Als die Polizei im Herbst 2018 den von Umweltschützer*innen besetzten Hambacher Forst räumte, verunglückte der Filmstudent Steffen Meyn tödlich; er hatte die Besetzung des Waldes dokumentarisch begleitet. Der Film „Vergiss Meyn nicht“ setzt sich aus seinen Aufnahmen zusammen und gibt auch dank vieler Interviews unmittelbare Einblicke in die Protestbewegung.
„Ich bin auf keiner Seite, ich mach’ nur Fotos“, heißt es sinngemäß in „Under Fire“, einem jener vielen Filme aus den Achtzigern, in denen Hollywood unerschrockene Journalisten porträtierte, die bereit waren, für die Wahrheit ihr Leben zu riskieren. In dem Drama von Roger Spottiswoode (1983) berichtet ein Fotoreporter über die Revolution in Nicaragua (1979) und muss angesichts der Brutalität des Somoza-Regimes schließlich erkennen, dass er nicht länger neutral bleiben kann.
Es mag weit hergeholt klingen, den Protest gegen die Rodung des linksrheinischen Hambacher Forsts zwischen Aachen und Köln mit der sozialistischen sandinistischen Befreiungsbewegung zu vergleichen, aber Ähnlichkeiten gibt es durchaus. Dass der Dokumentarfilm „Vergiss Meyn nicht“ Erinnerungen an „Under Fire“ weckt, liegt allerdings vor allem an der Titelfigur: Steffen Meyn war Student an der Kölner Kunsthochschule für Medien (KHM) und wollte im Rahmen eines Uni-Projekts die Besetzung des Waldstücks dokumentieren. Er starb im Alter von gerade mal 27 Jahren, als die Polizei den Wald im September 2018 räumte. Dieses Werk ist sein Vermächtnis, weshalb es kaum möglich ist, die Bilder unvoreingenommen zu betrachten: „Vergiss Meyn nicht“ ist zwar ein Dokumentarfilm, aber keine journalistische Arbeit. Zu Wort kommen ausschließlich Aktivistinnen und Aktivisten, die über ihre Motive sprechen. Über weite Strecken wirkt der Film zudem ohnehin wie ein Videotagebuch, zumal Meyn auch selbst regelmäßig zu sehen ist.
In dieser Subjektivität liegt der besondere Reiz der Arbeit: Wo sich eine TV-Dokumentation der bekannten Fernsehbilder bedienen würde und Statements der beteiligten Behörden und Ministerien eingeholt hätte, besteht die Nachlassverwaltung abgesehen von den nachträglich entstandenen Interviews ausschließlich aus Impressionen und Gesprächen, die Meyn mit seiner 360-Grad-Kamera aufgenommen hat. Das Gerät hatte er auf einem Fahrradhelm befestigt, weil er beide Hände brauchte: Um die Interviews führen zu können, musste er sich in luftiger Höh’ von einem Baumhaus zum nächsten hangeln. Seine letzte Aufnahme dokumentiert den tödlichen Sturz von einer Hängebrücke in gut fünfzehn Metern Höhe, als er die Position wechseln wollte, um einen besseren Blick auf die Räumungsaktion der Polizei zu haben. Auf welcher Seite er stand, wird recht bald deutlich. Die vom Regietrio Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl und Jens Mühlhoff zusammengestellten Aufnahmen verhehlen allerdings nicht, dass Teile der internationalen Besetzungsgemeinschaft gewaltbereit waren.
Mindestens so wichtig wie Meyns Aufnahmen vom Alltag in den Baumhausdörfern sind die immer wieder eingeschobenen Einblicke in die Gefühlswelten der Beteiligten. Die Besetzerinnen und Besetzer entpuppen sich als heterogene Gruppe mit entsprechend ambivalenten Ansichten. Obwohl diese Gespräche einzeln geführt wurden, ergibt sich dennoch eine Art Diskurs; auch über die Frage, wie weit die Einzelnen gehen würden, um ihre Ziele durchzusetzen. Der Film schlägt zwar keine Brücke zu den Aktionen der „Letzten Generation“, doch die Parallelen sind offenkundig: Wer sich in dieser extremen Form für Klima- und Naturschutz engagiert und den eigenen Körper als Mittel des Widerstands einsetzt, riskiert seine physische Unversehrtheit. Zwei Wochen nach Meyns Tod am 19. September 2018 untersagte das Oberverwaltungsgericht Münster dem Energiekonzern RWE die Rodung des Waldes.
„Vergiss Meyn nicht“. D 2023. Regie: Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl und Jens Mühlhoff. Kinostart: 21. September