Türkei: Kurdische Journalisten in Gefahr

Demonstrant*innen fordern am Tag der Pressefreiheit 2017 vor der Türkischen Botschaft in Berlin die Freilassung von inhaftierten Journalist*innen in der Türkei. Bild: Christian von Polentz

Nach Angaben der in Istanbul ansässigen Media and Law Studies Association (MLSA) standen zwischen dem 4. und 7. März mindestens 21 Journalisten vor türkischen Gerichten. Diese Zahl mag für deutsche Leser*innen schockierend sein, in der Türkei sind diese Ausmaße juristischer Verfolgung von Journalist*innen leider alltäglich. Unter dem Ein-Mann-Regime von Präsident Recep Tayyip Erdoğan sieht es mit der Meinungs- und Pressefreiheit im Land immer düsterer aus. Auch die jüngsten Daten der Journalistenvereinigung Dicle Fırat (DFG) zeigen deutlich, dass der Druck auf Journalisten wächst.

So wurden im Januar und Februar insgesamt 36 Journalist*innen festgenommen, 17 von ihnen wurden verhaftet. Die Zahl der inhaftierten Journalist*innen in der Türkei steigt damit auf aktuell 42. Neben der Inhaftierung werden zunehmend gerichtliche Kontrollmaßnahmen wie Reiseverbote, regelmäßige Polizeikontrollen und Hausarrest als alternative Mittel zur Einschränkung der Pressefreiheit eingesetzt.

Kurdische Journalist*innen im Fokus

Seit Jahren nutzt die Erdoğan-Regierung die Justiz als Instrument zur Unterdrückung von Journalist*innen, die über Korruption, Unterdrückung und Repression des Regimes berichten. Während fast alle Medienschaffenden, die kritisch berichten, in irgendeiner Form unter Druck gesetzt werden, richtet sich die schwerste Unterdrückung gegen kurdische Journalist*innen.

Ohnehin gibt es in der Türkei, wo mehr als neunzig Prozent der Medien die Erdoğan-Regierung unterstützen, nur sehr wenige Medienorganisationen, die kritischen oder oppositionellen Journalismus betreiben. Wenn es aber um die Rechte und die Verfolgung der Kurd*innen geht, weicht selbst die Hälfte der oppositionellen Medien nicht von den regierungsnahen Medien ab und steckt lieber den Kopf in den Sand.

In den letzten Jahren stand die überwiegende Mehrheit der Anklagen gegen Journalist*innen im Zusammenhang mit dem Vorwurf des „Terrorismus“. Vor allem betroffen: Kurdische Journalist*innen, die kritisch über Themen wie die kurdische Frage, Menschenrechte oder grenzüberschreitende Operationen gegen kurdische Kräfte berichten.

Durch Drohnen getötet

Zusätzlich zur gerichtlichen Verfolgung, die ihre persönliche Sicherheit verletzt, sind kurdische Journalist*innen, die trotzdem ihre Tätigkeit fortsetzen, ernsthafter Lebensgefahr ausgesetzt. So töteten mutmaßlich türkische Drohnen den Journalisten Aziz Köylüoğlu am 27. Januar 2025 in Ranya und den Journalisten Egît Roj am 16. Februar 2025 in Tişrîn.

Mit diesen beiden Morden ist die Zahl der kurdischen Journalist*innen, die in den letzten sieben Monaten in der föderalen Region Kurdistan im Irak und in der autonomen Region Rojava in Nordsyrien von Drohnen ermordet wurden, auf sieben angestiegen. Im vergangenen Jahr wurden der Çira-TV-Korrespondent Murat Mîrza am 11. Juli 2024 in Şengal, die Journalist*innen Gulîstan Tara und Hêro Behaddîn am 23. August 2024 in Silêmaniyê und Nazım Daştan und Cihan Bilgin am 19. Dezember 2024 in Tişrîn getötet.

Die Tötung kurdischer Journalist*innen wurde von den meisten türkischen und internationalen Medien nicht als berichtenswert angesehen. Während viele Medienorganisationen über den Tod von Journalist*innen in der Ukraine oder in Gaza und den palästinensischen Gebieten berichteten, schwiegen sie zu den Morden an kurdischen Journalist*innen. Diese weltweite Gleichgültigkeit lädt geradezu zu weiteren Angriffen ein. Außerdem fördert dieses Schweigen die Straflosigkeit.

Die Tötung, Festnahme oder Inhaftierung von Journalist*innen beeinträchtigt die Möglichkeit anderer Journalist*innen, frei zu berichten und zu schreiben. Wer ähnliche Konsequenzen fürchtet, greift entweder zur Selbstzensur oder überlegt es sich zweimal, bevor man kritisch über Themen berichtet, die von der Regierung als „rote Linien“ betrachtet werden.

Daten zur Zensur

Daten zur Selbstzensur gibt es keine, aber Daten zur Zensur gibt es sehr wohl. Die türkische Rundfunkregulierungsbehörde RTÜK verhängte im letzten Jahr 24 Sendeverbote und Geldstrafen in Höhe von insgesamt 81,5 Millionen Türkischen Lira (etwa 2,2 Millionen Euro). Die überwiegende Mehrheit traf regierungskritische Medienunternehmen. Dass die berüchtigte RTÜK in den letzten Jahren systematisch von ihrer Regulierungsbefugnis Gebrauch gemacht hat, um kritische Medienorganisationen zu bestrafen, hat ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit der Rundfunkregulierung und des Medienpluralismus in der Türkei aufkommen lassen.

Im vergangenen Monat haben mehr als 40 internationale Organisationen, darunter das Internationale Presseinstitut (IPI) und die Europäische Journalistenföderation (EJF), die türkischen Behörden aufgefordert, willkürlich inhaftierte oder verhaftete Journalist*innen freizulassen und die wichtige Rolle des Journalismus bei der Förderung des öffentlichen Interesses und der Demokratie zu wahren.

Als Journalist, der fast sieben Jahre lang in der Türkei inhaftiert war, schließe ich mich diesem Aufruf von ganzem Herzen an, möchte aber noch eine entscheidende Ergänzung anbringen: So wie die Ermordung von Journalist*innen in der Ukraine und im Gaza-Streifen ein Verbrechen ist, ist die Ermordung von Journalist*innen in Kurdistan ebenfalls ein Verbrechen. Die Tatsache, dass der Täter der türkische Staat ist oder die Opfer kurdische Journalist*innen sind, macht dieses Verbrechen nicht ungeschehen oder mildert es.

Machen wir Lärm für die persönliche Sicherheit und die Meinungsfreiheit der Journalist*innen in der Türkei, indem wir das Recht auf Leben der kurdischen Journalist*innen verteidigen. Murat Mîrza, Gulîstan Tara, Hêro Behaddîn, Nazım Daştan, Cihan Bilgin, Aziz Köylüoğlu und Egît Roj waren Journalist*innen. Und Journalismus ist kein Verbrechen.

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