Ausgeblendet

Die Lebenswelt älterer Menschen kommt im Fernsehen kaum vor

Wie reagieren die Medien auf den demographischen Wandel der Gesellschaft? Ist die Orientierung der TV-Sender an der Zielgruppe der unter 50jährigen nicht längst obsolet? Auf den 24. Tutzinger Medientagen Anfang März debattierten Programmmacher, Werbeplaner und Medienkritiker über TV-Programmangebot und -bedarf der „Generation 50 plus“.

Die Gesellschaft altert, schnell sogar. Schon jetzt ist annähernd jeder vierte Deutsche auf Rente oder kurz davor. Bis 2020, so das Statistische Bundesamt, schrumpft die Gruppe der 20 – 49jährigen um fast fünf Millionen. Gleichzeitig wächst die Zahl der 50- bis 69jährigen um vier Millionen, die der 70jährigen und Hochbetagten um drei Millionen. In den Medien spiegelt sich diese Entwicklung bislang kaum wider. Ältere Menschen in Fernsehfilmen sind um die 60, höchstens 70 Jahre alt und in der Regel wohl situiert, so der Eindruck von Medienkritiker Tilman P. Gangloff. „Sie haben ihr Einkommen, sind relativ rüstig, unternehmungslustig, interessiert“. Gerade in fiktionalen Stoffen würden ältere Menschen mit Gebrechen „weitgehend ausgeblendet“. Und somit die Realität nur unzureichend abgebildet.

Die Fernsehmacher bevorzugen den Typ des oder der „Neuen Älteren“. Starke, attraktive Frauen wie Hannelore Elsner oder Senta Berger – Inge Meysel eher die Ausnahme. Götz George als an Alzheimer Erkrankter in der Produktion „Der Vater“? Fast schon eine Sensation. Altersarmut ist ein Fremdwort. Sex und Zärtlichkeit bei älteren Menschen kommt merkwürdigerweise kaum vor. Im Zweifel setzen viele Fernsehmacher lieber auf die eher aus der Werbung bekannten Klischees von „Best Ager“ und „Silver Generation“.

Ansprache der „aktiven Mitte“

Brauchen wir neue, altersspezifische Sendeformate? Taugt der Begriff der Zielgruppe überhaupt etwas für die Programmdebatte? Laut Susanne Kayser, Leiterin der Medienforschung beim ZDF, will das Zweite prinzipiell „alle Menschen, die einen Fernseher haben, erreichen“. Andererseits wurde von der Senderleitung als strategisches Ziel neuerdings auch die Ansprache der“aktiven Mitte“ ausgegeben. Immerhin liegt das Durchschnittsalter des ZDF-Publikums bei 59 Jahren. „Aktive Mitte“, so erläuterte Kayser, beziehe sich auf „Menschen, die aktiv am Leben teilnehmen“. Gemeint sind die 30 – 59jährigen, die den Sender vom Negativ-Image des vermeintlichen „Kukident-Senders“ befreien sollen.

Imagekorrektur oder neue Verdrängung der Alterungsproblematik? Max Schautzer, gerade mal 63, hat, seitdem er vom Südwestrundfunk auf reichlich grobe Weise („Sie sind zu alt!“) als Moderator der Gute-Laune-Sendung „Immer wieder sonntags“ ausgebootet wurde, dem Jugendwahn in den Medien den Kampf angesagt. Der fängt für ihn schon bei der Werbung an, etwa der Werbung für Fernsehlotterie. Jeder wisse doch, dass hauptsächlich Alte die Lose kauften. Aber unter dem selbst auferlegten Zwang zu junger Werbung würden die Alten ins Lächerliche gezogen. Das genau sei das Problem: „Junge Leute überlegen sich Werbung für Ältere und bedienen genau die Klischees, denen die Älteren nicht mehr entsprechen. Und das ist bei den Programmen leider auch so.“

Ab 50 angeblich nicht mehr werberelevant

Eine heterogene Gruppe bilden die Senioren ohnehin nicht. Ältere – das können die letzten Überlebenden des I. Weltkrieges sein, das sind aber auch die in die Jahre gekommenen Alt-68er. Solche, die sich mit Ende 50 noch eine Harley Davidson anschaffen, um sich mit Verspätung den Traum vom Easy Rider zu erfüllen. Bei der Werbewirtschaft und den Privatsendern ist diese Botschaft offenbar noch nicht angekommen. Sie setzen nach wie vor auf die angeblich allein werberelevante Zielgruppe der 14 – 49jährigen.

Regisseur Niki Stein beobachtet bei den Programmmachern angesichts von Quoten- und Zielgruppendenken eine „steigende Mutlosigkeit“. Bettina Reitz, Leiterin des Programmbereichs Spielfilm und Serien beim Bayrischen Rundfunk, mochte das nicht komplett abstreiten, warb aber um Verständnis für Macher und Programmverantwortliche:

Wenn es um „Relevanz“ gehe, um „themenorientierte und inhaltsorientierte fiktionale Programme“, so Reitz, so bedeute das „auch immer, ein gewisses Risiko im Erzählerischen einzugehen“. Dennoch geht sie das Wagnis ein, so schwierige Themen wie Alter und Tod demnächst in zwei anspruchsvollen Produktionen auf den Bildschirm zu bringen, darunter eine Sterbebegleitung mit dem Titel „Marias letzte Reise“.

Kein Seniorenmagazin

Spezielle Sendeformate für das ältere Publikum lehnen die meisten Programmmacher allerdings ab. Erst recht die Idee eines Seniorenkanals. Dies wäre „der falsche Weg“, meint auch Heiner Backensfeld, Leiter Programmplanung und -entwicklung beim Norddeutschen Rundfunk. Mit einem „Seniorenmagazin“ würde man „einerseits die Alten ausschließen, die nichts gerne einschalten, wo alt oder Senior draufsteht“. Umgekehrt könne man auch keine andere Zielgruppe dafür interessieren. Konsens bei den meisten: Zielgruppen-TV sei ohnehin eine fragwürdige, von den Werbeplanern entlehnte Strategie. Die entscheidende Frage bleibe immer noch: Ist es gutes oder schlechtes Fernsehen?

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

ARD & ZDF legen Verfassungsbeschwerde ein

Nachdem die Ministerpräsident*innen auf ihrer Jahreskonferenz Ende Oktober keinen Beschluss zur Anpassung des Rundfunkbeitrags ab 2025 fassten, haben heute ARD und ZDF Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßt die Initiative.
mehr »