Streit um den Einsatz von Hubschraubern zur Medien-Berichterstattung
Auf der Straße die Toten. In der Luft die Hubschrauber. Nach einem schweren Verkehrsunfall in Schleswig-Holstein empören sich Politiker und Polizei über die Medienberichterstattung vom Himmel. Die Kieler Landesregierung will mit Hilfe der Bundesregierung sogar die Gesetze ändern – damit die Polizei den Luftraum über Unfallorten zur Sperrzone erklären kann.
Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) spricht von einer Verletzung der Menschenwürde und schaltet den Presserat ein. Der neu angetretene Innenminister Klaus Buß (SPD) empfindet „Abscheu“. Und die Gewerkschaft der Polizei beklagt die Verletzung „ethischer Grenzen“. Was war geschehen?
Ein Rückblick: Am 17. Mai des Jahres streifte auf der Bundestraße 76 bei Süsel im Kreis Ostholstein ein Lastwagen ein entgegenkommendes Fahrzeug. Dann geriet er auf die Gegenfahrbahn und raste frontal in eine Gruppe von vier Kleinbussen der Kieler Stadtmission. Die behinderten Menschen und ihre Betreuer waren auf den Weg in einen Freizeitpark – einer der jährlichen Höhepunkte der Sozialeinrichtung. Zwei der Busse wurden völlig zerstört. In den Trümmern starben fünf Frauen und sechs Männer. Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte waren mit einem Großaufgebot vor Ort.
Während am Boden Journalisten und Fotografen durch eine weiträumige Absperrung vom Unfallort abgehalten werden sollten, charterten in Hamburg mehrere Fernsehagenturen und Fotografen insgesamt vier Hubschrauber. Sie trafen über der Unfallstelle ein, nachdem die Verletzten bereits in Krankenhäuser transportiert worden waren. Über das, was dann passierte, gibt es unterschiedliche Darstellungen.
„Die haben uns gewaltig gestört“, sagt Manfred Dahmen, leitender Notarzt aus Eutin. Teilweise drei Hubschrauber gleichzeitig hätten Laub und Staub über der Unfallstelle aufgewirbelt. „Ein Hubschrauber flog 100 Fuß über der Unfallstelle“, sagt Dahmen. Das sind gut 30 Meter. Hätte man noch Verletzte zu versorgen gehabt, so der Notarzt, wäre durch den Luftdruck des Hubschraubers Dreck in die Wunden gekommen, medizinisches Gerät und Verbandsmaterial wären weggeflogen. „Man musste seine Augen schützen“, sagt der Leiter der Polizei Eutin, Martin Vollertsen. „Unfallteile wurden durch die Luft gewirbelt.“ Das bestätigt auch Michael Kuhr vom „Ostholsteinischen Anzeiger“. Zudem sei wegen der Hubschrauber „keine Verständigung mehr möglich gewesen“. Er habe sich in dieser Situation „geschämt, Journalist zu sein“.
Noch am Unfallort rügte Innenminister Klaus Buß die „verwilderten Sitten im Journalismus“. In einer Erklärung forderte er „nicht nur die Auftraggeber solcher Hubschraubereinsätze öffentlich an den Pranger zu stellen“, sondern auch „die Fernsehsender und Zeitungen, die solche Bilder kaufen und veröffentlichen, müssten geächtet werden. Wer selbst im Angesicht dieses tragischen Todes nicht bereit ist, zumindest für die Zeit der Leichenbergung inne zu halten, zu schweigen und Ehrfurcht vor den Opfern zu zeigen, stellt sich außerhalb unserer zivilisierten Gesellschaft“. Auch Ministerpräsidentin Simonis übte sich in harter Medienkritik. Für die Beschaffung der Bilder seien „unlautere Methoden“ angewandt worden. Ärzte und Sanitäter seien „auf unerträgliche Weise in ihrer Arbeit behindert und in einer psychischen Grenzsituation zusätzlichem Stress ausgesetzt worden“, schreibt sie an den Presserat. Zudem rügt Simonis die Vernichtung von Beweismitteln.
Kritik an der Presse – und von der Presse
Zumindest einige Medienvertreter wollen diese pauschale Kritik nicht gelten lassen. In der Luft war auch Carsten Rehder vom Landesdienst Nord der dpa. „Meinen Hubschrauber haben die nicht gehört“, sagt er. „Wir waren in 300 Metern Höhe. Ich habe mir nichts vorzuwerfen.“ Statt dessen kritisiert er, dass Feuerwehrleute und Polizisten Sichtblenden aus weißen Tüchern bei den Bergungsarbeiten hochgehalten haben, anstatt für die Medien „bessere Arbeitsbedingungen“ zu ermöglichen. Eine Kritik, die mehrere Journalisten üben. Die beim Polizeileiter Martin Vollertsen aber auf kein Verständnis stößt: „Bei so einem Leid muss der Kommerz mal zurückstehen.“ Am Boden würden auch erst die Leichen geborgen und dann die Fotos gemacht. „In der Luft läßt sich das nicht mehr regeln“, meint Vollertsen und glaubt, auf dem richtigen Weg zu sein. „Die Medien sollten eigentlich ohne polizeiliche Hilfe wissen, was man veröffentlichen kann und was nicht“, meint dagegen Rehder.
