FCMC Hamburg: Indymedia reloaded

Das Medienzentrum FCMC ist dafür da, dass am Rande des Hamburger G20-Gipfels „so viele Stimmen wie möglich gehört werden“, wie eine Sprecherin am Dienstagabend bei der Eröffnung sagte. Gleichzeitig ergeht eine Kampfansage an die Polizei – sie soll nicht die Deutungshoheit über die Proteste haben. Die hier gebotene hochwertige Infrastruktur wird aber wohl auf den Straßen immer wieder von unnötigen Einschränkungen der Pressefreiheit konterkariert werden.

Von den laut FCMC über 700 akkreditierten Medienschaffenden – je ein Drittel Angestellte, Freiberufler_innen und unkommerziell Arbeitende – kamen um die 120 auf einer Tribüne des Stadions des FC St. Pauli zusammen, um der ersten Pressekonferenz dieses wohl einzigartigen Zentrums der Gegenöffentlichkeit beizuwohnen. „Wir haben mit unzähligen helfenden Händen in den letzten 48 Stunden etwas Außergewöhnliches aufgebaut“, sagte Sprecher Paul Ratzel.

Im Ballsaal des Fußballstadions stehen nun bis Sonntag rund um die Uhr 300 Arbeitsplätze bereit, ein Radio- und zwei Fernsehstudios sowie eine ständige Chef-vom-Dienst-Struktur, die einen Videostream mit Material versorgt. Rund 300 Freiwillige werden mindestens eine Schicht übernehmen, um den Betrieb zu gewährleisten – sei es an der Bar oder am Schnittplatz. Viele Organisationen und Initiativen beteiligen sich, aber auch unorganisierte Einzelpersonen machen mit. Besonders hervorgehoben wird die technische Hilfe des Chaos Computer Club (CCC).

Über einen wichtigen Zweck der angepeilten „pluralistischen Berichterstattung“ klärte die FCMC-Sprecherin Maren Grimm sofort auf: „Die Polizei hat sich kommunikativ neu aufgestellt mit einem großen Social-Media-Team. Wir werden dagegenhalten.“ Schon jetzt sei das Bestreben zu beobachten, die Proteste vor allem unter dem Aspekt von Gewalttaten zu thematisieren. Und Elke Steven vom Komitee für Grundrechte und Demokratie ergänzt: „Die Zeichen stehen in Hamburg schon lange auf Ausnahmezustand.“ Was das für die Pressefreiheit bedeutet, konkretisierte sie auf Nachfrage so: „So wie die Polizei im Moment vorgeht, gehe ich davon aus, dass sie in Konfliktsituationen nicht wirklich auf Journalisten Rücksicht nehmen wird, sondern quasi ohne Ansicht von Person und Funktion Gewalt ausüben wird.“ Sie bezog sich dabei wohl vor allem auf einen Fall, der schon Anfang der Woche bekannt geworden war. Am Montag erklärte der freie Journalist Martin Eimermacher in einem Interview, wie er von der Polizei gewalttätig an seiner Arbeit gehindert wurde.

Gegenüber M sprach sich Martin Dieckmann, Leiter des Fachbereichs Medien, Kunst und Industrie der ver.di Landesbezirke Hamburg und Nord, allerdings gegen vorschnelle Urteile aus. Zum jetzigen Zeitpunkt sei es noch zu früh für eine Einschätzung in Sachen Pressefreiheit. In der Nacht davor sei die Polizei zwar bei Aktionen gegen unangemeldete Straßenzusammenkünfte zum Teil „rüpelig“ gegen die Presse vorgegangen, an anderen Orten habe sie sie hingegen durchgelassen.

Wer in seiner Arbeit eingeschränkt oder in Gewahrsam genommen wird, kann sich an die Hamburger dju wenden, die dafür eine Kommunikationsstruktur gebildet und Rechtsbeistand bereitgestellt hat. Schon im Vorfeld hatte sie Innensenator und Polizei der Stadt Hamburg mit einem Erinnerungsschreiben in Sachen Presseausweis versorgt.

