Erfolgreicher Weg der Selbstkontrolle

Pressekodex auch für elektronische Medien anwenden

Wir erinnern uns: ein „eingebetteter“ Kollege berichtete zu Beginn des letzten Irak-Kriegs aus dem Bauch eines Kampfschiffes, dessen Position und Ziele er nicht preisgeben durfte: Das Unheimliche und das Heimliche waren atmosphärisch präsent. Informationen dagegen nicht. Wir erinnern uns: ein großer Entertainer ergreift zur Hauptsendezeit in der ARD Partei für eine Weingummi-Firma. Wir erinnern uns an Sebnitz.

Für Verleger und Journalisten in den Printmedien gibt es seit 1976 selbst gesetzte Regeln, die Schleichwerbung und Vorverurteilung ächten und die zu wahrheitsgemäßer Berichterstattung verpflichten. Zusammen mit anderen Regeln für anständigen und professionellen Journalismus stehen sie im Pressekodex.

Bei der Abwehr von Schleichwerbung ziehen Verleger und Journalisten an einem Strang. Schon aus Wettbewerbsgründen. Den publizistischen Fall Sebnitz hat der Presserat in einem öffentlichen Forum mit beteiligten Journalisten erörtert. Schwerer tun sich alle Beteiligten mit den Kriterien Sorgfalt und Wahrhaftigkeit. Der Beitrag des „eingebetteten“ TV-Kollegen ist handwerklich sorgfältig: Die Kamera wackelt nicht, der Ton ist verständlich. Der Stil der Darstellung ist in Sprache, Intonation und Grammatik attraktiv. Und die Wahrhaftigkeit? Hier scheiden sich die Geister: die einen lassen die Darstellung erst dann als wahrhaftig gelten, wenn nicht nur der Abschussort sondern zeitnah auch der blutige Wirkungsort einer Waffe im Blick bleibt. Für andere gilt eine Puzzle-Theorie: wahrhaftig ist für sie Berichterstattung auch, wenn irgendwann alle Beobachtungssplitter ein halbwegs vollständiges Bild ergeben könnten.

Alle sind aber in einem Punkt sehr empfindlich: Sie verbitten sich jede Einflussnahme auf die Auswahl ihrer Inhalte. Weil das die Pressefreiheit einschränkt. Und die hat nach schlechten Erfahrungen mit externer Medienaufsicht im Zweifel Vorrang.

Wie aber bekommen wir mehr Sorgfalt und Wahrhaftigkeit, dagegen weniger Schleichwerbung, achtlosen Umgang mit Menschen und fahrlässige Diskriminierung ohne ein Mehr an Aufsicht? Einen Weg geht und weist seit 1976 der Deutsche Presserat für die Printmedien. Er führt keine Aufsicht. Er wirkt aber ein. Indem er die Verletzung selbst gesetzter Regeln feststellt und sie branchenintern wie extern zur Diskussion stellt. Selbstregulierung heißt das. Die dju geht diesen Weg mit. 2003 hat sie sich den Pressekodex auch offiziell zu eigen gemacht.

Der Presserat hat für die Selbstregulierung nicht nur Lob bekommen. Weil er anstelle materieller Sanktionen nur den kritischen Dialog, das fachliche Urteil und die öffentliche Bloßstellung schwerer Regelverstöße kennt, ist ihm das Bild vom zahnlosen Tiger umgehängt worden. Er wird aber immer seltener zitiert. Weil auch der letzte hardliner gemerkt haben dürfte, dass man kritische Dialoge mit Lernpotenzial nicht führen kann, wenn man sich bis an die (Tiger-) Zähne rüstet. Perfektionisten wird es der Presserat allerdings auch in Zukunft nicht Recht machen können.

Unterstützung erhält der Presserat neuerdings auch aus dem Bereich der elektronischen Medien. „Der Kodex muss in allen Medien gelten, in denen Journalismus stattfindet“ und „Der Kodex muss Diskurse anstoßen“ fordert das Netzwerk Recherche, dessen Akteure vor allem auch in Rundfunk und Fernsehen zu Hause sind.

Die dju begrüßt die Unterstützung ausdrücklich. Der Presserat hat sich auch in der Vergangenheit stets offen für sinnvolle Veränderungen gezeigt. So sind der Pressekodex und die Verfahrensordnung in den vergangenen Jahrzehnten im Lichte der eigenen Erfahrungen verbessert worden.

Die dju würde es allerdings begrüßen, wenn die Netzwerk-Kollegen den Kodex und den Weg der Selbstregulierung auch in den elektronischen Medien populär machen würden. Die dort eingeführten Formen der Fremdkontrolle sollte der Presserat dagegen nicht übernehmen. Sie haben sich im Vergleich nicht bewährt. Und wer als Journalist/Journalistin im Presserat mit reden und mit entscheiden möchte, ist herzlich willkommen. Er/Sie kann sich um ein Mandat dafür auf den Bundesdelegiertenversammlungen der dju bewerben.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Rechtsstaat lässt Journalist*innen im Stich

Mehr als siebeneinhalb Jahre nach dem schweren Angriff von Neonazis auf zwei Journalisten in Fretterode (Thüringen) im April 2018 beginnt zwei Tage vor Weihnachten am Montag, den 22. Dezember 2025 am Landgericht Mühlhausen das Revisionsverfahren gegen zwei Neonazis aus dem Umfeld von Thorsten Heise in Fretterode (Thüringen).
mehr »

Freie unter Honorar-Druck

Die prekären Arbeitsverhältnisse im Journalismus sind schon lange bekannt. Besonders trifft es aber freie Journalist*innen, deren Honorare sogar noch weiter sinken. Das hat auch Auswirkungen auf die Art des journalistischen Arbeitens.
mehr »

Anti-SLAPP-Gesetz ungenügend

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di kritisiert das von der Bundesregierung beschlossene Anti-SLAPP-Gesetz. Es beschränke den Schutz vor Einschüchterungsklagen nur auf grenzüberschreitende Fälle. Damit bleibe ein Großteil der realen Bedrohungslagen für Journalist*innen in Deutschland unberücksichtigt.
mehr »

Inhalte brauchen Moderation

Theresa Lehmann ist Tiktok-Expertin bei der Amadeu Antonio Stiftung. Sie leitete das Modellprojekt pre:bunk, das zum Ziel hatte, Jugendliche mit Videoformaten zu Desinformation auf TikTok zu sensibilisieren. Mit M sprach sie über Regulierung, Verbote und Gefahren von Social Media.
mehr »