Interview mit Dr. Rolf Gössner
Die IG Medien fordert, ihr Bremer Mitglied Rolf Gössner nicht länger durch Geheimdienste überwachen zu lassen. Der promovierte Jurist machte sich neben seiner Arbeit als Rechtsanwalt vor allem als Publizist einen Namen: Gössner setzt sich seit mehr als anderthalb Jahrzehnten kritisch mit der Arbeit von Polizei und Geheimdiensten auseinander. Außerdem arbeitet er als wissenschaftlicher Berater für Parlamentsfraktionen, zur Zeit noch für die von Bündnis 90 / Die Grünen in Niedersachsen, zeitweise auch für Bündnis 90 und die PDS in ostdeutschen Landtagen. Seit 1970 observieren westdeutsche Geheimdienste Rolf Gössner, haben die Beobachtung auch fortgesetzt, nachdem ihr rechtswidriges Tun vor fünf Jahren bekannt geworden war. Das bestätigte der Verfassungsschutz vor wenigen Wochen dem Anwalt in einem Brief.
Wie hast du erfahren, daß du von Geheimdiensten überwacht wirst?
Rolf Gössner: Zunächst vermutete ich nur, vom „Bundesamt für Verfassungsschutz“ überwacht zu werden, und zwar wegen meiner Redakteurstätigkeit bei „Geheim“. Das Amt stufte diese geheimdienstkritische Zeitschrift 1994 plötzlich als „linksextremistisch“ ein. Daraufhin habe ich beantragt, Auskunft über meine gespeicherten Daten zu erhalten. Ich bekam eine vierseitige Antwort mit einer Auflistung von Daten seit 1970. Es sind Informationen über eine gewisse Auswahl meiner Publikationen und Veranstaltungen, die man überall nachlesen kann. Das ist mit Sicherheit nur ein Teil dessen, was über mich gespeichert ist. Es sind lediglich solche Fakten aufgeführt, mit denen mir der Kontakt zu bestimmten Publikationsorganen und Veranstaltern zum Vorwurf gemacht wird – also eine Art „Kontaktschuld“.
Wie weit geht diese „Kontaktschuld“, wie du sie nennst?
Das läuft nach einem sogenannten „Verkartungsplan“1 aus Zeiten des Kalten Krieges, den es meines Wissens immer noch gibt, aus dem ersichtlich wird, wer warum wann mit seinen personenbezogenen Daten gespeichert wird. Dabei geht es auch um Multiplikatoren: Journalisten, Anwälte, Politiker, die „Kontakte“ zu „verdächtigen“ Politikbereichen unterhalten. Besonders interessiert offenbar, wenn solche Personen Kontakte zu linksradikalen oder – wie es der Verfassungsschutz gerne nennt – zu „linksextremistisch beeinflußten“ Gruppen haben. Letztgenannte dürfen zwar keine direkten Beobachtungsobjekte des Verfassungsschutzes sein, weil sie als demokratisch gelten. Doch weil nun vielleicht ein, zwei, fünf Mitglieder sogenannte Linksextremisten sind, kann durch das Einfallstor „linksextremistische Beeinflussung“ eine solche Gruppe einschließlich ihrer „Kontakte“ geheimdienstlich ausgeforscht werden.
Sind an deiner Beobachtung auch V-Leute beteiligt gewesen?
Inzwischen habe ich den Bundesdatenschutzbeauftragten um Prüfung gebeten. Er hat mir geantwortet, Speicherung und Auskunft seien zwar rechtmäßig erfolgt. Allerdings habe er sich aus Gründen des „Quellenschutzes“ die Quellenmeldungen nicht selber angeschaut, sondern sich vom Bundesamt lediglich vorlesen lassen. „Quellenschutz“ heißt, daß es überhaupt „Quellen“ gibt, die es offenbar – vor mir? – zu „schützen“ gilt. Das sind in der Regel nachrichtendienstliche Mittel:
V-Leute, verdeckte Ermittler, technische Hilfsmittel wie Telefonabhören, Observation und so weiter. Ich muß also davon ausgehen, daß auch klandestine Mittel und Methoden eingesetzt werden – so etwa bei bestimmten Veranstaltungen mit bestimmten Veranstaltern, etwa der „Roten Hilfe“ oder der VVN (Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes). Da wird wohl jemand sitzen und notieren, was ich als Referent gesagt habe, worüber politisch diskutiert wird. Was darüber hinaus Unregelmäßigkeiten beim Telefonieren oder auf der Straße – Observationen – anbelangt, so hat sich herausgestellt, daß sich diese auf Zeiten beschränken, in denen ich heikle Recherchen anstelle, etwa über Polizei und Geheimdienst-skandale, oder in denen ich bestimmte Aktivitäten entfalte, wie zuletzt bei meinen Bemühungen, eine internationale Beobachtung des Öcalan-Prozesses zu initiieren.
