Der Maßstab heißt Qualität

Es reicht nicht, neue Berufe zu schaffen:
Auf die Umsetzung und die Weiterbildung kommt es an

Alle sitzen in der ersten Reihe: Wenn im Bündnis für Arbeit die Vertreter von Staat, Arbeitgebern und Gewerkschaften beschließen, mehr junge Menschen für die Informations-, Kommunikations- und Medienwirtschaft auszubilden, habe sie vor allem die IT-Berufe im Blick. Die „Medienberufe“ werden einfach mitgezählt.

Sie tragen unterm Strich nicht unwesentlich dazu dabei, dass sich die Ausbildung in Betrieb und Berufsschule in neuen Branchen und Beschäftigungsfeldern zunehmender Beliebtheit erfreut. Im Herbst vergangenen Jahres fanden 7255 Azubis eine Lehrstelle in einem Medienberuf (siehe Tabelle). Auffälligstes Beispiel für den Trend zur dualen Ausbildung sind die Werbe- und Multimedia-Agenturen, die zunächst allein auf Hochschulabsolventen und Quereinsteiger setzten (vgl. Beitrag S. 11). Nicht nur in der jungen Internetökonomie beobachtet der Berufsbil-dungsexperte der IG Medien/ver.di, Kalle Kaschel-Arnold, ein wachsendes Interesse von Unternehmen, den beruflichen Mittelbau im eigenen Haus zu qualifizieren: „Selbst Arbeitgeber, die Kameraleute, Masken- und Kostümbildner oder Requisiteure suchen, entdecken langsam das duale System.“

Die Alternative bei der Frage, woher ein Betrieb die notwendigen Fachkräfte holt, heißt „make or buy“: Was kostet mehr Aufwand, die Ausbildung des gesuchten Personals oder der „Einkauf“ der von anderen Firmen bereits passgenau qualifizierten Experten? Im handwerklich-künstlerischen Bereich verändert sich der Arbeitsmarkt und damit die Ausgangslage für Unternehmen, die auf „buy“ setzten. Stellten beispielsweise Theaterbetriebe bisher erfahrene Damen- und Herrenschneider/innen für die Kostümgestaltung ein, so fehlt zunehmend dieser gut ausgebildete (und schlecht bezahlte) Nachwuchs. Anders ist die Lage bei den Maskenbildner/innen, die traditionell aus dem Friseurhandwerk kommen. Dort werden mittlerweile für die Bühne wichtige Techniken wie Perückenknüpfen oder Ondulieren nicht mehr gepflegt. So steigt der Kurswert hauseigener Ausbildung. Kaschel kündigt an: „IG Medien/ver.di wird sich verstärkt um die Qualifizierung in den handwerklich-künstlerischen und technischen Medienberufen kümmern.“

Ungeteilt ist die Freude über die Entwicklungen im dualen System durchaus nicht. Ein „Sorgenkind“, so Kaschel, ist das Berufsbild Film- und Videoeditor/in (s. Interview Seite 12), ein weiteres der Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste. Dieser neue Beruf für Dokumentationsstellen, Archive, Bibliotheken und Bildagenturen wird lediglich vom öffentlichen Dienst angenommen. Im privaten Sektor sind die Azubi-Zahlen sogar rückläufig. Gewerkschaften und Arbeitgeber sollten Lehren aus diesen Erfahrungen ziehen, meint Kaschel: „Bei der Einführung neuer Berufe müssen wir künftig Begleitstrategien mitplanen. Es geht um einen verbesserten Informationsfluss und um praktische Umsetzungshilfen für Betriebe, Ausbilder, Lehrkräfte und Azubis.“ Wie das konkret aussehen kann, wird derzeit beim Beruf Medien-gestalter/in für Digital- und Printmedien erprobt (www.mediengestalter2000plus.de). Träger des Projekts ist der Zentral-Fachausschuss Berufsbildung Druck und Medien (ZFA), eine von IG Medien und Bundesverband Druck und Medien gegründete Gemeinschaftseinrichtung. Die Bundesregierung finanziert das Modellvorhaben.

Integriertes Qualifikationsmodell

Bei diesem Berufsbild setzen die Tarifparteien erstmals ein „integriertes Qualifikationsmodell“ um, das Schule machen soll. Kaschel: „Der Berufsabschluss bildet gleichzeitig die Grundlage für die Weiterqualifizierung. Parallel zur Gestaltung der Erstausbildung entwickeln die Tarifparteien entsprechende Weiterbildungsmodule. Ziel ist ein geschlossenes, aufeinander aufbauendes System, wie sich Phasen des Arbeitens und Lernens ein Berufsleben lang abwechseln können.“

Die Aufstiegsfortbildung „Geprüfte/r Medienfachwirt/in“ ist beschlussreif. Sie sieht die Spezialisierung auf eines von vier Handlungsfeldern vor: Printmedien, Digitalmedien, Audiovisuelle Medien und Veranstaltungstechnik. Mit anderen Worten: Diese IHK-Weiterbildungsprüfung, die bundesweit abgenommen werden soll, erleichtert nicht nur Mediengestaltern für Digital- und Printmedien den Karrieresprung, sondern ebenso den Mediengestaltern Bild und Ton sowie den Fachkräften für Veranstaltungstechnik. Der Abschluss soll künftig auch den Weg zur Hochschule ebnen: Zum Bachelor-Studiengang Medienmanagement beispielsweise.

Kritisch betrachtet IG Medien/ver.di die Tendenz, laufend neue kaufmännische Spartenberufe zu kreiren. Jüngstes Beispiel sind „Dienstleistungskaufleute für Veranstaltungstechnik“. „Wir haben schon dem AV-Kaufmann nur unter Vorbehalt zugestimmt“, erinnert Kaschel. „Gewerkschaftliches Ziel ist nach wie vor, ein einheitliches Berufsbild ‚Medienkaufmann‘ mit verschiedenen Fachrichtungen zu schaffen. Sobald der Werbekaufmann zur Novellierung ansteht, werden wir diesen Vorstoß wiederholen.“

Mit zwei weiteren Tendenzen muss sich IG Medien/ver.di beschäftigen: Da ist der ausufernde private Weiterbildungsmarkt, auf dem sich berufliche Qualifikationen unterschiedlicher Güte für viel Geld erwerben lassen. Zum anderen verstärkt sich der Trend – nicht nur in ostdeutschen Bundesländern – die Betriebe aus der Ausbildungsverpflichtung zu entlassen. Stattdessen finanziert die Arbeitsverwaltung teure Umschulungen, in denen sich junge Leute auf einen Medienberuf vorbereiten. Kaschel betont: „Wir werden das duale System verteidigen. Dazu gehört, dass sich die Berufsschulen zu Lernzentren für die Aus- und Weiterbildung entwickeln müssen. Da stehen Staat und Unternehmen in der Verantwortung.“ Und das heißt: Investieren in die Ausstattung der Schulen und in die Weiterqualifizierung der Lehrkräfte.


 

 

 

Medienberufe: Entwicklung der Ausbildungszahlen

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