Ethik in Zeiten des Medienwandels – Journalistische Selbstkontrolle gefordert
„Der Presserat kommt mit der digitalen Revolution einfach nicht mit“, konstatierte Medienjournalist Thomas Mrazek. Ein „Defizit“ in der historisch gewachsenen Struktur gestand Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Gremiums ein, aber das System sei „kein alter Hut“. Recht kontrovers verlief eine Podiumsdiskussion über die „Publizistische Selbstkontrolle“ während der Jahrestagung des Netzwerks Medienethik in München: Presserat, Ombudsleute oder Blogs – wie sieht die Medienregulierung der Zukunft aus?
„Regensburg digital“ heißt das Blog, mit dem der ausgebildete Journalist Stefan Aigner seit 2008 das veröffentlicht, was andere verschweigen. Während die dortige Lokalzeitung z.B. in „PR-Artikeln die tolle Mitarbeiterbindung“ im Möbelkonzern XXXLutz gelobt habe, deckte er 2010 die „beschämende Personalpolitik“ des Unternehmens auf, das die Zahl der Vollbeschäftigten auf 30 Prozent reduziert hatte. Die Veröffentlichung bescherte ihm bundesweite Resonanz und eine Klage, die das Gericht aber zurückwies. „Die beste Kontrolle funktioniert im Internet“, so Aigner, der ganz auf seine Leserschaft setzt, die seinen Blog mittlerweile auch zu 70 Prozent finanziert.
„Bei Repressalien hat der Presserat die Möglichkeit, das öffentlich zu machen“, versuchte Geschäftsführer Tillmanns Aigner zu gewinnen, denn das Gremium könnte auch „für Telemedien zuständig sein, wenn diese sich selbst verpflichten“. Medienjournalist Thomas Mrazek war skeptisch: „Die steinalten Printhaudegen wollen das doch gar nicht“ und die Verlegerseite sei schließlich Geld- und damit Tonangeber.
Diplomatisch zeigte sich Anton Sahlender, Ombudsmann bei der Mainpost in Würzburg: „Der Presserat ist ein durchaus anerkanntes Instrument“, werfe aber ein „misstrauisches Auge auf die Konkurrenz, die vor Ort entsteht“. Mittlerweile gibt es in Deutschland neun Ombudsleute, die sich – angebunden an die Chefredaktion – mit Leserbeschwerden befassen. Anfangs sei das „ein harter Kampf“ gewesen. Seitdem er dazu übergegangen sei, die Vorgehensweise seiner Redaktion einfach zu erklären und weniger inhaltlich zu kommentieren, höre er auch Lob: „Schön, dass es Sie gibt!“ Durch die Bearbeitung von Leseranfragen sollten Qualität und Glaubwürdigkeit der Zeitung gestärkt werden, so Sahlender. Da das „nichts Rechenbares“ ist, sei das eine „Frage der Kultur des jeweiligen Medienhauses“. Bei der Mainpost gebe es „redaktionelle Leitlinien, die tiefer gehen als der Pressekodex“.
Der Presserat arbeite aber „systematischer“, gab Geschäftsführer Tillmanns zu bedenken, wobei er redaktionserfahrene Ombudsleute durchaus als sinnvolle Ergänzung der bestehenden Selbstkontrolle sah. Die Initiative Qualität im Journalismus, in der u.a. Gewerkschafter, Verleger und Presserat zusammenarbeiten, unterstützt die Ombudsleute, deren Sprecher Sahlender ist. Ombudsleute und Blogger argumentierten, Selbstkontrolle funktioniere bei ihnen schneller als beim Presserat, der drei bis vier Monate für die Beschwerdebearbeitung braucht. Bei ihnen bekommen LeserInnen sofort eine Antwort.
Die „wichtigsten Kontrolleure sind immer noch Leserkommentare“, so Blogger Aigner. Auch wenn sie teilweise „unterirdisch“ seien, schalte er sie zunächst frei, sofern sie nicht strafrechtlich relevant seien. Er beantworte Leseranfragen, lasse aber keine öffentliche Diskussion mit anonymen Kontakten zu. Die Mainpost hingegen habe ihr Offenes Forum inzwischen geschlossen und publiziere nur noch „kontrollierte Kommentare“, so Sahlender, denn die Ausländerfeindlichkeit einiger Leser sei „ekelhaft“ gewesen. Tillmanns empfahl mit Blick auf die Persönlichkeitsrechte im Pressekodex unbedingt die Moderation von Leserforen, denn wenn jemand auch nur wenige Stunden im Netz bloßgestellt werde, könne der Ruf schon ruiniert sein. „Wenn man Sexistisches und Rechtsradikales rausschmeißt, ist das nicht Zensur. Die können ihr eigenes Blog aufmachen!“ In der Diskussion wurde deutlich, dass sich in „Prologgeschichten“ auch Stimmungen in der Bevölkerung zeigten und das „Experiment mit dem Pöbel“ nicht abgebrochen werden dürfe. Gegen moralische Grenzverletzungen im Journalismus setzten viele auf mehr Ethik in der Ausbildung und mehr Medienerziehung für die Rezipientenschaft. Einer, der vehement für letzteres eintrat, war der einzige Wissenschaftler unter den Podiumsdiskutanten, der Philosophieprofessor Mathias Rath, zugleich Vorsitzender der Freiwilligen Publizistischen Selbstkontrolle: „Wenn die Bildzeitung über 200 Rügen im Jahr bekommt und das keine Folgen hat, wenn die Westfälische Rundschau ihre Lokalredaktion abschafft und ihre Abonnenten nicht mit Zeitungsabbestellung reagieren, wenn die Leserschaft Qualitätsverlust nicht wahrnimmt, dann hilft nur Medienbildung.“
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Mehr zur Jahrestagung „Neuvermessung der Medienethik“ unter: http://www.netzwerk-medienethik.de/jahrestagung/tagung2013/