Der deutsche Dokumentarfilmer Marten Persiel erzählt mit seiner Doku-Fiction eine Geschichte aus der Zukunft, die ein Weckruf für die Gegenwart sein soll: „Everything Will Change“ spielt 2054 und beschreibt rückblickend, warum sämtliche Tierarten ausgestorben sind – trotz eindringlicher Warnungen aus der Wissenschaft. Der Film begeistert mit spektakulären Aufnahmen aus der Tierwelt, ist aber nicht rundum gelungen.
Vor rund fünfzig Jahren hat der Schweizer Alain Tanner ein Drama gedreht, in dem er sich mit den enttäuschten Hoffnungen und Utopien der 68er-Bewegung auseinandersetzte. Er nannte das Werk „Jonas, der im Jahr 2000 25 Jahre alt sein wird“ (1976). Der Titel bezog sich auf ein Baby, das am Ende des Films zur Welt kommt. Gut zweimal 25 Jahre später hat sich diese Welt radikal verändert. Wer heute in die Zukunft schaut, sieht eine Dystopie, und davon handelt „Everything Will Change“.
Hauptfiguren sind die Kinder der „Millennials“: 2054 entdeckt Ben (Noah Saavedra), in der Plattenhülle einer Beach-Boys-LP das Foto einer Giraffe. Er hat so etwas noch nie gesehen. Genau genommen hat er überhaupt noch nie ein Tier gesehen: Sämtliche Arten sind ausgestorben. Gemeinsam mit seinem Freund Fini (Paul G. Raymond) will Ben herausfinden, weshalb die Tiere komplett in Vergessenheit geraten sind. Die beiden kommen schließlich zu einem Forschungsinstitut. Hier treffen sie auf diverse Expertinnen und Experten, die ihnen erzählen, dass der Mensch einst alle Warnungen der Wissenschaft in den Wind geschlagen hat.
Marten Persiel (Buch und Regie) ist 1974 geboren; die jungen Männer aus „Everything Will Change“ könnten seine Enkel sein. In den frühen Zwanzigerjahren des neuen Jahrtausends, so erfahren Ben und Fini, habe es noch die Möglichkeit gegeben, die Entwicklung aufzuhalten. Der Film ist also so etwas wie eine letzte Warnung. Weckrufe dieser Art gibt es zwar bereits zuhauf, aber Persiels retrospektiver Ansatz ist durchaus originell. Die deutschen 68er wollten einst von ihren Eltern wissen, warum sie Hitler nicht verhindert hatten. Eine ähnliche Frage werden in dreißig Jahren die Kinder der Millennials stellen, und auch deshalb hat Persiel seinen Film gedreht: „Everything Will Change“ soll ein „Ruf zu den Waffen“ sein, er will den „Brennstoff“ für die Generation seiner Kinder liefern. Die wiederum haben den Schuss längst gehört, wie die Aktionen von Gruppen wie Fridays for Future, Ende Gelände, Letzte Generation oder Extinction Rebellion belegen; es ist vor allem die heutige Elterngeneration, die endlich handeln muss.
Bei aller Sympathie für die Botschaft des Films: Rundum gelungen ist er nicht. Selbst wenn Persiel sein Werk als Zukunftsfabel versteht und ein Märchenbuch („Das vergessene Königreich“) als Rahmen dient: Der Kommentar klingt bisweilen arg betulich. Fragwürdig ist auch die Rollenverteilung: Es sind wieder mal überwiegend Männer, die die Welt erklären; das Geschlechterverhältnis beträgt zwölf zu zwei. Uneingeschränkt formidabel ist dagegen das stimmig mit elektronischer Musik von Gary Marlowe unterlegte dokumentarische Material. Die Aufnahmen aus der Tierwelt sind spektakulär, zum Teil aber auch in hohem Maß bedrückend, denn sie dokumentieren unter anderem, wie sich der Mensch an der Natur versündigt hat. Sehr sympathisch ist zudem der Schluss mit seiner kleinen Hommage an den modernen Zeitreiseklassiker „Zurück in die Zukunft“.
Die Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW) hat „Everything Will Change“ das Prädikat „wertvoll“ verliehen. Der Film kommt am 14. Juli in die deutschen Kinos.