Das Thema von „Die Barbaren“ ist eigentlich gar nicht lustig, aber das sind erfahrungsgemäß die besten Komödien: Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine will ein bretonisches Dorf eine geflüchtete Familie aufnehmen. Stattdessen kommen jedoch Flüchtlinge aus Syrien – prompt ist es angesichts der „Araber“ mit der Gastfreundschaft vorbei.
Ein kleines Dorf irgendwo in der Bretagne, wo das Wetter selbst im Sommer nur selten wirklich schön ist. Natürlich hat das Klima auch einen gewissen Einfluss auf den Charakter der Menschen in Paimpont; „rau, aber herzlich“ wäre fast zu freundlich formuliert. Trotzdem beschließt der Gemeinderat nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, eine Flüchtlingsfamilie aufzunehmen, sogar einstimmig, auch wenn Klempner Hervé seinen Arm nur äußerst widerwillig hebt. Alles ist perfekt vorbereitet, der Bürgermeister hat eine Begrüßung auf Ukrainisch geübt („Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“), aber als die Gäste eintreffen, ist die Überraschung groß: Geflüchtete aus der Ukraine sind offenbar alle schon vergeben; die Neuankömmlinge stammen aus Syrien.
Rassismus statt Gastfreundschaft
Prompt verdrängen Vorurteile die Gastfreundschaft. Aus Sicht des Dorfpolizisten hätte es zwar durchaus schlimmer kommen (Afrikaner, womöglich gar Rumänen), aber auf der Fassade des Hauses, in dem die Familie fortan leben soll, prangt ein unschöner Willkommensgruß: „Barbaren raus!“. Kaum sind Marwan Fayad samt Frau, Vater, Schwester und zwei Kindern eingezogen, gibt’s dort kein Wasser mehr: Jemand hat die Leitung zerstört, und natürlich fällt der Verdacht umgehend auf den Klempner. Die Schmiererei und die Sabotageaktion sind der Beginn einer Kette von Ereignissen, die sich immer mehr zuspitzen, zumal Hervé zunehmend unter den Einfluss einer rechtsextremistischen Bewegung gerät; plötzlich steht angeblich nicht weniger als die bretonische Identität auf dem Spiel.
Wie es Julie Delpy (Buch und Regie) angesichts dieser Entwicklung und erst recht vor dem Hintergrund des grassierenden Rechtspopulismus‘ trotzdem gelungen ist, die Geschichte als Komödie zu erzählen, ist gleichermaßen erstaunlich wie respektabel. Ein Grund dafür ist ihre Zuneigung zu den Figuren, deren Motive stets nachvollziehbar bleiben. Das macht Hervé (Laurent Lafitte) – im Grunde eine Karikatur – , zwar nicht sympathischer, aber Delpy vermittelt, dass der Klempner letztlich bloß Angst hat: Angst vor Fremden (die ursprüngliche Bedeutung von „Barbaren“) und Angst davor, dass ihm etwas weggenommen werden könnte. Tatsächlich versagt ihm schließlich sogar seine Männlichkeit den Dienst.
Helden gibt es keine
Die Spirale, von der der Film erzählt, ist natürlich nicht lustig, die sanft überspitzten Charaktere sind es hingegen schon. Die zentrale Rolle des Films hat Delpy, als Schauspielerin vielfach ausgezeichnet und 2017 mit dem Europäischen Filmpreis in der Kategorie „Beste europäische Leistung im Weltkino“ gewürdigt, selbst übernommen: Lehrerin Joëlle ist das gute Gewissen von Paimpont, steht sich als erklärte Weltverbesserin jedoch mitunter selbst im Weg. Ihre beste Freundin Anne (Sandrine Kiberlain), gemeinsam mit dem untreuen Gatten Besitzerin des örtlichen Supermarkts, pflegt schon morgens zu testen, ob der Schnaps noch in Ordnung ist. Als sie später umfällt (bildlich gesprochen) und eine Petition Hervés unterschreibt, zerbricht die Freundschaft; aber zum Glück nur vorübergehend.
Abgesehen von seiner zwar nicht mit erhobenem Zeigefinger vorgetragenen, aber dennoch unübersehbaren Botschaft ist „Die Barbaren“ ohnehin ein feministischer Film. Die Männer sind mindestens wankelmütig, auch der opportunistische Bürgermeister ist plötzlich gar nicht mehr so fremdenfreundlich, als immer mehr Menschen die Petition unterschreiben. Eine zufällige Begegnung von Marwan (Ziad Bakri) und Hervé auf der Straße hat Delpy wie ein Westernduell gefilmt. Die satirische Überspitzung lässt die beiden allerdings keineswegs heroisch wirken. Die Frauen hingegen strahlen allesamt Stärke aus, sie sind ohne jede Einschränkung die Heldinnen der Geschichte.
Das gilt auch für die drei weiblichen Mitglieder der Fayad-Familie. Herzstück der Handlung ist ein Vortrag, den Marwans verwitwete Schwester Alma (Rita Hayek) zur Lage in Syrien hält. Dabei zeigt die Ärztin ein Video über die Bombardierung des Krankenhauses, in dem sie gearbeitet hat, ihr Mann ist dabei ums Leben gekommen. Die entsprechenden Bilder spart der Film aus, Delpy begnügt sich mit den erschütterten Reaktionen des Publikums. Um die Geschichte trotzdem versöhnlich beenden zu können, bedient sie sich des alten Theatertricks „Deus ex machina“: Alma wird bei einer plötzlichen Strandgeburt zur Lebensretterin – „Deus ex vagina“ wäre in diesem Fall also treffender. Ihr Vater bringt auf den Punkt, wie sich seine Familie in der Bretagne fühlt: „wie in einem Land jenseits der Erde“.
„Die Barbaren – Willkommen in der Bretagne“. Frankreich 2024. Buch: Julie Delpy, Matthieu Rumani, Nicolas Slomka. Regie: Julie Delpy. Kinostart: 26. Juni 2025