Wie lebt es sich in Deutschland, als jüdischer Mensch? Was wird diskutiert in der kleinen, kaum sichtbaren Diaspora hierzulande? Die deutschsprachige Internetzeitung haGalil gibt darauf viele Antworten, stellt aber auch viele Fragen. Was ist koscher, wird erklärt, ebenso der jüdische Kalender. Anfang Februar war der Monat Schwat des Jahres 5785 jüdischer Zeitrechnung. Zu allen Gedenk- und Feiertagen gibt es Basisinformationen. Aber wer die Zeitung online anklickt, bekommt zuerst Artikel zu aktuellen Themen zu sehen. Klar gehört auch Geschichte dazu, die Erinnerung an die Shoah.
„Das jüdische Leben in Deutschland spielt sich in der Hauptsache im privaten Bereich, oder aber in abgeschirmten und abgesicherten Gemeindehäusern ab. Von Unbefangenheit kann keine Rede sein“, heißt es im Editorial, das sich auf der übersichtlich strukturierten Internetseite leicht in der Rubrik „Über uns“ finden lässt. Überhaupt: Zum Lesen ist die Onlinepräsenz angenehm nüchtern aufgebaut. Nichts blinkt, keine animierte Anzeige schiebt sich vor Artikeltexte. Die Kehrseite davon: haGalil kann finanziell keine großen Sprünge machen.
„Ja, alle unsere Autor*innen arbeiten ehrenamtlich“ erläutert die leitende Redakteurin Andrea Livnat: „und das ist unser wichtigstes Kapital. Ohne unsere wunderbaren Autor*innen wären wir nichts …“
Es gibt eine kleine Grundförderung vom Zentralrat der Juden in Deutschland, auch Spenden sind willkommen. Es gibt einige kleinere Werbeeinnahmen. haGalil gehört keiner Firma, sondern dem Verein haGalil e.V. Der Sitz des Vereins ist in München.
haGalil ist im November 1995 entstanden, nach der Ermordung des israelischen Ministerpräsidenten Itzhak Rabin durch einen Rechtsextremen. „David Gall, der Gründer, hat selbst lange in Israel gelebt und wollte seiner Erschütterung über diesen politischen Mord im damals noch relativ jungen Medium Internet Ausdruck verleihen“, erinnert sich Livnat: „Ziemlich schnell gab es dann Rückmeldungen aus der ganzen Welt, weil diese Seite eine der ersten deutschsprachigen jüdischen Stimmen im Internet war“.
Heute hat jede Organisation, jede Gemeinde, jede Institution ein ausführliches Internetangebot, authentische Informationen zum Judentum lassen sich viel einfacher finden.
„Für uns bedeutet das vor allem, dass wir uns weniger bemühen, tagesaktuell zu sein“, sagt Livnat, „sondern mehr Hintergrundinfos bringen, oder auch Texte und Meinungen, die aus verschiedenen Gründen, in den großen Medien keinen Platz finden“. In den Anfangsjahren gab es auf haGalil ein Meldeformular für rechtsextreme und antisemitische Inhalte – einfach, weil es so etwas sonst nicht gab. „Da kamen täglich Dutzende Meldungen rein, die wir ausgewertet und wenn möglich zur Anzeige gebracht haben“, berichtet Andrea Livnat: „Das hat sehr viel Arbeit gemacht, aber dafür gibt es heute genügend andere Stellen, wie etwa RIAS“.
So veröffentlicht Livnat Artikel, die sie selbst interessant findet, es geht nicht um hohen Durchlauf. Ausgewählt sind die Artikel auch dadurch, dass eine Autorin wie etwa die Schriftstellerin Ramona Ambs aus Heidelberg sie wichtig genug findet, um dazu etwas zu schreiben, ohne ein Honorar zu bekommen. Zu wichtigen Ereignissen in Israel schreibt die leitende Redakteurin oft selbst Artikel, haGalil ist so eine zuverlässige Chronik wichtiger Ereignisse in Israel.
Über die großen Proteste gegen die Justizreform der Regierung von Benjamin Netanjahu etwa konnte sich auf haGalil.com aus erster Hand ausführlich und streitbar informiert werden. Und seit dem Überfall der Hamas auf Israel und der Entführungen in den Gazastreifen ist haGalil ein Medium, in dem sich verschiedene, meist regierungskritische Berichte und Analysen finden. Aber auch viele Berichte darüber, wie jüdische Deutsche die teilweise hasserfüllten Proteste gegen Israel erleben, die seit dem 7. Oktober 2023 stark zugenommen haben. Wer vielfältige, engagierte jüdische Sichten aus Deutschland lesen möchte, ist auf haGalil richtig.