Urteil mit Risiko

Kollektive Rechtewahrnehmung für Autoren gefährdet

Am 17. Oktober hat das Oberlandesgericht (OLG) München im Rechtsstreit Dr. Vogel ./. Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) – wie zuvor schon das LG München I – entschieden, dass von den Ausschüttungen an den Kläger kein Anteil für die Verlage abgezogen werden darf. Die VG Wort hat angekündigt, gegen das Urteil Revision einzulegen.


„Das Urteil des OLG München stellt die gemeinsame Rechtewahrnehmung von Autoren und Verlagen innerhalb einer Verwertungsgesellschaft grundlegend in Frage und führt zu praktisch kaum lösbaren Schwierigkeiten“, erklärt die VG Wort dazu. Sie werde das Urteil gründlich analysieren und ihr weiteres Vorgehen in ihren Gremiensitzungen Ende November 2013 beraten. Außerdem sei der Gesetzgeber dringend aufgefordert, zu prüfen, ob er in dieser Angelegenheit erneut klarstellend tätig werden muss. Denn sollte sich die Rechtsprechung der Münchener Richter durchsetzen, hätte dies Folgen, die aus Sicht der VG Wort dem Zweck des § 63a UrhG zuwider liefen. In der Gesetzesbegründung der 2007 geänderten Vorschrift heißt es: „Ein Ausschluss der Verleger von der pauschalen Vergütung wäre angesichts der von ihnen erbrachten erheblichen Leistung auch sachlich nicht hinnehmbar. […]. Der neue Satz 2 soll gewährleisten, dass die Verleger auch in Zukunft an den Erträgen der VG WORT angemessen zu beteiligen sind.“

Gemeinsam getragen

Wer sich wundert, weshalb die VG Wort – also gegenwärtig der Vorstand – sich so für die Beteiligung der Verlage einsetzt, sollte wissen: Die VG Wort ist zum einen keine Urheberorganisation, sondern eine gemeinsam von Urhebern und Verlagen gegründete und getragene Verwertungsgesellschaft. Das stellt auch ihre Satzung klar. Zum anderen hat die Mitgliederversammlung der VG Wort erst 2012 genau die prozentuale Verteilung an Autoren und Verlage erneut beschlossen, die die Justiz für unzulässig hält. Dass sich der Vorstand an dieses Mitgliedervotum und den Satzungsauftrag hält, ist einleuchtend. Die Regelung, dass an Autoren und Verlage nach festen Quoten (70:30 oder 50:50 bei wissenschaftlichen Werken) verteilt wird, hat einen Sinn und liegt durchaus auch im Interesse der Autoren: Dieser in der VG Wort ausgehandelte Kompromiss sollte verhindern, dass Verlage sich durch clever formulierte Verträge alles unter den Nagel reißen. Die deutliche Mehrheit (zumeist einstimmig), mit der die Mitgliederversammlung im vergangenen Jahr diesen Verteilungsmodus trotz des entgegenstehenden Urteils des LG MünchenI wieder beschlossen hat, muss wohl so verstanden werden, dass man am einmal gefundenen Kompromiss festhalten und eben nicht darauf spekulieren wollte, was bei individuellen Vertragsverhandlungen herauszuholen wäre.
Auch ver.di sieht das Risiko negativer Folgen des OLG-Urteils für Urheberinnen und Urheber: Was zunächst aussieht wie ein Erfolg für die Autorinnen und Autoren, könnte sich im Nachhinein in vielen Fällen zum finanziellen Nachteil auswirken.
Zwar dürften nach dem Urteil keine Tantiemen der VG Wort an Verleger ausgezahlt werden, wenn die einschlägigen Rechte und Vergütungsansprüche – etwa für Vergütungen für Privatkopien – bereits der VG Wort eingeräumt wurden, was auf den ersten Blick zu einem höheren Anteil der Autorinnen und Autoren führen würde. Auf den zweiten Blick wird jedoch deutlich, dass allein die Betrachtung der Einzelverträge eher Probleme schaffen als lösen dürfte. Denn anders, als manche Berichterstattung zu dem Urteil nahelegt, muss demnach jeder einzelne Verlagsvertrag geprüft werden. Wenn also Urheberinnen und Urheber einem Verlag bereits die Rechte eingeräumt haben, könnten sie diese Rechte nicht mehr an die VG Wort abtreten und folglich daraus keine Ausschüttungen erhalten. Zudem müssten die eingesammelten Gelder dann erst einmal für aufwändige Prüfungen der Verträge verwandt werden, was insgesamt die Ausschüttungssumme schmälert. Ob das ein Erfolg oder ein echter Pyrrhussieg für die Autorinnen und Autoren wäre, ist nicht ausgemacht.