Bei der Hamburger Fernsehagentur RTC ist man deutlich sprachloser angesichts der Vorwürfe. Agentur-Chef Walter Weber barsch: „Ich bin nicht betroffen, wenden Sie sich an die Hubschrauberfirma.“ Die Konkurrenz TNC sieht dagegen keinen Grund zum Schweigen. „In Schleswig-Holstein gibt es jedes Mal Ärger bei Hubschrauberflügen“, sagt Gita Ekberg. Die Vorwürfe seien völlig aus der Luft gegriffen. „Keiner von uns steht über einer Unfallstelle“, sagt Ekberg. „Wir stehen immer schräg, weil aus der geöffneten Tür gefilmt wird.“ Und man „braucht auch nicht dicht dran sein“, da mit 200 bis 600 Millimeter Spezialobjektiven gefilmt werde. Auch den Vorwurf, dass man dank der lauten Hubschrauber kein Wort mehr verstehen könnte, läßt Ekberg nicht gelten: „Wir haben am Boden ein Interview gedreht, während in der Luft Hubschrauber waren. Das war verwendbares Material, nichts Unverständliches.“
Druck der Konkurrenz
Martin Vollertsen: „Hätten alle Hubschrauber die 300 Meter Flughöhe eingehalten, hätte es keine Probleme gegeben.“ Mit dem Polizeihelikopter „Christoph 3“ hätten seine Kollegen das Szenario nachgestellt und wollen so beweisen können, dass die Medien-Hubschrauber zu tief flogen.
„Wir wussten, dass alle Verletzten geborgen waren, als wir ankamen“, sagt Claus Wasserthal vom Helicopter-Service Hamburg (sieben Hubschrauber). Dass gleich mehrere Hubschrauber geordert wurden, liegt für Wasserthal auch an den weiträumigen Absperrungen der Polizei am Boden. Journalisten sehen aber auch einen Grund in der immer härter werdenden Konkurrenz der Agenturen und dem Druck, spektakuläre Bilder anbieten zu können. „Sie müssen der Öffentlichkeit gezeigt werden“ sagt Wasserthal, „auch um abzuschrecken.“ Das seine Kollegen Beweismittel vernichtet und Leichentücher weggewirbelt haben sollen, kann Wasserthal, der selber seit 40 Jahren unfallfrei fliegt, nicht glauben: „Das Wetter war ja alles andere als windstill. Es herrschte ein Wind von 50 Kilometern in der Stunde. Da kann man keine Plane normal hinlegen.“
Streit gibt’s nun auch noch über die rechtlichen Bestimmungen. Normalerweise gelten für Hubschrauber Mindestflughöhen: 300 Meter über Menschenansammlungen und 150 Meter über unbebautem Gelände. Wasserthal hat zudem vom Regierungsbezirk Weser-Ems eine Ausnahmegenehmigung für die aktuelle Berichterstattung. „Dann darf ich die Höhen unterschreiten“ sagt Wasserthal. Im schleswig-holsteinischen Verkehrsministerium und bei der Polizei Eutin sieht man das anders. Wasserthals Genehmigung würde Auflagen enthalten. Über Menschenansammlungen und bei „Gefahr für Menschen“ sei die Mindesthöhe von 300 Metern einzuhalten. Deshalb werde das Ordnungswidrigkeiten-Verfahren „gegen Piloten und Auftraggeber“ weiter betrieben. Es drohen Geldbußen. Wasserthal argumentiert, dass die Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr im Sinne der Genehmigung keine Menschenansammlung seien.
Damit nicht genug. Um „die Geier“ über Unfallstellen zukünftig vertreiben zu können, hat der schleswig-holsteinische Verkehrsminister Bernd Rohwer (SPD) in einem Schreiben an den Bundesverkehrsminister Reinhard Klimmt (SPD) gesetzliche Änderungen gefordert. „Wir wollen ein Mittel einführen, das die Polizei ermächtigt, ein Flugverbot im Umkreis von drei Meilen über einer Unfallstelle zu verhängen“, sagt der Kieler Ministeriums-Sprecher Helmut Badekow. Mit Leuchtsignalen sollen Piloten auf die Sperrzone aufmerksam gemacht werden. Wer einen solchen Platzverweis missachtet, begeht dann eine Straftat. Eine Einschränkung der Pressefreiheit sieht Badekow in den geplanten Maßnahmen trotzdem nicht.
Anders Jürgen Bischoff, Vorsitzender der dju-Hamburg. „Die Freiheit der Berichterstattung muss uneingeschränkt erhalten bleiben“, sagt der Gewerkschafter, „bei gleichzeitiger Mäßigung der Kollegen“. Es sei klar, dass solange Rettungshubschrauber fliegen, diese nicht durch Medienhelikopter behindert werden dürften. Da mache auch ein Flugverbot, wie beim ICE-Unglück in Eschede, Sinn. Bischoff sieht ein Doppelproblem: Auf der einen Seite Kollegen, die sich angewöhnt hätten, sich daneben zu benehmen, weil sie von ihren Auftraggebern dazu getrieben würden. Und auf der anderen Seite ein Unverständnis bei Polizei und Rettungskräften für den Auftrag der Medien, die nicht verstehen würden, dass Journalisten eine Berichterstattungspflicht hätten. Medienfreie Zonen, wie sie durch Flugverbote entstehen, könnten leichtfertig verhängt werden, wenn es um Ereignisse geht, die der Regierung unangenehm sind, warnt Bischoff.
Claus Wasserthal hat dies jüngst beim Unglück des havarierten Tankers Pallas erlebt. Einer seiner Piloten flog über das brennende Wrack – trotz Flugverbotszone. Und soll nun eine Geldbuße bezahlen. „Wen haben wir über Wasser behindert“, fragt Wasserthal. „Wir haben nur gezeigt, was Sache ist und dass die Behörden Mist gemacht und die Umweltkatastrophe mit zu verantworten haben.“ Möglich, dass auch im Fall des Eutiner Verkehrsunfalls die heftige Medienschelte von Seiten der Politik von etwas ganz anderem ablenken soll: Seit Jahren wird der Ausbau der vielbefahrenen Bundesstraße 76 diskutiert. Bisher ohne Ergebnis.