Die Rufe gegen die „Lügenpresse“ und die „Fake News“ sind etwas weniger hysterisch, aber wir Medien sind weiterhin in einer Weise selbst Thema, wie wir es eigentlich nicht besonders schätzen. Harte Medienkritik gab es immer, wir erinnern uns an die Debatten über die Berichterstattung über die Golfkriege oder den Kosovokrieg, über die Rolle der Medien bei der „Agenda 2010“ oder in der Hochzeit der neoliberalen Wende. Doch so lautstark und so fundamentalistisch war der Ärger über uns Medienschaffende nie.
Wie konnte es so weit kommen? Natürlich, mit der AfD ist eine politische Kraft auf die Bühne getreten, die mit ihrem Furor gegen die politische Berichterstattung kräftig Sturm sät. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass verhältnismäßig viele ehemalige Kollegen aus Print, Radio und TV die Seiten gewechselt haben und nun auf Seiten der AfD selbst Politik machen wollen. Doch das laute Geschrei kann nur wirken, wenn es von vielen aufgenommen und weitergetragen wird. Und das Echo auf diese Attacken ist größer als Pegida oder AfD. Und das muss uns nachdenklich machen.
Halten wir uns den Spiegel vor: Der erste Blick in all die Umfragen und Studien könnte uns beruhigen. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung sieht weiterhin die Tageszeitungen und die öffentlich-rechtlichen Medien als seriöse Quellen und hilfreiche Wegbegleiter in allen Diskussionen, die eine lebendige Demokratie mit sich bringt. Diese Zustimmungswerte haben in den vergangenen Jahren auch nur wenig abgenommen, das ist angesichts der wütenden Behauptungen der großen Vertrauenskrise eine gute Nachricht.
Doch in den Detailergebnissen der zahlreichen Studien steckt auch Beunruhigendes. Bei aller Wertschätzung der Leitmedien ist unübersehbar, dass sich zwei Vorwürfe quer durch die Generationen halten, ja sogar deutlicher geworden sind. Die Medien seien nicht kritisch genug und, und das ist besonders bedenklich, sie seien zu nahe an der Macht, seien zu sehr ein Teil der „da oben“.
Nehmen wir diese Kritik ernst, zumal sie von Menschen geäußert wird, die den Wert freier Medien schätzen und unsere wichtige Rolle für das Funktionieren unseres Gemeinwesens nicht in Frage stellen. Diese Kritiker leben nicht in den Echokammern von Facebook und Co. Irgendetwas läuft schief, wenn derartige Einschätzungen so tief und quer durch die Generationen und sozialen Gruppen verankert sind. Diese Kritik gilt unserer Rolle und der Art und Weise, wie wir in dieser Rolle aufgehen. Was läuft konkret schief? Vielleicht stellen wir uns in unserer Haltung zu häufig an die Seite der „alternativlosen Wahrheit“. Vielleicht geben wir uns zu häufig damit zufrieden, politische Debattenbeiträge und Entscheidungen zu transportieren, ohne sie in einen offenen Diskurs einzubetten, ohne Gegenpart im Auftrag unserer Leser, Hörer und Zuschauer zu sein. Und vielleicht glauben wir in einem Winkel unseres Herzens wirklich an unseren angeblichen Auftrag als „Vierte Gewalt“. In unserer Verfassung ist davon keine Rede, die Presse- und Meinungsfreiheit ist kein Mandat für die Medien, eine gestaltende Rolle im Rahmen unserer Gewaltenteilung einzunehmen. Unser Anspruch, „Vierte Gewalt“ zu sein, ist hybrid und eine Grenzüberschreitung. Eine „Vierte Macht“ müsste sich übrigens auch in eine gesamtstaatliche Verantwortung einfügen, wie es für die drei anderen „Gewalten“ gilt. Wollen wir unsere Berichterstattung tatsächlich dieser Rolle, dieser Aufgabe und dieser Verantwortung unterwerfen?
Doch die Rolle scheint verführerisch. Gerade bei der Diskussion über die Folgen der letzten Bundestagswahl ist in unseren Medien allzu häufig herauszuhören, was nun ganz dringend geschehen sollte, was unbedingt zu unterlassen sei, welches Koalitionsmodell die Zukunft darstellt und welches die angeblich triste Vergangenheit. Grenzüberschreitungen überall. Und wenn wir diesen Weg weiter gehen, wenn wir offensiv den Anspruch erheben, in diesem Land zu entscheiden, wer regiert und wer nicht, dann landen wir da, wo uns die kritischen Bürger in den Umfragen schon heute lokalisieren. Wir Medien als Machthaber, als Mitregierer, als „Wir da oben“, die den Bürgern vorschreiben, wie sie zu denken und zu handeln haben. Nein, die Kritik uns Medien gegenüber ist nicht nur Folge von Verblendung und Demagogie, unsere Rolle und unsere Funktionen sind vielen unklar und unheimlich geworden. Und das bereitet den Demagogen und Hetzern das Feld.
Stefan Raue ist seit Juni 2017 Intendant des Deutschlandradios.