Fotofilme zaghaft wiederbelebt

Symposium über ein spannendes innovatives Zwittergenre

Die Kölner Kunsthochschule für Medien (KHM) lud zusammen mit der Dokumentarfilminitiative im Filmbüro NW Filmemacher, Theoretiker, Filmjournalisten und Studenten zum Symposium „Fotofilme“ sowie zu einer Retrospektive ein, um gemeinsam den Fotofilm zu reanimieren und über sein Potenzial nachzudenken.

Ob als Fotoroman oder Essayfilm, der Fotofilm bietet die unmittelbare Umsetzung künstlerischer Ideen, eignet sich für komplexe Reflexionen und lädt zur Grenzauslotung verschiedener Medien ein. Nicht ohne Grund wählte Chris Marker, der große freiheitsliebende Einzelgänger des französischen Kinos, die Gattung für seine Essayfilme: Der Fotofilm machte ein Team überflüssig, schenkte ihm Unabhängigkeit und geringe Kosten. Dennoch ist es seit den 70er Jahren eher still geworden um das innovative Zwitter-Genre.
Gemäß dem Ort einer Ausbildungsstätte hielt sich die Wissenschaft in Köln zurück, die Praktiker beherrschten in Bild und Wort die Diskussion und nutzten das Podium für eine mitunter detailversessene Darstellung ihrer eigenen Projekte. Größen der Gattung wie Hartmut Bitomsky waren da ein Lichtblick. Kurz und präzise plauderte der Dokumentarist aus dem Erfahrungsschatz eines Essayfilmers, der gelegentlich schon mal in die Rolle eines Geschichten erzählenden Archäologen schlüpft, um die Filmhistorie vor dem Vergessen zu bewahren. „Das Kino und der Tod“ (1988) hieß sein im Auftrag des WDR entstandener Streifzug durch den großen Fundus spektakulärer Todesszenen von Hitchcocks „Psycho“ bis Arthur Penns „Bonnie und Clyde“ – nur dass der Tod diesmal ganz leise in Form eingefrorener Fotografien kam.
Eine ausgefeilte und anregende Betrachtung der langen Tradition des Fotofilms lieferte Daniel Kothenschulte. Der Kölner Filmpublizist attestierte dem Standbild einen Glaubwürdigkeitsvorsprung und erfreute sich am Märchencharakter des Fotofilms, an seiner direkten Ansprache des Publikums und dem romantischen Verhältnis zur Narration.
Magische Momente fanden sich auch in dem herausragenden Fotofilm „The Writing in the Sand“ (1991) der Fotografin Sirkka-Liisa Konttinen. Eine engagierte Hommage an die britische working class und ihre durch die Expansion der Industrie gefährdete Freizeitkultur, die im Kontext des Künstlerkollektivs Amber entstanden ist. Der stark in der Tradition der Street Photography eines Walker Evans oder William Klein verankerte Fotofilm erhebt den Strand zu einer Bühne und collagiert in über 2000 Fotoprints gefährliche, ausgelassene und komische Rituale an den Stränden von Nordengland. Dabei setzt die kunstvolle Montage und der unabhängig vom Bild aufgenommene Ton ganz auf die Poesie des Augenblicks einer Gemeinschaft, die heute längst einem Atomkraftwerk gewichen ist.

Abseits vom Mainstream

Gegründet 1968 in London von einer kleinen Gruppe von Film- und Fotostudenten, zogen die Mitglieder von Amber nach Newcastle, um zusammen mit den Küstenbewohnern Filme über ihre Lebensbedingungen zu drehen – abseits vom Mainstream und Profitorientierung. Der Nordosten wuchs damals zu einem der größten Industriegebiete des Landes und zog einen Umbruch in der Arbeitswelt nach sich. Die Gruppe dokumentierte in Langzeitstudien die Veränderungen, die steigende Arbeitslosigkeit und Umweltverschmutzung. Die zahlreichen Dokumentarfilme und bisweilen auch Spielfilme entstanden hauptsächlich für Channel 4. Heute ist die Zukunft der Gruppe ungewisser denn je. Dazu passt, dass „The Writing in the Sand“ trotz zahlreicher Preise und Festivalerfolge den Weg auf den Fernsehbildschirm nicht mehr fand.
Der Zusammenprall der Temperamente und Blickwinkel in der Kölner Endrunde hatte erhellende Momente, auch wenn sich die Diskussion überwiegend um formale Aspekte der Gattung drehte. Zu steilen Thesen kam es indes kaum. Vielleicht wäre es aufregend geworden, hätte man auch junge Redner eingeladen, die der Ankündigung einer Renaissance des Genres Nachdruck verleihen und neue Ansätze aufzeigen könnten. So löblich es auch ist, selten gezeigte Genreperlen von Chris Marker, Agnès Varda oder die pulsierenden Alltagsporträts von Hafenarbeitern und portugiesischen Fischern von Leonore Mau / Hubert Fichte zu präsentieren, so ärgerlich ist es, dass Fotofilme von jüngeren Regisseuren in die abendliche Retrospektive verbannt wurden.
Man schmückte sich lieber mit altgedienten Koryphäen oder zumindest Generationsgenossen – bis auf die „junge“ Katja Pratschke, immerhin Jahrgang 1967, Ex-KHM-Absolventin, Initiatorin und Kuratorin der Retrospektive, die eine Wiederbelebung der Gattung hoffnungsfroh auszumachen glaubte, nicht zuletzt mit ihrem eigenen, immerhin sehr gelungenen Abschlussfilm „Fremdkörper“ (2002), einer hoch aktuellen Bildercollage über Genetik und Identität. Sich zu fragen, wie das Revival – wenn es denn eines ist – zu bewerten ist und warum es gerade jetzt kommt, hielt man einer vertiefenden Diskussion nicht für wert. So blieb der Eindruck einer diskursiven Leerstelle zurück und der heroische Glanz einer Randgattung der Filmgeschichte, die heute überwiegend nur noch in Abschlussfilmen und experimentellen Videoformaten zu finden ist.

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