Im Schlachthaus der Glaubwürdigkeit

Portrait von Günter Herkel

Günter Herkel lebt in Berlin und arbeitet als freier Medienjournalist für Branchenmagazine in Print und Rundfunk.
Foto: Jan-Timo Schaube

#beBETA heißt ein neues Konferenzformat des BDZV, das gerade in Berlin Premiere hatte. Als finalen Höhepunkt setzte es eine Debatte unter dem gewollt hippen Titel „Future of Trust – Glaubwürdigkeit als Geschäftsmodell?!“ Was eine selbstkritische Aufarbeitung der Branchenzustände in Zeiten von Relotius und Co. hätte werden können, geriet zur Farce.

Wen könnte man einladen, wenn es um Glaubwürdigkeit im Journalismus geht? Zum Beispiel Juan Moreno, den beharrlichen Aufklärer in der jüngsten Spiegel-Affäre um einen skrupellosen Fälscher. Oder Stefan Niggemeier, der seit Jahr und Tag Fehlentwicklungen in der Branche medienkritisch aufspießt. Der BDZV entschied sich für – Julian Reichelt, Bild-Chefredakteur. Also den  Chef jenes Blattes, dessen „Geschäftsmodell“ in der systematischen Verletzung von Persönlichkeitsrechten besteht. Der die Blattlinie einigermaßen geschmeidig gelegentlich um 180 Grad kippt, wenn sich die Stimmung im Volk dreht. So geschehen zuletzt nach 2015, als Bild sich in der Flüchtlingskrise zunächst an die Spitze der „Willkommensbewegung“ setzte. Um wenig später wieder zur gewohnt migrantenfeindlichen, die eigene Klientel weniger verstörenden Hetze zurückzukehren.

Genützt hat es bekanntlich wenig. Trotz oder vielleicht gerade wegen solcher Volten befindet sich die Auflage von Bild (und anderen Mitgliedern der „Markenfamilie“) weiterhin im freien Fall. Im letzten Quartal sank die IVW-geprüfte Verkaufsauflage von Deutschlands größtem Boulevardblatt erstmals unter 1,5 Millionen.  Das entspricht einem Rückgang um zwei Drittel oder fast drei Millionen seit 1998. Glaubwürdigkeit als Geschäftsmodell? Eher umgekehrt: Die Unglaubwürdigkeit des Blatts (gepaart mit den bekannten strukturellen Krisenfaktoren) ist ganz offensichtlich ein ziemlich miserables Geschäftsmodell.

Auf all das hätte auch Moderatorin Pinar Atalay kommen können. Doch die vom BDZV angeheuerte „Tagesthemen“-Moderatorin blieb handzahm, fasste den Bild-Mann mit Glacéhandschuhen an. Gerade mal eine schüchterne Anspielung auf die „Schmutzkampagne bei der SPD“ – Juso-Chef Kevin Kühnert im Bündnis mit einem angeblichen Russen-Troll, – eine Satire Aktion der „Titanic“, der Bild auf den Leim gegangen war.

Sollte der zahnlose Auftritt Atalays am Ende – vielleicht unbewusst – auch eine  Folge des Kompromisses sein, auf den sich Verleger und ARD im Kontext des neuen Telemedien-Staatsvertrags geeinigt haben? Schließlich hatten diverse BDZV-Mitglieder die ARD wegen der „Presseähnlichkeit“ ihrer „Tagesschau-App“ jahrelang mit Klagen überzogen. Dass eine Friede-Freude-Eierkuchen-Strategie nichts bringt, dürfte sich spätestens bei den nächsten Kampagnen der Verleger gegen eine Indexierung des Rundfunkbeitrags erweisen.

Der BDZV befindet sich in einem Konflikt. Einerseits hat er den mächtigen Springer-Boss Mathias Döpfner zum Präsidenten des eigenen Ladens gekürt. Das ist sein gutes Recht. Anders verhält es sich mit der Verpflichtung von Julian Reichelt, dessen Kampfblatt alljährlich einen großen Teil der vom Deutschen Presserat erteilten Rügen kassiert. Jenes paritätisch aus Journalisten und Verlegern besetzten Rates, dem auch der BDZV angehört. Es gehört schon ein gerüttelt Maß an Zynismus dazu, ausgerechnet einen Bild-Mann zum Kronzeugen für Glaubwürdigkeitsfragen im Journalismus zu bestellen. Genauso gut könnte man im Schlachthaus die Tierschutzwoche ausrufen.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

Öffentlichkeit ohne Journalismus

Schwindende Titel, schrumpfende Redaktionen, immer geringere Abonnentenzahlen – dass gerade der Lokaljournalismus vielerorts unter Druck steht, ist nicht neu. Doch was bedeutet das für die lokale Öffentlichkeit, die inzwischen von vielen selbstbewussten Medien-Akteuren mitgestaltet wird? Eine aktuelle Studie der Otto-Brenner-Stiftung beschäftigt sich mit genau dieser Frage.
mehr »

Die Medienwende nach dem Mauerfall

35 Jahre nach dem Mauerfall bietet die Medienlandschaft im Osten Deutschlands ein zwiespältiges Bild. Nach wie vor verlieren die von westdeutschen Großverlagen kontrollierten ehemaligen DDR-Traditionstitel überdurchschnittlich an Auflage und Anzeigenvolumen. Der aufgelöste staatliche DDR-Rundfunk ist nach anfänglichem Hickhack erfolgreich in ARD und ZDF integriert. Gescheitert ist indes früh der Traum der Ex-Bürgerrechtler von einem „Dritten“ Medienweg.
mehr »