Freie mehrfach bestraft: Rücklagen müssen vollständig aufgebraucht werden
Freie und Selbstständige, die sich durch ihre Arbeit zeitweise oder auf unbestimmte Zeit nicht ernähren können, wandten sich mit ihren Fragen zum ALG II an ver.di. Deshalb hat die Redaktion an dieser Stelle einige Antworten eingeholt.
Direkte Rutsche ins ALG II
Das Arbeitslosengeld II (345 € in den alten, 331 € in den neuen Bundesländern), erhalten alle bedürftigen Erwerbsfähigen zwischen 15 und 65 Jahren, die keinen Anspruch auf das reguläre Arbeitslosengeld haben und ihren Lebensunterhalt sonst nicht sichern können – also alle auftragslosen und nicht-vermögenden Freien und Selbstständigen. Für Kinder unter 14 Jahren werden 60 Prozent, für Jugendliche ab 14 Jahren 80 Prozent des Regelsatzes gezahlt.
Eine Zumutung: die Zumutbarkeitsgrenzen
Zahlreiche (vor allem künstlerische) Berufe können nur in selbstständiger Tätigkeit ausgeübt werden. Schriftsteller, bildende Künstlerinnen etc., die zeitweise ohne Auftrag sind, verlieren möglicherweise durch die neue Zumutbarkeitsregelung sehr viel schneller als arbeitslose „Festangestellte“ – die während des einjährigen Bezuges von ALG I, in ihrem Beruf eine neue Beschäftigung finden könnten – die Chance, ihren Beruf je wieder auszuüben. Welche Jobs zumutbar sind, ist ein noch offenes weites Feld
Rücklagen – zweierlei Maß
Wer ALG II beantragt, muss zuvor auf mögliches Vermögen zurückgreifen. Das trifft alle Selbstständigen, die nicht über die KSK versichert sind und damit Anspruch auf eine unantastbare gesetzliche BfA-Rente erworben haben, besonders hart. Ihre Rücklagen werden bis auf 200 Euro pro Lebensjahr (= 13.000 Euro für 65jährige) „aufgefressen“. Hinzu kommen noch einmal 200 Euro pro Lebensjahr, wenn sie in einer Versicherung wie der Presseversorgung angelegt sind, die nachweislich erst als Rente ausgezahlt wird. Selbstständige, die während ihrer Erwerbsphasen – verantwortungsvoll – private Rücklagen für die Altersversorgung aufgebaut haben, sind damit ungleich schlechter gestellt als Angestellte, denen vom Arbeitgeber eine betriebliche Altersversorgung – auch das kann die Presseversorgung sein – zugesagt wurde. Während nämlich betriebliche Rücklagen vor dem Rentenalter nicht zur Auszahlung kommen und damit bei der Berechnungsgrundlage für den Bezug des ALG II geschützt sind, müssen Selbstständige ihre Rücklagen (bis auf die vorgesehenen 2 x 200 Euro pro Lebensjahr) vollständig aufbrauchen. Die Option, Vorsorge in Form von „einbehaltenem Lohn“ zu betreiben, besteht für Selbstständige nicht.
Bei Auftrag: Informationsstriptease
Alle Selbstständigen, die ALG II bezogen haben, beziehen oder beantragt haben, müssen dies laut Sozialgesetzbuch II, § 58 (2) einem möglichen Auftraggeber mitteilen. Freie, die – wie allenthalben propagiert – versuchen, über selbstständige Tätigkeiten einen Ausweg aus ihrer Beschäftigungs-Misere zu finden, werden damit zum Informationsstriptease gegenüber den Kunden gezwungen, die wiederum nach § 60 SGB II zu allem Überfluss auch noch „der Agentur für Arbeit auf Verlangen Einsicht in Geschäftsbücher, Geschäftsunterlagen und Belege sowie in Listen“ gewähren müssen, wenn sie jemandem, der ALG II beantragt hat, bezieht oder bezogen hat, eine selbstständige Tätigkeit übertragen. Die Chance, je wieder einen Auftrag zu bekommen, dürfte damit rapide sinken. Schließlich ist professionelles, selbstbewusstes Auftreten gegenüber (potenziellen) Kunden ein wesentlicher Teil des selbstständigen Geschäfts.
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