Mit BigTech gegen Pressefreiheit

Symbolbild: Shutterstock

Der Vogel ist frei“ twitterte der US-Milliardär und Big Tech-Unternehmer Elon Musk am 28. Oktober 2022, dem Tag seiner Übernahme des Kurznachrichtendienstes Twitter, der damals noch den blauen Vogel als Logo hatte. Der reichste Mann der Welt wollte nach eigener Aussage den Dienst zu einer Plattform der absoluten Redefreiheit machen: „Freie Meinungsäußerung ist die Grundlage einer funktionierenden Demokratie, und Twitter ist der digitale Marktplatz, auf dem die für die Zukunft der Menschheit wichtigen Themen diskutiert werden“, hatte er zuvor erklärt.

Statt zu einem Hort des demokratischen Austauschs ist X, vormals Twitter, mittlerweile aber zu einer rechten Propaganda-Plattform für antidemokratische Inhalte geworden. Denn in der Praxis bedeutete die von Musk gepriesene Redefreiheit, ganz im Sinne des libertären Autoritarismus, diskriminierende Hassrede nicht mehr einzuschränken und unzählige Accounts zu entsperren, die wegen Rassismus, Antisemitismus oder der Verbreitung von Verschwörungsmythen geschlossen worden waren. Ein neues kostenpflichtiges Verifizierungssystem brachte zudem Nutzer*innen eine größere Reichweite. Elon Musk selbst wiederum wandelte sich seit der Übernahme vom bloßen profitorientierten Big Tech-Milliardär zu einem rechten politischen Aktivisten, der dementsprechend seine Plattform als Propaganda-Instrument nutzte. Er verbreitet auf seinem Account, mit über 200 Millionen Followern der mit Abstand größte auf X, rechtsextreme Inhalte und rassistische Verschwörungstheorien.

Vor allem seit seinem Eintritt in die US-amerikanische Regierung als Chefberater von Donald Trump versuchte Musk, seine Macht und Reichweite global zur Unterstützung anderer rechtsextremer Akteure zu nutzen. Einer der Höhepunkte dieser politischen Einflussnahme war das auf der Plattform live übertragende Interview mit der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel im Januar dieses Jahres, nur wenige Wochen vor der Bundestagswahl. Bereits im Dezember 2024 hatte Musk auf X mitten im deutschen Wahlkampf seine Unterstützung für die rechtsextreme Partei erklärt: „Nur die AfD kann Deutschland retten“.

Die Freiheit der anderen

Schon bald nach der Übernahme von Twitter durch Musk im Herbst 2022 hatte sich zudem gezeigt, dass die beschworene Redefreiheit nicht für seine Kritiker*innen gilt. Im Dezember 2022 sperrte er zeitweise die Konten mehrerer prominenter Journalist*innen, die kritisch über ihn und das Unternehmen berichtet hatten. Sowohl die EU-Kommission als auch der damalige UN-Generalsekretär António Guterres übten deutliche Kritik an diesem Angriff auf die Pressefreiheit. Jedoch braucht es auf Social Media-Plattformen gar nicht konkrete Zensur, um den Diskurs zu beeinflussen, es reicht die bloße Einflussnahme von Algorithmen und die Einschränkung der Sichtbarkeit bestimmter Nutzer*innen und Posts. Auf diese Weise können die Eigentümer der großen digitalen Plattformen vordergründig dem Mantra der freien Meinungsäußerung treu bleiben, während faktisch bestimmte Meinungen und Akteur*innen viel größere Reichweite bekommen als andere.

Aufgrund der unausgewogenen bzw. fehlenden Moderation sowie der von Algorithmen vorangetriebenen politischen Agenda haben viele Nutzer*innen und Journalist*innen die Plattform verlassen, auch die dju in ver.di hat ihre Aktivität dort eingestellt. In einem offenen Brief vom Dezember vergangenen Jahres, der unter dem Hashtag #eXit zum Verlassen der Plattform aufrief und den auch viele Journalist*innen unterzeichnet haben, heißt es, dass Twitter „ein Ort der Zensur, des Rassismus, Antisemitismus und des rechten Agendasettings“, ein „Werkzeug der Polarisierung, der Manipulation und der Menschenfeindlichkeit“ geworden sei.

Soziale Medien sind zu enorm wichtigen, vielleicht sogar den wichtigsten Plattformen der Information und des öffentlichen Austauschs geworden. Sie haben die traditionellen Medien als Ort der Meinungsbildung und des öffentlichen politischen Diskurses durcheinandergewirbelt und fordern zugleich ihre Macht als Vierte Gewalt heraus. X gehört zu den größten dieser Plattformen, nach eigener Auskunft mit 600 Millionen aktiven Usern monatlich, und steht an fünfter Stelle der meistbesuchten Websites weltweit. Sich aus diesem wichtigen Ort der globalen digitalen Öffentlichkeit zurückzuziehen, ist gerade für Journalist*innen keine einfache Entscheidung. Es schränkt ihre eigene Sichtbarkeit ein und ebenso den Zugriff auf Informationen. Dies gilt umso mehr, da ein Teil der offiziellen Kommunikation aus Politik und Wirtschaft noch immer auf X stattfindet.

