Die Geschichte, das Interessante und die Wahrheit

Ethik im Zeitalter der Netze

Das 2. Hamburger Journalistenforum trug den etwas sperrigen Titel „Von der Kontrollkommission zum Internet“ – Anlaß war der 50. Jahrestag der ersten Journalistenzusammenkunft in der Hansestadt nach Beendigung des 2. Weltkrieges.

Die Zusammenkunft der „Männer der Feder“, wie der „Spiegel“ im Juli 1947 schrieb, diente einer ersten Positionsbestimmung im sich entwickelnden Pressewesen. Kurze Zeit später übergab die britische Presse-Kontrollkommission erste Zuständigkeiten in deutsche Hände. Die Hamburger dju fragte deshalb, ob der Journalismus 50 Jahre nach dem Neubeginn angesichtsvonDatenSuperHighways vor einem „Neubeginn des Neubeginns“ steht. Als Kooperationspartnerin konnte die Henri-Nannen-Journalistenschule für diese Veranstaltung gewonnen werden. „Wann, wenn nicht jetzt, reden wir über journalistische Ethik, über das Selbstverständnis unseres Berufsstandes, über Grenzen und Auswüchse des in unserer Verfassung garantierten Rechts auf Pressefreiheit?“ fragte die Leiterin der Schule, Ingrid Kolb, zu Beginn.

Der Historiker Axel Schildt reflektierte im ersten Vortag die Anfänge der Presse nach 1945 und fragte, ob man tatsächlich vom Neubeginn einer demokratischen Presse sprechen könne. Er zumindest hätte gern auch nach der Kontinuität des Journalismus gefragt. „Dieser investigative Journalismus macht halt vor der eigenen Vergangenheit.“

Der Münchner Journalist Dieter Brumm beleuchtete den „demokratischen Aufbruch“ Ende der sechziger Anfang der siebziger Jahre. Dabei erinnerte er unter anderem auch an die Auseinandersetzung um ein Redaktionsstatut beim „Spiegel“ und zitierte Rudolf Augstein: „Demokratie bedeutet nicht, daß jeder überall Bescheid wissen und über alles mitbestimmen muß.“ Die Bilanz des Kampfes für innere Pressefreiheit: Bei damals 136 Zeitungsredaktionen wurde zwischen 1969 und 1973 in acht Redaktionen Statute vereinbart. Im Zusammenhang mit der Kommerzialisierung der Presse zitierte Brumm einen Redakteur: „Die Pressefreiheit zu einer Klasse der Gewerbefreiheit machen, ist, sie verteidigen, indem man sie vor der Verteidigung totschlägt.“ Das Zitat ist 150 Jahre alt und der Redakteur heißt Karl Marx.

In der anschließenden Podiumsdiskussion redeten die Fotografen Günter Zint und Rolf Nobel, Erwin Jurtschitsch von der Redaktionsleitung des neusten „Stern“-Ablegers „Konr@d“, die Leiterin der Henri-Nannen-Journalistenschule, Ingrid Kolb, Hendrik Fulda vom Chaos Computer Club und die Journalistin Margret Lünenborg unter der Leitung von Sabine Reinhold und Jürgen Bischoff über die Risiken und Potentiale der neuen Medien. Da die Veranstaltung am Tag der Beerdigung von Diana Spencer stattfand, stand die Frage, was Journalisten dürfen, automatisch im Vordergrund. Margret Lünenborg fand, nicht alles, was sie recherchiere, müsse auch veröffentlicht werden: „Ich habe O-Töne, da habe ich mich entschieden, sie nicht zu senden, weil ich das Gefühl hatte, da hat sich jemand zu weit geöffnet.“ Für Henrik Fulda sind Journalisten Menschen, die eine Geschichte erzählen wollen, die Wahrheit komme erst später. „Eine Scheindebatte“, sagte ein Zuhörer, die oberste Kategorie des Journalismus sei das Interessante: „Die Wahrheit ist die oberste Kategorie der Kirche!“ Ingrid Kolb mochte diese Abstufung nicht stehen lassen: „Die Wahrheit ist das Interessante.“

 

Weitere aktuelle Beiträge

Tarifeinigung bei Tageszeitungen 

In der zehnten Verhandlungsrunde haben sich die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) in Hamburg auf einen neuen Tarifvertrag für Redakteur*innen bei Tageszeitungen geeinigt. Der Tarifeinigung waren bundesweit in 36 Verlagen und Redaktionen Streiks vorausgegangen, die zuletzt bis zu sechs Tage angedauert haben.
mehr »

Proteste bei TiKTok in Berlin

Rund 150 Beschäftigten der Trust and Safety-Abteilung (Content-Moderation) von TiKTok und einem Teil der Beschäftigten aus dem Bereich TikTok-Live (rund 15 Beschäftigte) in Berlin droht die Kündigung. Das  chinesische Unternehmen plant die Content-Moderation künftig verstärkt durch Large-Language-Models (Künstliche Intelligenz) ausführen zu lassen und die Arbeit an andere Dienstleister auszulagern. Dagegen protestierten heute vor der TikTok-Zentrale in Berlin Beschäftigte und Unterstützer*innen.
mehr »

Der Clickbait mit den miesen Botschaften

„Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler“, nach diesem Motto bewertete einst Helmut Thoma, der kürzlich verstorbene ehemalige RTL-Chef, den Erfolg von Programmformaten. Dieses für private Sender typische Prinzip findet inzwischen seine Fortsetzung in immer mehr digitalen Nachrichtenportalen. Das untermauert eine Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung (MPIB) in Berlin nach der Auswertung von 40 Millionen Schlagzeilen.
mehr »

Dokumentarfilme: Näher an der Wahrheit

Das bekannte Archiv–Storytelling in Dokumentationen befindet sich im Wandel. Und das ist auch notwendig: Weg von stereotypen Erzählmustern, hin zu ganzheitlichen Betrachtungen. Bislang unbekanntes Archivmaterial  spielt darin eine wesentliche Rolle. Beispiele dafür gab es  auf der Sunny Side of the Doc im französischen La Rochelle zu sehen, wo die internationale Doku-Branche zusammenkam.
mehr »