Interview mit Dr. Thomas Haipeter, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim IAT, Institut für Arbeit und Technik in Gelsenkirchen.
«M»: Wenn Verlag und Chefredaktion die Anwesenheitsdauer der Redakteure nicht kontrollieren, ist das Vertrauensarbeitszeit?
THOMAS HAIPETER: Nein. Nach unserer Kenntnis herrscht in Zeitungsredaktionen bis auf die Regelung von freien Tagen und Urlaubstagen ein weitgehend regelungsloser Zustand. Redakteure arbeiten länger als tarifvertraglich vereinbart und stellen dem Unternehmen ihre Mehrarbeit kostenlos zur Verfügung – faktisch eine Gehaltsminderung.
«M»: Keine Vertrauensarbeitszeit?
THOMAS HAIPETER: Nein, denn bei der Vertrauensarbeitszeit handelt es sich weniger um ein Arbeitszeitmodell als um ein Instrument der Personalführung. Zeiterfassung gibt es nicht. Ein Beschäftigter kann morgens einkaufen und nachmittags eine Runde joggen. Kein Problem. Aber deshalb ist nicht die Kontrolle abgeschafft. Wo Vertrauensarbeitszeit gilt, werden Mitarbeiter nicht mehr über die Dauer ihrer Anwesenheit, sondern über Ergebnisse gesteuert.
«M»: Ist das in Redaktionen nicht ähnlich?
THOMAS HAIPETER: Vom Zeitungsredakteur wird sicherlich erwartet, dass er erst dann den Computer abschaltet, wenn die Arbeit beendet ist, unabhängig davon, wie lange er gearbeitet hat. Das erfordert ein hohes Maß an Autonomie. Aber Vertrauensarbeitszeit ist nicht das einzige Instrument neuer Personalführung. Betriebe wie beispielsweise SAP zeichnen sich durch flache Hierarchien aus. In den meisten Zeitungsredaktionen existieren dagegen die klassischen hierarchischen Strukturen.
Darüber hinaus gehören Zielvereinbarungen zu neuer Personalführung. Die Führungskraft legt mit Abteilungen oder einzelnen Beschäftigten in einem bestimmten zeitlichen Rhythmus Leistungs-, Verhaltens- und Projektziele fest. Solche Ziele können sich auf den Umsatz beziehen, auf Kundenzufriedenheit, Produktivität. Zulagen oder Gehaltsbestandteile können abhängig sein vom Erreichen der Ziele.
«M»: Zielvereinbarungen sind aber keine übliche Praxis in Zeitungsredaktionen.
THOMAS HAIPETER: Stimmt. Zielvereinbarungen setzen Kommunikation zwischen Beschäftigten und Führungskraft voraus, um beispielsweise Probleme von Überlast zu lösen oder Wege zu finden, wie die vereinbarten Ziele doch noch erreicht werden können. Je nach Kultur des Hauses hat der Chefredakteur jedoch großen Einfluss und kontrolliert auch die Anwesenheit der Beschäftigten.
«M»: Wird vom Redakteur verlangt, dass er denkt und handelt wie ein Unternehmer?
THOMAS HAIPETER: Das hat in manchen Verlagen ebenso Einzug gehalten wie in anderen Unternehmen. Verleger möchten, dass Beschäftigte nicht nur ihr fachliches Wissen einbringen, sondern neu denken: Wie kann der Kunde zufriedengestellt werden, damit er nicht zur Konkurrenz abwandert? Einstige Aufgaben des Managements werden auf die Beschäftigten übertragen. Allerdings sind die Sanktionen nicht so stark ausgeprägt wie in anderen Unternehmen, die mit dem Instrument indirekter Steuerung arbeiten.
«M»: Was heißt das?
THOMAS HAIPETER: In solchen Unternehmen wird damit gedroht, dass die betriebswirtschaftliche Einheit dichtgemacht wird, falls sie nicht erfolgreich ist. Das Komponentenwerk eines Automobilzulieferers konkurriert beispielsweise nicht nur mit Werken anderer Unternehmen, sondern auch mit unternehmenseigenen Werken: Produziert günstiger oder der Auftrag geht zur Konkurrenz. Da werden zum Teil enorm hohe Renditeerwartungen zu Kostenzielen für jede Einheit umformuliert.
«M»: Nach welchem Konzept wird dann in Verlagen agiert?
THOMAS HAIPETER: Das ist eine Mischung aus althergebrachter Unternehmensführung und Elementen neuer Personalführung. Verlage reagieren auf die Krise mit einer Inszenierung von Unsicherheit. Sie bauen Drohkulissen auf, um Druck auszuüben. Sie lagern Verlagsbereiche und Redaktionsteile aus, rationalisieren und betreiben eine Personalpolitik der untersten Linie. Da wird schlichtweg getestet, mit wie wenig Personal eine Zeitung noch herzustellen ist, bei gleichzeitiger Übertragung von zusätzlichen Aufgaben auf die Redaktion. Das führt dazu, dass in Redaktionen der schiere Arbeitsdruck herrscht. Und den halten Redakteure aus, weil sie Angst haben, ihren Job zu verlieren.
Interview: Michaela Böhm