Wenn deine Beobachtung „wirkungsvoll“ sein soll, müßtest du auch unter Beobachtung stehen, wenn es sich nicht um „einschlägige“ Veranstalter handelt, sondern etwa um den hessischen Verfassungsschutz, der dich 1996 zu einer Diskussion mit dem Innenminister eingeladen hatte.
Bei dieser Veranstaltung im Wiesbadener Schloß Biebrich zum Thema „Verfassungsschutz – eine Behörde ohne Zukunft?“ war die Beobachtung total, weil fast nur Verfassungsschützer anwesend waren. Diesen habe ich versucht zu erklären, daß es nötig sei, den Verfassungsschutz nach und nach aufzulösen, weil er, mangels Transparenz und Kontrollfähigkeit, mit demokratischen Prinzipien unvereinbar ist.
Aber es hängt immer am Veranstalter. Wenn ich bei einer Veranstaltung der Grünen oder in einer evangelischen Akademie als Redner auftauche, wird das nicht registriert – zumindest wird es mir nicht mitgeteilt. Genau so wenig meine Artikel, Reden und Interviews in der „Frankfurter Rundschau“ oder in anderen bürgerlichen Zeitungen, dafür aber in Publikationen wie „Blätter für deutsche und internationale Politik“, „Demokratie und Recht“, „Deutsche Volkszeitung“ oder heute in der „Jungen Welt“ oder in „Geheim“, die vom Verfassungsschutz als „linksextremistisch (beeinflußt)“ eingestuft werden.
Welche Folgen hat diese Ausspähung auf deine Arbeit?
Sie hat Auswirkungen auf alle drei Bereiche, in denen ich arbeite. In meinem publizistischen Tätigkeitsbereich müssen Informanten etwa aus dem Polizei- oder Geheimdienst-Apparat, die sich wegen Mißständen an mich wenden, damit rechnen, daß ihr Kontakt zu mir überwacht wird. Insofern ist der eigentlich gesetzlich garantierte Informantenschutz nicht mehr gewährleistet. Genau so wenig wie das Mandatsgeheimnis bei meiner Tätigkeit als Rechtsanwalt. Kein Mandant kann mehr sicher sein, daß das, was er mir vertraulich mitteilt, tatsächlich auch vertraulich bleibt – es sei denn, die Unterredung erfolgt in Wald und Flur. Wenn ich meiner Tätigkeit als parlamentarischer Berater nachgehe, speziell im niedersächsischen Landtag, dann ist der Schutz jener gewählten Abgeordneten vor geheimdienstlicher Ausforschung nicht mehr gewährleistet, die ich persönlich berate.
Wirst du juristisch gegen deine Überwachung vorgehen?
Ich hoffe sehr, daß aufgrund der vielen Solidaritätsbekundungen namhafter Mitglieder des deutschen PEN-Zentrums, des Verbandes deutscher Schriftsteller, der IG Medien, von Bürgerrechtsorganisationen und Grünen-Fraktionen jetzt unter der rot-grünen Bundesregierung die Überwachung beendet wird, so daß ich nicht gezwungen werde, gerichtliche Schritte einzuleiten. Möglicherweise würde ich erst beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Recht bekommen – wenn ich zum Beispiel an das Verfahren gegen Berufsverbote denke, die das Bundesverfassungsgericht für rechtmäßig erachtete und erst der Europäische Gerichtshof als menschenrechtswidrige Maßnahme erkannt hat. Das kann zehn, fünfzehn Jahre dauern und kostet. Ich werde es deshalb erst auf politischem Wege versuchen, denn unter der neuen rot-grünen Konstellation ist es ein geradezu widersinniges Politikum, daß ich einen Teil der Regierungskonstellation – den grünen Regierungspartner – berate, und andererseits von einem rot-grün verantworteten Geheimdienst beobachtet werde.
- Fragen: Friedrich Siekmeier