Debatte über die besondere soziale Situation von Filmschaffenden
Am Rande der diesjährigen Berlinale diskutierten Filmschaffende, wie sie aus der Hartz IV-Falle herauskommen. Der Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ unterstreicht den Handlungsbedarf.
Gitta Connemann, CDU-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“, zeigt, dass sie ein Herz für Filmschaffende hat und man nimmt ihr das Engagement auch ab. Beinahe flehend ruft sie „Lassen Sie uns gemeinsam Lösungen für eine bessere soziale Absicherung der Filmschaffenden finden.“ So geschehen bei der Podiumsdiskussion des ver.di-Projekts connexx.av mit dem BundesFilmVerband (BFV) am Rande der Berlinale. „Nach Drehschluss Hartz IV“ so das drastische Motto der Veranstaltung, zu der etwa 100 Interessierte kamen. Mit Connemann diskutierten der Schauspieler Hans-Werner Meyer vom Bundesverband der Film- und Fernsehschauspieler (BFFS), der Produktions- und Aufnahmeleiter Reinhold Dienes vom Bundesverband Produktion und Matthias von Fintel, der ver.di-Tarifmann für die Medien- und Filmwirtschaft.
Die Politikerin versicherte, über alle Parteigrenzen hinweg stünde die Enquete-Kommission hinter den Filmschaffenden. So postuliert der kürzlich veröffentlichte Abschlußbericht, dass die geänderte Sozialgesetzgebung (Hartz III) die Besonderheit der auf Produktionsdauer Beschäftigten nicht berücksichtige. „Handlungsbedarf ist gegeben.“ Für Filmschaffende ist dieser eine Satz in dem 512 Seiten starken Wälzer Seelenbalsam. Als abhängig Beschäftigte müssen sie in die Sozialkassen einzahlen, erhalten aber in Zeiten zwischen den Filmproduktionen meist keine Leistungen, weil sie die Anwartschaftszeit nicht erfüllen. Statt der früher üblichen drei Jahre wurde im Zuge der Schröder’schen „Arbeitsmarktreform“ die Rahmenfrist auf zwei Jahre verkürzt. Konkret: Die auf Produktionsdauer beschäftigten Filmleute müssen innerhalb von zwei Jahren 360 Tage versicherungspflichtige Beschäftigungstage nachweisen. Aufgrund der verkürzten Produktionszeiten für Filme und Serien ist das kaum zu schaffen.
So wurde dann auch weniger diskutiert, ob Veränderungen nötig sind, sondern mehr darüber, an welchen Stellschrauben zu drehen wäre. Connemann erläuterte das von der Kommission favorisierte „Schweizer Modell“, bei dem die ersten 30 versicherungspflichtigen Tage einer Filmproduktion doppelt gezählt werden. Die Politikerin berichtete über Gespräche mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, wo sie zu hören bekam, es gebe keine Probleme. „Deshalb brauchen wir ihre Unterstützung“, so ihr Appell. Um aber handeln zu können, müssen die Filmverbände mit einer Stimmer sprechen. Matthias von Fintel verwies auf „Nachteile und ungeklärte Fragen des Schweizer Modells“ und warb um Unterstützung für die Kampagne „5 statt 12“. Diese Formel bringt es auf den Punkt: Die Anwartschaftszeit für den Bezug von Arbeitslosengeld von 12 auf fünf Monate zu verkürzen. „Nur damit ist das ständig drohende Abrutschen in Hartz IV für Filmschaffende zu vermeiden“, betont der Tarifexperte. Er räumte ein, dass „durchaus andere Lösungen diskutiert werden können, die zu diesem Ergebnis führen“. Der Schauspieler Hans-Werner Meyer und Reinhold Dienes vom Bundesverband Produktion sprachen von einem „Dilemma, sich zwischen verschiedenen Modellen entscheiden zu müssen“. „Einen Modell-Streit können Sie sich nicht leisten – der behindert eine baldige Lösung“, mahnte Connemann.
Keine Rolle spielten bei der Debatte die beiden beinahe deckungsgleichen Anträge, die von Bündnis 90/Die Grünen und der Linksfraktion in den Bundestag eingebracht wurden und die derzeit im parlamentarischen Verfahren dümpeln. Die beiden Oppositionsparteien orientieren sich in etwa an der 5 statt 12-Forderung. Connemann kann sich vorstellen, dass es demnächst zu einem fraktionsübergreifenden Gruppenantrag kommt – aber erst dann, wenn sich die Verbände geeinigt haben.
Podium und Publikum waren sich einig, dass die „Korrektur von Systemfehlern“ nur der erste Schritt zur angemessenen sozialen Absicherung der Filmschaffenden sein kann. Es gelte, noch etliche bürokratische Hürden abzubauen, die dem für die Branche typischen Mix und den Wechsel zwischen verschiedenen Tätigkeitsformen wie „selbstständig“, „auf Produktionsdauer“ und „unständig beschäftigt“ nicht gerecht werden. Vereinbarungen der Tarifpartner allein seien aber keine dauerhafte Lösung. Sie müssen durch entsprechende Gesetzesinitiativen flankiert werden. Wille Bartz, Projektleiter connexx.av, unterstützt den Vorschlag des BFV, dass die millionenschwere Filmförderung, die zum großen Teil aus Steuermitteln erfolgt, mit Sozialklauseln verbunden werden müsse. Nicht mehr einlassen wollen sich die Filmakteure auf einen „Zahlenstreit“, wie er beim Parlamentarischen Abend im vergangenen Herbst aufkam (siehe M 12/07). Schauspieler Meyer wählte ein anschauliches Bild: „Es ist doch egal, wieviel betroffen sind, es geht um Schicksale. Beim Elbhochwasser hat doch auch niemand gefragt, wieviel am Ertrinken sind.“
E-Mails an Abgeordnete
Per E-Mail werden in den nächsten Tagen Filmschaffende aufgefordert, sich direkt an ihre Bundestagsabgeordneten zu wenden. Mit dieser Aktion will der BundesFilmVerband (BFV) den Bemühungen der Gewerkschaft und der Verbände, eine bessere soziale Absicherung Filmschaffender zu erreichen, Nachdruck verleihen.
Gefragt sind Schilderungen der verschlechterten sozialen Bedingungen, wie zum Beispiel: Probleme mit der Krankenversicherung (z.B. Zwang zum Wechsel, zusätzlich freiwillig versichern), Auflösen des Vermögens oder der Altersvorsorge, Unmöglichkeit Arbeitslosengeld I zu bekommen, persönliche Belastung und bedrohliche Situation, die sich aus Hartz IV ergibt …)
Abgeordnete im Bundestag:
www.bundestag.de/mdb/wkmap/index.html
Weitere Links:
Die beste Absicherung für Filmschaffende,
5statt12