Filmtipp: Wilma will mehr

Fritzi Haberlandt ist Wilma. Foto: Neue Visionen Filmverleih

Das Nachwende-Drama mit Fritzi Haberlandt als Kraftwerkselektrikerin aus dem Lausitzer Braunkohlerevier, die nach dem Verlust ihres Arbeitsplatzes die Flucht nach vorn antritt, ist ähnlich wie der einstige DDR-Bestseller „Guten Morgen, du Schöne“ eine Verbeugung vor der Freiheitsenergie ostdeutscher Frauen.

Ein besseres Motto hätte sich Maren-Kea Freese für ihre Geschichte über eine nicht mehr ganz junge Ausreißerin kaum ausdenken können. Der Arbeitstitel „Die Abenteuer der Lausitzerin Wilma“ hätte zwar ebenfalls gepasst, aber „Wilma will mehr“ bringt die Botschaft perfekt auf den Punkt. Sie ließe sich auch als Erkenntnis formulieren, die viele Menschen – Frauen vermutlich eher als Männer – nachvollziehen können: „Das kann doch nicht alles gewesen sein!“: Die Kinder sind aus dem Haus, die Ehe ist zur Routine geworden. Und jetzt? Warten auf den Tod?

Freese, Jahrgang 1960, hat die Handlung ihres erst dritten Spielfilms in ihrer vier Jahrzehnte umfassenden Arbeit als Autorin und Regisseurin im Lausitzer Braunkohlerevier der späten Neunziger angesiedelt. Diese zeitliche und räumliche Verortung hat natürlich erheblichen Einfluss auf die Rahmenbedingungen: Die Vergangenheit ist buchstäblich noch zum Greifen nah, die Zukunft hat schon begonnen – oder auch nicht.

Keine Perspektive ist keine Lösung

Anders als gleichaltrige Frauen heute hat Wilma, Mitte vierzig, den weitaus größten Teil ihres Lebens in der DDR verbracht, ihre Erinnerungen sind noch frisch genug, um gegen Verklärungen aller Art immun zu sein. Politik spielt in Freeses Drehbuch zwar keine Rolle, aber dennoch ist „Wilma will mehr“ zumindest hintergründig auch ein Beitrag zur aktuellen Debatte über die Frage, warum sich die AfD im Osten der Republik eines derart großen Zulaufs erfreuen kann.

In erster Linie erzählt der Film jedoch die Geschichte einer Frau, die ihre Fesseln abstreift. Als 1992 der Tagebau und mit ihm das zugehörige Kraftwerk stillgelegt wurde, hatte Wilma (Fritzi Haberlandt), die dort als Störungselektrikerin beschäftigt war, keine Arbeit mehr. Seither hat sie zwar diverse Fortbildungs- und Umschulungszertifikate erworben, aber keine Perspektive; im Grunde hangelt sie sich von einer Zwischenlösung zur nächsten.

Als sie nun auch noch ihren Job als Elektrofachverkäuferin verliert und außerdem rausfindet, dass ihr Mann (Thomas Gerber) ein Verhältnis mit ihrer besten Freundin hat, tritt sie die Flucht nach vorn an, genauer gesagt: nach Wien. Dort lebt der frühere Kollege Martin (Stephan Grossmann), den sie schon immer mochte; und er sie nicht minder, wie die vertrauliche Begrüßung beim Ehemaligentreffen der Brigade „Völkerfreundschaft“ erahnen lässt.

Auf Fritzi Haberlandt zugeschnitten

Freese hat ihre Geschichte in zwar nicht gekennzeichnete, aber gut erkennbare Kapitel aufgeteilt. Die Lausitz-Szenen sind bloß ein Prolog, mit Wilmas Ankunft in Wien, wo sie sich zunächst als Tagelöhnerin und später als Tanzlehrerin durchschlägt, geht die Geschichte richtig los. Die Struktur ergibt sich durch Begegnungen: erst mit Martin, dann mit Matilde (Meret Engelhardt), Küchentischsozialistin und Dozentin für Literatur, die sie in ihre WG aufnimmt, schließlich mit dem Solartechniker Anatol (Valentin Postlmayr) – die beiden verbindet bald mehr als bloß die gleiche berufliche Leidenschaft. Doch während die anderen kommen und gehen, bleibt Fritzi Haberlandt immer im Bild. Der Film ist derart auf sie zugeschnitten, dass sich umgehend keine andere Schauspielerin in dieser Rolle mehr vorstellen lässt.

Neben der Verbeugung vor der Hauptdarstellerin will Freese „Wilma will mehr“ vor allem als Referenz an die ostdeutschen Frauen verstanden wissen. In dieser Hinsicht erinnert der Film an „Guten Morgen, du Schöne“ von Maxie Wanders. Die 1977 erschienene Sammlung mit Selbstauskünften gilt als eins der erfolgreichsten Bücher der DDR. Inhaltlich verdeutlicht Freese diesen Anspruch mit einer Szene, als Wilma der feministischen Matilde vom wahren Leben erzählt. Sie und Mitbewohner Max (Simon Steinhorst), „eigentlich Schriftsteller“, möchten mehr über die friedliche Revolution erfahren, aber Wilma redet lieber über die westlichen Heuschrecken, die nach der Wende über den Osten hergefallen seien.

Dank Haberlandt ist diese Frau dennoch weit davon entfernt, ein Opfer zu sein. Ihre „Freiheitsenergie“ steht laut Freese für die „elementare und universelle Kraft“, die sie in vielen Gesprächen mit ehemaligen Industriearbeiterinnen gespürt hat. Nach der Wende haben diese Frauen mit ihren Arbeitsplätzen auch die wirtschaftliche Unabhängigkeit verloren. Mehr Energie hätte allerdings auch der Bildgestaltung gut getan: Sie ist ähnlich sparsam wie die Farbgebung, lange Einstellungen dominieren, meist schaut die Kamera (Michael Kotschi) bloß zu, ohne selbst Akzente zu setzen. Angesichts der ansonsten betont sachlichen Inszenierung wirken die gelegentlichen (Alp-)Traumeinschübe allerdings umso skurriler.

„Wilma will mehr“. Deutschland 2024. Buch und Regie: Maren-Kea Freese. Kinostart: 31. Juli 2025

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