Von der sogenannten Medienkrise und den vermeintlich heilbringenden Ich-AGs
„Obwohl wir seit zwölf Jahren frei arbeiten, hat uns die Medienkrise brutal erwischt. Demnächst erhalten wir aller Voraussicht nach Sozialhilfe, weil man als Freelancer schlichtweg nicht mehr überleben kann.“ Meldungen wie diese – von Freien, die für überregionale Zeitungen bisher gut im Geschäft waren – gehen derzeit fast täglich bei ver.di ein. Kirch-Insolvenz, Streichung von Beilagen wie „jetzt“, dem SZ-Jugendmagazin, oder der Hauptstadt-Seiten fast aller großen Tageszeitungen oder auch die geplante Fusion von SFB und ORB in der Medienregion Berlin-Brandenburg – die so genannte Medienkrise erwischt zuerst die Freien.
Verlässliche Zahlen zum Beschäftigungsabbau Freier gibt es naturgemäß nicht. Während Verlage und Privatsender den Abbau im Angestelltenbereich mit zehn, zwanzig und mehr Prozent beziffern – die „Süddeutsche Zeitung“ nennt den Personalabbau in den Medien zur Zeit „branchenüblich“ – kann man nur ahnen, wie hart der Überlebenskampf für Selbstständige derzeit ist. Da teilt etwa ein öffentlich-rechtlicher Sender den Freien, die seit Jahren das Kultur-Sommerprogramm gestalten und das Honorar fest einplanen, wenige Wochen vor Programmstart mit: Die Sendungen sind in diesem Jahr gestrichen.
Auch andere Auftraggeber garantieren keine Sicherheit. Die Stadt München erklärte Ende Juli ihre Zahlungsunfähigkeit – ausstehende Honorare an Freie werden auf absehbare Zeit nicht bezahlt.
In diese – vor allem für Freie – schlechte Zeiten platzen die Vorschläge der Hartz-Kommission: Gegen Arbeitslosigkeit helfe die massenhafte Gründung von „Ich-AGs“. Ein ebenso altes wie erwiesen ineffektives Rezept, das sich durch die diversen Regierungsprogramme zieht. Immer, wenn die Arbeitslosigkeit steigt, kommt jemand auf die Idee, man müsse die Selbstständigen-Zahl erhöhen, um die Beschäftigungskrise zu meistern. Kein Rezept oder besser keinen politischen Willen in Sachen Arbeitsmarktpolitik haben die Selbstständigkeits-Fans jedoch, wenn es neuen wie alten selbstständigen Kleinstunternehmen schlecht geht – weil Auftraggeber, wie derzeit die Medienwirtschaft, eine Krise fühlen. – Ja, fühlen. Ein Studium der Statistiken, etwa der in „Media Perspektiven“ veröffentlichten, relativiert die vermeintliche Krise erheblich. Danach sind 2001 zwar deftige Einbrüche im Werbegeschäft zu verzeichnen – jedoch nach einem Zuwachs in 2000 von satten zwölf Prozent. Trotzdem: Auch gefühlte Krisen führen zu einem Auftragseinbruch für (abhängig) Selbstständige. Der Grund, den wenige wahr haben wollen: Bei reinem Walten des Marktes wird jeder Auftraggeber alle Sparpotenziale ausschöpfen. Ist keine Marktausweitung möglich, beginnt der Verdrängungswettbewerb, folgen der ständigen Arbeitsverdichtung für Freie wie Angestellte Auftragseinbußen und Erwerbslosigkeit.
Dass Ich-AGs keine Lösung sind, könnte auch die Regierung wissen. Hat sie doch selbst im Juni einen Bericht über die „Lage der Freien Berufe“ veröffentlicht. Über die 160.000 Freien im Medien- und Kultursektor – 100.000 mehr als vor zehn Jahren – heißt es dort: „Erkennbar ist eine tendenzielle Absenkung des Durchschnittseinkommens. … Am unteren Ende der Umsatz- und Einkommensskala finden sich … die künstlerischen (gemeint sind auch die Medien-)Berufe.“
Allein dies lässt am Erfolg des Konzepts zehntausender Ich-AGs zweifeln. Menschen, die – konsequent zu Ende gedacht – Anteile ihrer Ich-AG auf den Markt werfen, sind das eine. Der mögliche Markt dafür das andere. Zwar hat der Künstler David Bowie vorgemacht, dass der Ich-Börsengang erfolgreich sein kann. Dies scheint aber für die Meisten unbrauchbar: Bei denjenigen, die schon heute als Personengesellschaft vor der Pleite stehen, dürften Analysten nach dem Wechsel zur AG lediglich schlechte Fundamentaldaten feststellen können. Sind die Anteile der Ich-AGs nur noch als Ramsch-Aktie handelbar, helfen auch die Tipps für florierende Unternehmen nicht mehr: Nie mehr als 49 Prozent der Anteile am Ich verkaufen, im Notfall mindestens eine Sperrminorität von 26 Prozent behalten und Aktienmehrheiten nur an als Humanisten bekannte Sklavenhalter abtreten. Die zu finden ist eine harte Aufgabe für Freie, die Verhältnisse zu ändern, ist die Aufgabe einer wirklich effektive Gründer- und Selbständigenpolitik.