschlägigen Strafverfahren an sich zog. Oder der ermittelnde Staatsanwalt Fritz Thiede, der den Jugendschutz als Totschlagargument benutzte.

So kam es zu einer regelrechten Verhaftungswelle mit zahlreichen Razzien und Verurteilungen. Etwa 200 Männer wurden vor Gericht gestellt, 75 wurden verurteilt. Eine Schlüsselrolle spielte dabei der 20-jährige Edelstricher Otto Blankenstein, der ein ausführliches Telefonbuch führte, mit den Strafverfolgern kooperierte und viele Männer denunzierte. Er selbst wurde dann zu zweieinhalb Jahren Jugendstrafe verurteilt, seine Spur verliert sich in der Geschichte.

Die Folgen für die verfolgten Männer waren verheerend. Die Leute wurden nicht in den Wohnungen verhaftet, sondern am Arbeitsplatz, damit es sich herumsprach. Es gab einen Eintrag ins polizeiliche Führungszeugnis, akademische Grade wurden aberkannt, wer im öffentlichen Dienst war, flog raus, sogar der Führerschein konnte verweigert werden. Viele verloren Job und Wohnung, haben nie wieder in der Gesellschaft Fuß fassen können. Viele gingen ins Ausland. Nachgewiesen sind sechs Selbstmorde unter den Angeklagten.

Sehr eindrücklich und detailliert anschaulich schildern Historiker und Zeitzeugen in „Das Ende des Schweigens“ das Klima dieser Jahre. Um die Stimmungslage und subjektive Erfahrung zu veranschaulichen, ergänzt der Regisseur sein dokumentarisches Material noch durch Spielszenen, die leider etwas amateurhaft geraten. Der Film, finanziert durch Crowdfunding, hat dennoch seine Qualität darin, einen weitgehend vergessenen Teil bundesdeutscher Geschichte sichtbar zu machen. Der Film soll in die Kinos kommen – sobald sie wieder aufmachen. „Das Ende des Schweigens“ ist auch Teil eines kleinen Filmpakets queerer Filme, die Anfang des Jahres online und auf DVD bei GM Films erscheinen.

 

 

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Gewalt gegen Medienschaffende

Eine erneut alarmierende Bilanz zieht die internationale Organisation Reporters Sans Frontiers (RSF), die weltweit Angriffe und Gewalttaten gegen Journalist*innen und damit gegen die Pressefreiheit dokumentiert: 55 getötete, 550 inhaftierte, 55 in Geiselhaft genommene und 95 unter unklaren Umständen vermisste Medienschaffende sind bis Anfang Dezember für dieses Jahr zu beklagen.
mehr »

KI: Menschen wollen Regeln

Rund drei Viertel der Menschen in Deutschland sorgen sich einer Umfrage zufolge um die Glaubwürdigkeit der Medien, wenn Künstliche Intelligenz (KI) im Spiel ist. 90 Prozent der Befragten fordern dazu klare Regeln und Kennzeichnungen. Dies ergab eine am Mittwoch in Berlin veröffentlichte Studie der Medienanstalten. Für die repräsentative Erhebung "Transparenz-Check. Wahrnehmung von KI-Journalismus" wurden online 3.013 Internetnutzer*innen befragt.
mehr »

Lokaljournalismus: Die Wüste droht

Noch sei es nicht so weit, aber von einer "Steppe" könne man durchaus schon sprechen, sagt Christian Wellbrock von der Hamburg Media School. Wellbrock ist Leiter von "Wüstenradar", einer Studie, die zum ersten Mal die bundesweite Verbreitung und zahlenmäßige Entwicklung von Lokalzeitungen in den letzten 30 Jahren unter die Lupe genommen hat. Sie erhebt, wie stark der Rückgang lokaler Medien inzwischen tatsächlich ist und warnt: In etlichen Regionen droht tatsächlich die Verbreitung von "Nachrichtenwüsten".
mehr »

Altersdiskriminierung beim WDR?

Der WDR serviert freie Mitarbeiter*innen ab, die im Rentenalter für den Sender arbeiten wollen. Damit tut er genau das Gegenteil von dem, was in der öffentlichen Diskussion derzeit geraten wird. Während Angestellte sich also über Jahre hinweg auf einen Termin für ihren Ruhestand vorbereiten konnten, wird langjährigen freien Mitarbeiter*innen nun mit kurzer Frist mitgeteilt, wann für sie angeblich Schluss sein soll. Altersdiskriminierung will man beim WDR aber nicht erkennen – für den Sender gehe es vielmehr darum, jüngeren Mitarbeitenden nicht den Einstieg zu blockieren.
mehr »