Das Problem ist, dass fast alle bedeutenden Plattformen der digitalen Öffentlichkeit in der Hand eines Konzerns oder gar einzelner Personen liegen, die so den Diskurs bestimmen, beeinflussen und manipulieren können. Dieses Problem – eine enorme Eigentumskonzentration, die eine Gefahr für die Pressefreiheit darstellt – findet sich auch in der traditionellen Presselandschaft. In Deutschland werden im Bereich der Tagespresse 57 Prozent der Marktanteile von den zehn größten Medienkonzernen gehalten, bei Boulevard-Zeitungen sind es sogar 98,5 Prozent. In über zwei Dritteln aller Landkreise und Städte hat jeweils ein einzelner Konzern ein Monopol bei Tageszeitungen. Und auch diese Konzerne sind meist in der Hand einzelner Multimillionäre.

Bei den Social Media-Plattformen der Big Tech-Unternehmen kommt hinzu, dass sie zwar Aufgabenbereiche traditioneller Medien abdecken, als social networking services aber weder demokratischen Standards noch journalistischer Sorgfalt verpflichtet sind. Die Pressefreiheit ist hier vom Gutdünken der Plattform-Eigentümer abhängig, und ebenso welche Informationen Verbreitung finden.

Demokratische Öffentlichkeit

Dabei waren Soziale Medien anfangs ein äußerst wichtiges Instrument für die unabhängige Berichterstattung, vor allem den sogenannten Graswurzeljournalismus, und sind es immer noch. Auch für die Vernetzung und Mobilisierung bei demokratischen Protesten, wie zum Beispiel beim Arabischen Frühling Anfang der 2010er Jahre oder bei den Protesten im Iran im Herbst 2022, sind sie ganz entscheidend geworden. Als Werkzeug der demokratischen Öffentlichkeit spielt X trotz des autoritären Turns unter Musk weiterhin eine Rolle. Das zeigt sich unter anderem daran, dass die Plattform aus Angst vor dem freien Zugang zu Information und einer prinzipiellen Ablehnung von Meinungs- und Pressefreiheit in autoritären Regimen wie Russland, Nordkorea, China und Iran weiterhin nicht verfügbar ist. Und immer wieder gab und gibt es in diversen Ländern zu Zeiten größerer sozialer Proteste temporäre Sperren des Dienstes.

Mit Musks Übernahme hat sich dieses Verhältnis in Teilen aber umgedreht. So sperrte die brasilianische Regierung im Herbst 2023 kurzzeitig den Kurznachrichtendienst, weil Musk sich weigerte, gegen Accounts vorzugehen, denen vorgeworfen wurde, die rechten Ausschreitungen und den Sturm von Regierungsgebäuden im Zuge der Präsidentschaftswahl 2023 durch Falschinformation und Hassrede angefeuert zu haben.

Ob als Werkzeug im Kampf für Pressefreiheit und Demokratie oder als Plattform für diejenigen, die sie abschaffen wollen: An diesen Beispielen zeigt sich die fortwährende Bedeutung von X als auch die konkreten Auswirkungen, die der digitale Diskurs auf Politik und Gesellschaft hat – und welche Gefahren daraus entstehen, wenn ein einzelner Mensch die alleinige Verfügungsgewalt über so eine gesellschaftlich bedeutende Plattform hat.

X verstärkt rechtsextreme Meinungen

Da sich X mittlerweile zu einem Resonanzverstärker rechtsextremer Meinungen, Gruppen und Einzelpersonen entwickelt hat, bzw. durch Musk ganz aktiv hierzu ausgebaut wurde, bedroht sie nun selbst demokratische Prozesse und die freie Meinungsäußerung – und auch die Pressefreiheit, wenn unliebsame Journalist*innen in ihrer Sichtbarkeit eingeschränkt oder gesperrt werden, oder durch unkontrollierte, wenn nicht sogar gesteuerte Hassrede und Shitstorms bedrängt und attackiert werden.

Dass sich daran etwas ändert, solange Musk das Unternehmen besitzt, ist nicht zu erwarten. Denn wie er zur Presse steht, hat er auf seine Weise unmissverständlich deutlich gemacht: Kurz nach seiner Übernahme löste er die Kommunikationsabteilung auf, an die sich bisher Pressevertreter*innen wenden konnte. Ab März 2023 antwortete press@twitter.com dann automatisiert mit einem Kackhaufen-Emoji.

 

 

 

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