Eine Zeitungsdiskussion beim Mainzer MedienDisput in Berlin
Sind die Pleiten von FTD, FR und dapd bedauerliche Marktbereinigungen mit Einzelfallcharakter? Oder bilden sie die Spitze des Eisbergs einer tiefgreifenden Medienkrise? Beim Mainzer MedienDisput Ende Februar in Berlin wurden diese Fragen durchaus kontrovers diskutiert.
Als Motto hatten die Veranstalter einen Satz des früheren FTD-Reporters Andrzej Rybak vorangestellt. „Die Journalisten sind wahrscheinlich die Bergarbeiter des 21. Jahrhunderts, die braucht man heutzutage nicht mehr.“ Kaum einer der Diskutanten mochte diese fatalistische Sichtweise teilen. „Pietätlos“ findet es Ulrich Janßen, Bundesvorsitzender der Deutschen Journalisten-Union in ver.di, wie derzeit ein „Zeitungssterben“ herbeigeredet und -geschrieben werde. Von einer Medien- oder Zeitungskrise könne einstweilen keine Rede sein. Den meisten Zeitungsverlagen gehe es „gut, etlichen geht es sehr gut“. Nur gemessen an früheren „goldenen Zeiten“ lasse sich die aktuelle Entwicklung als Krise darstellen. Falsch wäre aber auch eine Verharmlosung der Probleme: sinkende Abozahlen und rückläufige Werbeerlöse seien nun mal Fakt. Janßen begrüßte, dass die Verlage mehr über kostenpflichtige Premiuminhalte nachdächten. Bislang habe sich ihre Kreativität allerdings in Strategien erschöpft, die materiellen Arbeitsbedingungen der Journalisten zu verschlechtern.
Für Maike Rademaker, Betriebsrätin bei Gruner + Jahr und Ex-Redakteurin der Ende 2012 eingestellten Financial Times Deutschland gibt es dagegen sehr wohl eine Zeitungskrise. Eine „Journalismuskrise“ vermag sie indes nicht auszumachen. Die gegenwärtige Marktbereinigung sei „schmerzhaft“, vor allem für die unmittelbar Betroffenen. Rademaker zeigte sich aber zuversichtlich, dass es neue Lösungen für die Sicherung des Qualitätsjournalismus geben werde.
Pessimistisch. Die freie Journalistin Ina Hartwig, bis 2009 verantwortliche Literaturredakteurin bei der Frankfurter Rundschau, outete sich als Zeitungsliebhaberin. Sie kann sich „keine gedeihliche Demokratie ohne eine gedruckte Qualitätspresse“ vorstellen. Die Gesellschaft müsse sich aber fragen, ob sie gute Zeitungen wolle – und zu welchem Preis. Die Perspektive der in Konkurs gegangenen FR beurteilte sie eher pessimistisch. Das FAZ-Konzept laufe darauf hinaus, dass nur ein geringer Teil der 500 Beschäftigten übernommen werde. Eine „absurde“ Vorstellung.
Ulrich Ende, seit kurzem Miteigentümer der vor einigen Monaten in Konkurs gegangenen Nachrichtenagentur dapd, teilte Hartwigs Zweifel. Es sei „keine nachvollziehbare kulturelle Verwandtschaft“ zwischen FR und FAZ festzustellen. Daran, so schwant ihm, werde auch das diskutierte Modell einer FR-Regionalausgabe im Rhein-Main-Gebiet unter Regie der FAZ scheitern. Zuversichtlich äußerte sich Ende zu den Perspektiven der von ihm betriebenen dapd-Sanierung. Unter den gescheiterten Finanzinvestoren Löw und Vorderwülbecke sei die Agentur von 120 auf 300 Mitarbeiter aufgeblasen worden. Mit nur ein wenig betriebswirtschaftlichem Knowhow habe jedem klar gewesen sein müssen, dass sich dahinter „kein gesundes Entwicklungsmodell“ verbergen konnte. So sei etwa die 40 Mitarbeiter starke Sportredaktion „betriebswirtschaftlich nicht relevant“ gewesen, da sie keinen einzigen Kundenauftrag erhalten habe. Nach der dapd-Umstrukturierung sehe er gute Chancen, mit nunmehr rund 200 Mitarbeitern wettbewerbsfähig zu sein. (Nur neun Tage später beantragte Ulrich Ende erneut Insolvenz)
Stiefmütterlich
Einen radikalen „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ machte Thierry Chervel, Geschäftsführer der Internet-Kulturplattform „perlentaucher.de“ aus. Für Information, „jedenfalls nicht im Sinne allgemeiner journalistischer Information“, wie man sie aus dem 20. Jahrhundert kenne, gebe es „kein Geschäftsmodell mehr“. Alle Medienhäuser hätten das Internet lange Zeit stiefmütterlich behandelt. Die Online-Redaktionen seien zu schlechten Arbeitskonditionen „in der Garage versteckt“ worden. Seine Formel „Die Zeitung ist tot, es lebe die Information“ half in der Debatte auch nicht so recht weiter.
Anton Hunger, Buchautor und Ex-PR-Chef der Porsche AG, erwartet, dass künftige Generationen sich ihre Informationen überwiegend online beschaffen würden. Dies bedeute aber nicht notwendigerweise das Ende des Printmediums Zeitung. Um zu überleben, müsse die Zeitung aber ihren Charakter verändern: vom Nutzwertprodukt hin zu einem „Medium, das man lesen will, nicht lesen muss“. Als Beispiel nannte er das Skifahren. Dieser Sport sei einst erfunden worden, um Post in den Bergen auszutragen. Diese Funktion habe es heute weitgehend verloren, dennoch werde so viel Ski gefahren wie nie zuvor. Wie sich dieses Bild auf die Printbranche übertragen ließe, vermochte Hunger leider nicht zu konkretisieren.
Ulrich Janßen forderte eine qualifizierte Debatte darüber, was der Gesellschaft der Qualitätsjournalismus wert sei. Zur Stützung dieses Journalismus stünden verschiedene Finanzierungsalternativen zur Auswahl. Direkte staatliche Subventionen seien denkbar, allerdings „nicht für Medienhäuser, die ihre Beschäftigten unter Tarif bezahlen, die Leiharbeit missbrauchen, die andere soziale Standards verletzen“. Für durchaus sinnvoll hält Janßen „staatsfern organisierte Stiftungen“ zur Aus- und Weiterbildung von festen und freien Journalisten. Das gelegentlich vorgeschlagene Konzept öffentlich-rechtlicher Zeitungen sei „auch innerhalb der Gewerkschaft umstritten“.