Mehr Vielfalt statt Einfalt im TV

LadyParts. Foto: Channel4

Die vielfach ausgezeichnete Britcom „We Are Lady Parts“ über eine islamische Mädchen-Punkband in London ist eines der vielen Beispiele von „Diversity“-Formaten, die in der Coronazeit einen regelrechten Boom erlebten. Die neue zweite Staffel der Comedy war vor kurzem für den renommierten Diversify TV Awards nominiert. Deutsche Anwärter waren diesmal nicht vertreten.

Und dass, obwohl Diversität und Inklusion bei allen Sendern ganz oben auf der Agenda stehen. Doch die Umsetzung gerät manchmal wohl zu schablonenhaft, wie Produzent Michael Souvignier von Zeitsprung („Oktoberfest“, „Contergan“ u.v.m.) kritisiert: „Wenn ich in einer Backstory erklären muss, warum die Schwester weiß und ihr Bruder dunkelhäutig ist, dann wirkt das manchmal ein bisschen mit dem Holzhammer vermittelt und wenig organisch.“

Gesellschaftliche Vielfalt weniger abgebildet

Das Marktforschungsunternehmen Samba TV hatte Alarm geschlagen: In den USA – oft Vorreiter bezüglich der Abbildung gesellschaftlicher Vielfalt – ist der Anteil an nicht-weißer Besetzung in den Top-Serien im ersten Halbjahr 2024 im Vergleich zu 2023 um sieben Prozent gesunken. Besonders besorgniserregend ist der Rückgang von 40 Prozent bei hispanischen Schauspieler*innen im Vergleich zum Vorjahr – und das trotz des Starts hochkarätiger Serien wie Netflix‘ Griselda mit Sofia Vergara.

Für die Niederlande legt Wissenschaftlerin Serena Daalmans ähnliche Ergebnisse vor: Frauen kommen immer noch zu kurz, und nur fünf Prozent der Menschen im niederländischen Fernsehen waren über 65 Jahre alt, während diese Gruppe über 20 Prozent der dortigen Gesellschaft ausmacht.

Deutlich wurde auch der Vorsitzende der britischen Royal Academy of Dramatic Art, Marcus Ryder. Die TV-Branche trage eine Mitverantwortung für die ethnischen Unruhen, die nach der Messerattacke in Southport ausgebrochen waren, beklagte er. Im englischen Fernsehen würden Muslime meistens nur als Terroristen auftauchen.

Einen Rückgang bei den betreffenden Formaten bemerkt auch Martina Richter. Als Direktorin des Film Festival Cologne, analysiert sie alljährlich die internationalen Programmtrends: „Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass die Welt überall aus den Fugen geraten ist – mit vielen Krisenherden und antidemokratischen Kräften, die auf dem Vormarsch sind.“ Gerade die steigende Fremdenfeindlichkeit ist in vielen Ländern spürbar.

Dabei hatte das Thema in Streaming und TV zur Corona-Zeit richtig Fahrt aufgenommen, vielleicht auch, weil in der Pandemie marginale Gesellschaftsgruppen stärker betroffen waren als der Rest der Bevölkerung. Die Streamingportale wiederum, die ihre Formate meistens weltweit anbieten, erreichten damit Minderheiten rund um den Globus – die damit eine markt-relevante Masse darstellen.

Investieren für mehr Diversität

Vorbildlich ist die englische BBC mit ihrem Einsatz für die Darstellung von gesellschaftlicher Vielfalt. Dort hat man bemerkt, dass auch wirtschaftliche Verwerfungen die Bemühungen in der Branche torpediert haben. Gerade die Kreativen, die aus dem Geschäft aussteigen mussten, entstammten den Gruppen, die in der Medienbranche früher nicht zu finden waren. Bei der BBC jedenfalls möchte man den Anteil der Personen, die an einer Sendung mitarbeiten, die ethnisch vielfältig, gehörlos, behindert und/oder neurodivers sind oder einen sozioökonomisch vielfältigen Hintergrund haben, von 20 auf 25 Prozent erhöhen. Dafür hat der Sender in den letzten drei Jahren fast 320 Millionen Euro investiert.

Dass andere Länder schon weit voraus sind, das glaubt Produzent Nico Hofmann („Ich bin! Margot Friedländer“, „Ku’Damm“ u.v.a.): „Aber wir sind auf dem Weg.“ Denn eine neue, junge Generation sei am Start, die mit dem Thema ganz selbstverständlich umgeht: „Und sie fordern das auch ein – den selbstverständlichen, natürlichen Umgang mit der Wirklichkeit.“

Für Mipcom-Chefin Lucy Smith jedenfalls zeigen die Diversify-Awards, was eigentlich alles möglich ist: „Unser Ziel ist es, Jahr für Jahr unsere Plattform zu nutzen, um internationale Programme und Menschen ins Rampenlicht zu rücken, die in diesem Bereich herausragende Leistungen erbringen und als Beispiele dienen, von denen wir uns inspirieren lassen können.“

Allerdings, so ergänzte Drag Queen Nicky Doll anlässlich der Preisverleihung in Cannes: „Wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Je mehr wir die unterschiedlichen Lebensstile darstellen, desto mehr werden sie auch im breiten Publikum zur Normalität.“

 

 

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