Angesichts all dessen bietet das FCMC einen wichtigen „Rückzugsraum“, wie auch Dieckman sagt. Betreten wird es über eine Stadiontribüne. Von den Sofas und Stehtischen im Eingangsbereich geht es nach rechts in den allgemeinen Arbeitsbereich, der zuerst wie ein Speisesaal wirkt: Tische sind zu Reihen zusammengeschoben, daran Stühle mit rotem Samtbezug, an einer Wand eine lange Bar. An den Tischen werden Strom- und LAN-Kabel bereitgestellt. Vom Eingangsbereich nach links geht es in einen großen Raum, der durch mit schwarzem Stoff bezogene Holzgestelle unterteilt ist. „Editor’s Room“ und „Studio 1“ lauten die Namen der so entstandenen kleinen Arbeitsbereiche etwa. An einer Wand erklärt ein Zettel auf Englisch, wie journalistisches Material entgegengenommen und registriert wird, bevor es in die Bearbeitung kommt. In den beiden Fernsehstudios stehen Kameras und riesige Lampen bereit. Ganz hinten befindet sich das Radiostudio. Dazwischen stehen viele große Kisten mit unzähligen Kabeln und anderem Material.

Das FCMC ist eine einzigartige Dienstleistung. Es verdankt sich der spezifischen Hamburger Mischung aus FC St. Pauli, CCC, Basisinitiativen und politisierten Einzelpersonen. Entstanden ist auf diese Weise etwas, das man als eine Weiterentwicklung des ursprünglichen Indymedia-Konzepts sehen könnte. Ein „Independent Media Center“ entstand erstmals 1999 bei den berühmten Protesten gegen den Gipfel der Welthandelsorganisation in Seattle. Das neue Medium Internet gab den bis dahin Ungehörten eine Stimme. Mittlerweile haben breite Massen ständig Zugang zum Internet und können ihre Ansichten verbreiten. Das FCMC stellt nun eine neue technische Ebene bereit, vor allem durch seine Fokussierung auf Videos. Dabei verfolgt es zum einen das Ziel einer „Neuerfindung des kritischen Journalismus“, wie in dem Manifest unter www.fcmc.tv zu lesen ist. Zum anderen wird unter quasi-professionellen Verhältnissen gearbeitet: Täglich gibt es mehrere Pressekonferenzen mit Menschen aus dem Protestspektrum. Und ein doppelseitig bedrucktes Info-Blatt erklärt die „Leitlinien der Medienarbeit im FCMC“, die auf den Empfehlungen des Deutschen Presserats beruhen.

Ob es bei weiteren Gipfeln nachgeahmt wird, oder nicht – das erste FCMC wird in die Geschichte eingehen.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Die unendliche Krise des RBB

Der Schock sitzt nach wie vor tief. „2025 wird ein Schicksalsjahr für den RBB“, so die unfrohe Botschaft von Intendantin Ulrike Demmer Ende Januar auf einer Informationsveranstaltung vor der fassungslosen Belegschaft. Was folgte, war ein radikales Sanierungsprogramm für den Sender. Insgesamt 22 Millionen Euro will die Geschäftsleitung am Personal- und Honoraretat einsparen. Das entspricht 10,2 Prozent der bisherigen Aufwendungen und ziemlich genau 254 Vollzeitstellen.
mehr »

Gewalt gegen Medienschaffende verdoppelt

In der „Nahaufnahme“ dokumentiert Reporter ohne Grenzen (RSF) jedes Jahr Attacken auf Pressevertreter*innen. Für 2024 sind jetzt die Zahlen erschienen. RSF fordert angesichts der Verdopplung von Übergriffen auf Medienschaffende und Medienhäuser von der neuen Bundesregierung entschiedene Unterstützung für die Pressefreiheit.
mehr »

Quellenschutz in Gefahr 

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) verurteilt die Wochenzeitung  Kontext, weil sie den Namen des Mitarbeiters von AfD-Abgeordneten genannt hat, der sich in Chats rassistisch geäußert hatte, und ihre Quellen nicht preisgeben wollte. Das Frankfurter Urteil widerspreche guter journalistischer Praxis, kritisierte der verdi-Vorsitzende Frank Werneke.
mehr »

Mitteldeutsche Medientage 2025

Große Themen lagen bei den Mitteldeutschen Medientagen auf dem Tisch. Vor allem die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen brennt derzeit vielen Akteuren unter den Nägeln. In diesem Jahr müssen Weichen gestellt werden. Dennoch machte sich die Politik teilweise rar in der Leipziger Baumwollspinnerei. Kontrovers ging es um Social-Media-Regulierung und unabhängige Medienplattformen in Europa. Ein Bericht aus gewerkschaftlicher Perspektive.
mehr »