Droht ein massiver Interessenskonflikt?

Günter Herkel lebt in Berlin und arbeitet als freier Medienjournalist für Branchenmagazine in Print und Rundfunk.
Foto: Jan-Timo Schaube

Meinung

Dass eine Journalistin mit einem Politiker den Bund fürs Leben schließt, ist per se nicht unbedingt anrüchig. Anders verhält es sich, wenn es sich dabei um die Hochzeit der Hauptstadtkorrespondentin einer überregionalen Tageszeitung und des deutschen Finanzministers handelt. Droht bei dieser Verpartnerung nicht ein massiver Interessenkonflikt?

Würde Franca Lehfeldt bei der „Welt“ die Ressorts Garten & Schönheitspflege betreuen, stellte sich diese Frage nicht. Aber sie kümmert sich um bundespolitische Angelegenheiten, berichtet über die Winkelzüge von Regierung und Opposition. Bis Ende 2021 tat sie dies als Chefreporterin für RTL. Jetzt ist sie in gleicher Funktion für „Welt TV“ zuständig. Kann das unter berufsethischen Gesichtspunkten gut gehen?

Aber sicher, finden die Leute von Springer. Lehfeldt sei schließlich vor allem für die Union zuständig, weniger für die FDP oder die Finanzpolitik. An ihrem Job werde sich durch die Hochzeit „nichts verändern“. Da stellen sich aber doch einige Fragen. Ist es wirklich realistisch, dass die Reporterin bei Gesprächen mit anderen Politikern sauber ihre Zweitrolle als Gattin des Finanzministers ausblendet? Lässt sich völlig ausschließen, dass Informationen, die für die Reporterin bestimmt waren, nicht am Ende doch beim interessierten Gatten landen?

Für solche Fälle verfügen die meisten großen Verlage über Compliance-Regeln. So auch der Springer-Verlag. In dessen „Leitlinien der journalistischen Unabhängigkeit“ heißt es unter dem Stichwort „private und geschäftliche Interessen“: Die Journalisten bei Axel Springer „berichten grundsätzlich nicht über nahestehende Personen, insbesondere Familienangehörige in Text und Bild“, auch nutzen sie „ihre Berichterstattung nicht, um sich oder anderen Vorteile zu verschaffen“. 

Ein direkter familiärer Draht zum Finanzminister dürfte nicht zum Schaden der „Welt“-Redaktion sein. Eher ein massiver Wettbewerbsvorteil des Verlags gegenüber der publizistischen Konkurrenz. Vermutlich ein Grund, warum Springer in diesem Fall seine eigenen Compliance-Regel recht großzügig auszulegen bereit ist. Wenn Lehfeldt – konstruieren wir mal einen ganz verrückten Fall – mit Oppositionsführer Merz über Verwerfungen in der Ampel-Koalition redet, wird dann ihr Gatte tatsächlich als letzter davon erfahren? 

Die Lebenserfahrung spricht dagegen. Schon einmal – von 2011 bis 2020 – war FDP-Chef Lindner mit einer Journalistin verheiratet, mit Dagmar Rosenfeld, der heutigen Chefredakteurin der „Welt am Sonntag“. Während des Bundestagswahlkampfs 2017 kommentierte sie kritisch-ironisch ein Wahlplakat Lindners: „Bei der Wahl der Oberbekleidung für Werbespots künftig vorher die Ehefrau fragen.“  Dass Autorin und Ehefrau hier identisch waren, wurde allerdings der Leserschaft vorenthalten. 

Keine Petitesse, urteilte der Presserat und sprach eine Missbilligung aus: „Die Tatsache, dass eine Redakteurin über ihren Ehemann und seine politische Konkurrenz berichtet, ist mit den presseethischen Grundsätzen nicht vereinbar.“ Eine solche Konstellation sei vielmehr geeignet, das Ansehen der Presse in Gefahr zu bringen, müsse folglich vermieden werden. 

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