Hochgekochter Alarmismus

Kommentar

„Wieviel an Freiheit darf geopfert werden, um die Freiheit zu verteidigen?“, fragte der Wiener Philosophieprofessor Konrad Paul Liessmann, einer der wenigen Kritiker bei den Mainzer Tagen der Fernsehkritik, die sich Biss bewahrt haben. Liessmann schlug den Fernsehmachern vor, in den Spiegel zu schauen. „Das Böse“ sei nämlich keinesfalls nur im islamischen Kulturkreis zu vermuten, wie im Fernsehen seit dem 11. September vielfach kolportiert. „Das Böse ist immer und überall“, mahnte Liessmann fröhlich respektlos. Dass die Fernsehmacher sich allerdings bloß einmal in ihrer näheren Umgebung umschauen müssten, um zu sehen, welche Folgen permanent unkritisch übernommene Bush-Zitate von der zivilisierten und der unzivilisierten Welt (Christentum und Islam) bereits zeitigen, davon redete niemand. Was von erschreckendem Realitätsverlust der Fernsehjournalisten zeugt. Denn das Resultat des hochgekochten Alarmismus – laut dem Soziologen Otto Hondrich gar kein Problem, weil die Medienberichterstattung als Prozess von „trial and error“ verlaufe – ist bereits im politischen Klima sichtbar und spürbar. Nachbarn denunzieren arabisch aussehende Menschen als Schläfer. Polizisten machten kürzlich in der Frankfurter Innenstadt derart unverfroren Jagd auf junge Männer mit schwarz-gekräuselten Haaren, dass Bürger gegen diesen rassistischen Umgang protestierten. Resultat: Die Ordnungshüter holten Verstärkung. Alles kein Problem? Nun, Otto Schily – der sein Sicherheitspaket freudestrahlend in Mainz präsentieren dürfte – hat dieses Vorgehen jetzt gesetzlich legitimiert. Und viele Kritiker gucken offenbar selbst nur noch Fernsehen, und da kommt dies alles ja bekanntlich nicht vor.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Putins Geiseln

In Russland wurden Mitte Juli zwei westliche Journalist*innen aufgrund fingierter Anschuldigungen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Westliche Regierungen werden nun einen zynischen Deal mit dem Kreml eingehen müssen, um Evan Gershkovich und Alsu Kurmasheva freizubekommen. Doch gleichzeitig sollten sie klar machen, dass sie Putins „Verständnis“ von Journalismus nicht teilen.
mehr »

Recherchen für die Demokratie

Die Uhr tickt – politisch und ökologisch. „Der Ton wird rauer, die Angriffe intensiver“, so NDR-Intendant Joachim Knuth im Begrüßungsgespräch mit Daniel Drepper, dem Vorsitzenden der Journalist*innenvereinigung Netzwerk Recherche (NR), die ihre Jahreskonferenz unter das Motto stellte: „Now is the time. Recherchen für die Demokratie“. Etwa 900 Teilnehmende trafen sich beim NDR Fernsehen in Hamburg zu Austausch und Debatte über die Rolle der Medien in Zeiten des politischen Rechtsrucks und der Klimakrise. 
mehr »

Reformstaatsvertrag: Zweifel am Zeitplan

Der Medienrechtler Dieter Dörr bezweifelt, dass es den Bundesländern gelingt, sich gemäß ihrer Planungen bis Ende Oktober auf einen Reformstaatsvertrag zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu verständigen. Er halte „diesen Zeitplan, um es vorsichtig auszudrücken, für ausgesprochen optimistisch“, sagte Dörr auf M-Anfrage. Nach dem bisherigen Fahrplan sollte der Reformstaatsvertrag dann bei der Ministerpräsidentenkonferenz im Dezember 2024 unterzeichnet werden.
mehr »

Reform oder Abrissbirne im Hörfunk

Die Hängepartie um Finanzierung und Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) geht weiter. Nach wie vor sträuben sich ein halbes Dutzend Ministerpräsidenten, der Empfehlung der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) für eine Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro zu folgen. Bis Oktober wollen die Länder einen Reformstaatsvertrag vorlegen, um künftig über Sparmaßnahmen Beitragsstabilität zu erreichen. Einzelne ARD-Sender streichen bereits jetzt schon ihre Hörfunkprogramme zusammen.
mehr »