Nach 38 Jahren nicht mehr im Visier

Verfassungsschutz stoppt Dauerbeobachtung des Menschenrechtlers Rolf Gössner

38 Jahre lang wurde er überwacht – fast sein ganzes bisheriges Erwachsenen-Leben lang. Damit ist es jetzt vorbei: Der Bremer Publizist und Anwalt Rolf Gössner (60) wird nicht länger vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) beobachtet.

Seit 1970 hatte das BfV ständig Daten über ihn gesammelt. Der Grund: seine Kontakte zu „linksextremistischen bzw. linksextremistisch beeinflussten“ Medien und Organisationen. Der parteilose linke Geheimdienstexperte erfuhr dies durch eine eigene Anfrage beim BfV. Registriert wurden zum Beispiel Artikel, Aufrufe und Interviews im Neuen Deutschland, dem Arbeiterkampf oder der Zeitschrift Geheim. Abgeheftet wurden aber auch Gastbeiträge für die Frankfurter Rundschau. Ebenfalls im Visier: seine Auftritte bei der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ oder der „Roten Hilfe“. Das Bundesamt habe ihn unzulässigerweise mit diesen Medien und Veranstaltern identifiziert und ihm eine Art „Kontaktschuld“ zur Last gelegt, kommentierte er jetzt die Dauerüberwachung.
Die Datensammler hatten einiges zu tun, denn Gössner ist sehr aktiv. Ab 2003 war er Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, seit 2008 ist er ihr Vizepräsident. Er gibt den kritischen Grundrechte-Report mit heraus und sitzt in der Jury für den Anti-Überwachungs-Preis „Big Brother Award“. Die Beobachtung endete auch nicht, als er in Bundestags- und Landtagsausschüssen als Gutachter mitwirkte, bei Veranstaltungen der Polizei und sogar des Verfassungsschutzes auftrat oder 2007 zum stellvertretenden Mitglied des Bremer Staatsgerichtshofs gewählt wurde.
Seit 2006 klagt Gössner mit ver.di-Rechtsschutz gegen das Bundesamt für Verfassungssschutz. Seine Ziele: vollständige Auskunft über die gespeicherten Daten, komplette Löschung und Feststellung der Rechtswidrigkeit. Im zunächst nur schriftlichen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln erwirkte Gössner nach eigenen Angaben bereits ein Zwischenurteil, wonach das BfV ihm die gesamte Akte vorlegen muss – schätzungsweise 3.000 Blatt. Bisher kennt er erst 500 Seiten, zum großen Teil mit geschwärzten oder entfernten Passagen. Diese „Verheimlichung ganzer Aktenteile“, so Gössner, gehe auf eine Sperrerklärung des Bundesinnenministeriums zurück. Begründet werde sie unter anderem mit dem Schutz von Hinweisgebern oder V-Leuten. Dagegen wiederum klagt Gössner vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Als das Verwaltungsgericht Köln jetzt erstmals mündlich verhandeln wollte, teilte der Geheimdienst kurz zuvor plötzlich mit, dass die Beobachtung eingestellt und alle Daten gesperrt wurden. Bei der Verhandlung berichteten BfV-Vertreter laut Gössner, dass sie ein „Gesamtbild“ von ihm erstellen wollten. Seine Mitwirkung als prominenter Jurist habe linke Blätter quasi salonfähig gemacht. Einer der Gründe, warum er jetzt nicht mehr beobachtet werde: Die Bedrohungslage habe sich geändert, und die knappen Ressourcen müssten jetzt anders eingesetzt werden.
Der Prozess geht weiter. Und eine neue Klage hat Gössner auch schon eingereicht: Wie er inzwischen weiß, wird er auch vom Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen beobachtet.

 

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