VG Wort aufs Spiel gesetzt

Die VG Wort nimmt seit über fünfzig Jahren erfolgreich die Rechte von Urheberinnen und Urhebern und – eben auch – von Verlagen wahr. Man kann sicher darüber streiten, ob dieser Weg der Interessenvertretung und der damit verbundene Kompromiss, die Tantiemen nach einem festen Schlüssel zu verteilen, der Königsweg ist. Wer heute mit vielleicht formal nachvollziehbaren Überlegungen zum Umfang der eingeräumten Rechte die Verlage von Ausschüttungen ausschließen will – und möglichweise auch eine Vielzahl von Autoren ausschließt –, setzt aber die VG Wort insgesamt aufs Spiel. Ob das zu verantworten ist, müssen sich die handelnden Personen selbst fragen.
ver.di ist nicht verantwortlich für von den Gremien der VG Wort autonom getroffene Entscheidungen. Trotzdem wird mitunter der Eindruck erweckt, als würde sich ver.di dafür einsetzen, dass die Verlage an den Einnahmen der VG Wort beteiligt werden. Das ist falsch. ver.di wird sich aber nicht an Aktivitäten beteiligen, durch die das Prinzip der kollektiven Rechtewahrnehmung durch Verwertungsgesellschaften, von dem die Autorinnen und Autoren durchweg profitieren, infrage gestellt wird.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Der Rotstift beim Kinderfernsehen

ARD und ZDF halten es nicht für sinnvoll, wenn die Bundesländer im Reformstaatsvertrag einen fixen Abschalttermin für das lineare Programmangebot des Kinderkanals KiKa festlegen. Die lineare Verbreitung zu beenden, sei „erst dann sachgerecht, wenn die weit überwiegende Nutzung eines Angebots non-linear erfolgt“, erklärten ARD und ZDF gemeinsam auf Nachfrage. „KiKA bleibt gerade für Familien mit kleinen Kindern eine geschätzte Vertrauensmarke, die den Tag linear ritualisiert, strukturiert und medienpädagogisch begleitet.“
mehr »

Journalismus unter KI-Bedingungen

Digitalkonzerne und Künstliche Intelligenz stellen Medienschaffende vor neue Herausforderungen. „KI, Big Tech & Co. – was wird aus dem Journalismus?“ lautete folgerichtig der Titel der 11. Medienpolitischen Tagung von ver.di und DGB am 16. Oktober in Berlin. Über 80 Wissenschaftler*innen, Rundfunkräte und Journalist*innen informierten sich auch über den aktuellen Stand der Debatte über den neuen Medien“reform“staatsvertrag.
mehr »

Neue Perspektiven für Klimajournalismus

Besondere Zeiten brauchen einen besonderen Journalismus – ein Motto, dass das im Juli gelaunchte deutschsprachige Medienprojekt „Neue Zukunft“ nicht aus werbestrategischen Gründen ausgegeben hat. Die Klimakrise und die Klimagerechtigkeitsbewegung erhalten in vielen Medien der Schweiz, Österreichs und Deutschlands ihrer Meinung nach nicht genügend Aufmerksamkeit. Gerade Gerechtigkeitsfragen erhöhen den Handlungsdruck im Zusammenhang mit den Folgen menschlichen Raubbaus an Ressourcen und Umwelt.
mehr »

Klimaleugnung in den Medien

Rechtspopulistische Bewegungen machen weltweit mobil gegen den Klimaschutz. Sie zeigen sich „skeptisch“ gegenüber dem Klimawandel und lehnen klima- und energiepolitische Maßnahmen ab. Ein Widerspruch: Obgleich „Klimaskepsis“ und die Leugnung des menschengemachten Klimawandels vielfach zentrale Positionen der politischen Rechten markieren, existieren auch gegenläufige Tendenzen in Bezug auf Umwelt- und Naturschutz. Denn auch Rechte waren stets in Umweltbewegungen zugegen. Das hat Tradition.
mehr »